Stefan Raab tritt ab: Mit den letzten Ausgaben von "TV total" und "Schlag den Raab" endet eine einzigartige Karriere. Der 49-Jährige hat die deutsche TV-Landschaft revolutioniert, weil er seiner Zeit voraus war. Dann verlor er aber den Blick für das Wesentliche: seinen Humor. Fehlen wird er dem deutschen Fernsehen dennoch. Ein Kommentar.
Es war der 8. März 1999, als im deutschen Fernsehen eine neue Zeitrechnung begann.
"Sie brauchen jede Woche nur noch eine Sendung zu sehen", sagte er damals zur Begrüssung.
Spätestens eine halbe Stunde später wussten die Zuschauer, dass Raab gewillt war, eine erfrischende Unverschämtheit an den Tag zu legen, die das deutsche Fernsehen in dieser Form noch nicht gesehen hatte: Zuerst bei einem "Raab in Gefahr" auf einer Pudelausstellung, danach in einem "Raabigramm" für
Heute, 16 Jahre später, behaupten Kritiker, dass Raab dieses Lied für sich selbst singen könnte
Es ist ein ziemlich deutsches und vor allem nerviges Phänomen, über die Allergrössten zu lästern, sobald sich die Gelegenheit bietet. Es wirkt, als warte man nur auf die erste Schwäche, um den eigenen Frust oder Neid auf erfolgreiche Personen zu projizieren.
Die jüngere Konkurrenz ist frecher
Der 35-jährige Fussballer bekommt dann zu hören, dass er nicht mehr so schnell ist wie mit 21. Das 40-jährige Ex-Model fragt man, ob es den einst so knackigen Körper vermisse. Und dem knapp 50-jährigen Entertainer reibt man eben unter die Nase, dass die rund 15 Jahre jüngeren Konkurrenten frecher und frischer sind.
Inhaltlich mag solche Kritik korrekt sein. Natürlich ging Raab in letzter Zeit nicht mehr das Tempo mit, das Joko Winterscheid und Klaas-Heufer Umlauf oder
Rampensau? Das war einmal!
Denn: Die Zeiten, in denen der Kölner die Rampensau spielen wollte (oder musste), sind längst vorbei.
Damals liess er sich von Boxerin Regina Halmich verprügeln, stellte mit rotzfrechen Auftritten die ZDF-Hitparade auf den Kopf, legte es fast schon darauf an, von Uli Hoeness verklagt zu werden, oder setzte sich zu "Wetten, dass..?" auf die Couch, um die Klitschko-Brüder und Dieter Bohlen zu veralbern.
Zu jener Zeit war Raab unbestritten der grossartigste deutsche Comedian. Und er fand Gefallen daran, sich mit den Grössen der TV-Branche anzulegen. Bis heute ist unvergessen, wie er als junger Emporkömmling Hitparaden-Gründervater Dieter Thomas Heck blamierte: Aus Protest gegen das zwangsverordnete Playback bei der Goldenen Stimmgabel grinste Raab minutenlang in die Kamera und bewegte seine Lippen nicht - während sein Song durch die Halle schallte.
Vom Rebell zum TV-Revolutionär
Es war eine bewegte, aufregende Zeit als frecher Rebell. Doch was danach folgte, war viel bemerkenswerter: Der gelernte Metzger begann, das deutsche Fernsehen zu revolutionieren.
Von "Schlag den Raab" bis zum "Bundesvision Song Contest", von der Wok-WM bis zur Sondersendung zur Bundestagswahl 2005 - Raab ballerte mit neuen Formaten und Sondersendungen nur so um sich.
Seine Erfolge und sein Mut zur Veränderung machten ihn über Jahre hinweg zur Allzweckwaffe des deutschen Fernsehens. Er machte Dinge, die neu waren - und das auch gerne zur besten Sendezeit für ein Millionenpublikum.
Als sich in Deutschland kein Mensch mehr für den "Eurovision Song Contest" interessierte, holten die Öffentlich-Rechtlichen Raab ins Boot - der stampfte "Unser Star für Oslo" aus dem Boden, schickte Lena Meyer-Landrut nach Norwegen und gewann mit ihr den Wettbewerb.
Und weil die Politik endlich auch mal jüngere Bürger ansprechen wollte, durfte Raab 2013 sogar das TV-Duell zwischen Angela Merkel und Per Steinbrück moderieren. Das war natürlich nicht witzig. Doch es zeigte, dass aus dem einstigen vorlauten Blödel-Barden ein Vorzeige-TV-Gesicht geworden ist.
Esprit und Kreativität blieben auf der Strecke
Raabs Allgegenwärtigkeit mag dazu geführt haben, dass sich viele Menschen an ihm satt gesehen haben.
Denn den Zuschauern entging natürlich nicht, dass Esprit, Kreativität und Schlagfertigkeit verloren gegangen waren, während der Moderator von Show zu Show hetzte. Er schien den Blick für das Wesentliche verloren zu haben: seinen Humor.
Manche Sendungen waren zuletzt so feurig wie nasses Käsebrot.
Und vielleicht wollte (oder konnte) er mit dem Zeitgeist nicht mehr mitgehen, den eigenen Erfolg aus dem Fernsehen auszulagern, um sich für eine andere, deutlich jüngere Zielgruppe ganz gezielt in sozialen Netzwerken zu inszenieren.
Das war ein Fehler. Hätte es vor 15 Jahren schon Facebook, YouTube oder Twitter gegeben, hätte Raab sie mit "Maschen-Draht-Zaun", "Hol' mir mal ne Flasche Bier" oder "Der Karl, der Karl, der Moik" gesprengt. Er produzierte virale Hits, bevor es den Begriff überhaupt gab. Raab war - auch in dieser Hinsicht - seiner Zeit einfach einen Schritt voraus.
Heute jedoch begeistert Jan Böhmermann das Internet mit seinem Polizisten-Song - und keiner denkt darüber nach, dass Raab es war, der solche Lieder hoffähig gemacht hat.
Der Schlussstrich überrascht dann doch
"Es ist dieses Gaddafi-Phänomen: Man weiss einfach nicht als Diktator, wann es Zeit ist, abzutreten", hatte Böhmermann vor zwei Jahren über Stefan Raab gesagt. Raabs überraschende Ankündigung, in Rente zu gehen, widerlegte ihn. Er zog einen Schlussstrich, der in seiner Endgültigkeit noch immer überrascht.
Es hätte unzählige mögliche Projekte gegeben, denen sich Raab hätte widmen können. Und nun? Von 100 auf 0, von heute auf morgen.
Es ist gut möglich, dass wir Raab in Zukunft nicht vermissen werden. Fehlen wird er dem deutschen Fernsehen dennoch. Denn es war für Millionen Menschen eine geile, gemeinsame Zeit.
Danke dafür, Stefan Raab!
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