Berlin - Dick und rot sind die Erdbeeren, die Hedwig Höss im Garten ihrer Villa ernten kann. Doch dann frischt der Wind auf, und plötzlich ist die Luft voller Aschepartikel. Asche aus den Verbrennungsöfen des unmittelbar benachbarten Konzentrationslagers Auschwitz. Die Frau des Lagerkommandanten schärft ihnen Kindern deshalb ein, die Beeren vor dem Essen immer gründlich abzuwaschen.
Diese Szene stammt aus der sechsteiligen Doku-Serie "Die Spaltung der Welt: 1939-1962", die am 5. und 6. November ab 20.15 Uhr auf Arte gezeigt wird und ab 11. November um 22.50 Uhr im Ersten läuft. In den Mediatheken ist die Serie bereits abrufbar. Es ist bereits die dritte Staffel einer monumentalen Dramaserie über die Geschichte des 20. Jahrhunderts. Die ersten beiden Staffeln hiessen "14 – Tagebücher des Ersten Weltkriegs" (2014) und "Krieg der Träume" (2018) über die Zwischenkriegszeit von 1918 bis 1939.
Neuer Ansatz soll das Publikum emotionalisieren
Das Kennzeichen der massgeblich von dem Leipziger "Headautor" Jan Peter entworfenen Serie ist, dass geschichtliche Epochen am Beispiel einiger weniger handelnder Personen aufgezogen werden. Im Unterschied zu anderen Dokumentationen gibt es weder einen Erzähler noch Zeitzeugen-Interviews oder Experten-Gespräche.
Stattdessen stellen Schauspieler die exemplarischen historischen Figuren dar, sodass man eher von einer Spielfilmserie sprechen könnte, auch wenn immer wieder kolorierte Archivaufnahmen reingeschnitten und Originalzitate eingespielt oder vorgelesen werden. Dieser neue Ansatz soll den Stoff emotionalisieren und so speziell für ein junges Publikum zugänglicher machen.
Diese Herangehensweise bewährte sich vor allem in der mehrfach ausgezeichneten ersten Staffel über die zeitlich fest umrissene Periode des Ersten Weltkriegs. Das Geschehen wurde hier anhand von 14 völlig unterschiedlichen Protagonisten immer wieder aus einer anderen Perspektive beleuchtet. Die zweite Staffel über die nur bedingt goldenen Zwanzigerjahre und die krisenhaften Dreissiger war schon nicht mehr so übersichtlich strukturiert, überzeugte aber durch die sorgfältig ausgewählten Hauptpersonen, insbesondere wenig bekannte Frauenfiguren wie den polnischen Stummfilmstar Pola Negri. Die dritte Staffel allerdings funktioniert nicht mehr so gut.
Viel Stoff für sechs Folgen - zu viel
Das liegt zum einen daran, dass hier eine sehr komplexe Zeitspanne, eine der grössten Umbruchphasen der Geschichte überhaupt, multiperspektivisch abgedeckt wird: Zweiter Weltkrieg, Entwicklung der Atombombe, Kalter Krieg, Dekolonisierung, Gründung des Staates Israels und Entstehung des Nahostkonflikts. Das ist einfach zu viel für sechs Teile von jeweils 52 Minuten, besonders dann, wenn das meiste über Spielfilmhandlung transportiert wird.
Die Folge ist, dass der Stoff nur oberflächlich behandelt werden kann. Auch wenn die Serie möglichst weit von belehrendem Schulfernsehen entfernt sein will, hat sie an einigen Stellen gerade davon etwas, so wenn in der ersten Minuten des ersten Teils gleich zweimal der Name von Wernher von Braun fällt, damit auch wirklich alle gleich mitbekommen, um wen es hier geht. Augenblicke später wird ihm gemeldet: "Werner! Die Russen - sie haben einen Pakt unterzeichnet! Mit den Nazis! Mit dem Reich! Mit uns!" Solche Szenen wirken einfach nicht glaubwürdig - ein Erzähler wäre da geeigneter zur Vermittlung essenzieller Informationen.
Golda Meir war gebürtige Ukrainerin
Zudem stehen die einzelnen Geschichten relativ unverbunden nebeneinander, auch wenn im Begleittext betont wird, dass sich die Entscheidungen der sechs Hauptcharaktere aufeinander auswirken. Ein weiterer Schwachpunkt ist, dass einige der ausgewählten Personen und Handlungsstränge schon sehr bekannt sind.
Das gilt insbesondere für das Ehepaar Höss in seiner Auschwitz-Villa mit angrenzendem Garten. Dieses Motiv wurde erst kürzlich von dem britischen Filmregisseur Jonathan Glazer in seinem oscarprämierten Meisterwerk "The Zone of Interest" auf ebenso künstlerisch innovative wie erschütternde Weise auf die Leinwand gebracht. Auch die Geschichte von Wernher von Braun ist schon oft erzählt worden.
Dennoch ist die Serie sehenswert, weil sie durchaus einen Spannungsbogen aufzubauen versteht und mit wenig bekannten Fakten überrascht - welchem Zuschauer dürfte zum Beispiel geläufig sein, dass die israelische Ministerpräsidentin Golda Meir eigentlich Ukrainerin war, gebürtig aus Kiew? Oder dass die Nazis Weihnachtsplätzchen in Hakenkreuzform knabberten? Auch dieses kleine Detail haben die Filmemacher nicht erfunden, sondern gut recherchiert: Die Plätzchen-Ausstecher waren vor Jahren im NS-Dokumentationszentrum in Köln ausgestellt. © Deutsche Presse-Agentur
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