Am Donnerstagabend guckte die RTL-Dokumentation "stern TV: Inside Supermarkt" in die Supermärkte der Republik. In bester "Sendung mit der Maus"-Manier zeigte Reporter Stefan Uhl, wie die Märkte funktionieren, woher die Waren kommen oder welches Produkt an der Kasse am häufigsten gekauft wird. An die wirklich wichtigen Fragen traute sich die Dokumentation aber nicht heran.
Rein, einkaufen, raus. Ein Einkauf im Supermarkt ist oft genug ein unbewusstes Treiben in einer Shopping-Blase. Es ist alles da, was man braucht – oder was die Hersteller denken, das man braucht – und wenn man geht, ist eben ein bisschen weniger da. Aber das wird ja ganz schnell wieder aufgefüllt, wie, kann einem ja egal sein.
Über dieses "Wie" hat man sich aber in den vergangenen Wochen vielleicht zum ersten Mal Gedanken gemacht, wenn man in dem einen oder anderen Supermarkt vor einem leeren Regal stand. Da ging es nicht um Corona-Hamsterkäufe, sondern um den knallharten Preiskampf zwischen Supermärkten und Produzenten und Zulieferern mit dem Ergebnis, dass manches Regal eben leer blieb. Ein kleines Loch in der Supermarkt-Blase, wenn man so will.
"Hinter den Kulissen des deutschen Lebensmittelhandels"
Wie diese Blase Supermarkt funktioniert, das versuchte am Donnerstagabend die "sternTV"-Dokumentation "Inside Supermarkt" zu klären. "Fast 160 Stunden verbringen wir jedes Jahr im Supermarkt. Das sind umgerechnet knapp sieben Tage, also eine ganze Woche. Und fast so lange verbringe ich nun hinter den Kulissen des deutschen Lebensmittelhandels", verrät Reporter Stefan Uhl, wie er sich seine Dokumentation vorstellt und startet dafür in einer Filiale von Aldi-Nord in Essen-Kettwig.
Dort begleitet er den stellvertretenden Filialleiter Ömer Balaban um 5 Uhr morgens zum Dienstantritt und guckt ihm und seinen Mitarbeitern über die Schulter, was denn so alles in den zwei Stunden bis zur Öffnung zu erledigen ist. Uhls Reise geht weiter, er besucht einen Salatbauern, geht mit einem Edeka-Marktleiter auf den Grossmarkt, mit einer Marketing-Expertin durch einen Supermarkt, er fährt zu einem Milchbauern, spricht mit einer Rentnerin, die neue Produkte testet, lässt sich erklären, wie vegane Hackbällchen entstehen, testet einen Dorf-Supermarkt, der 24 Stunden am Tag geöffnet hat oder eine Münchener Supermarktfiliale, in der man keine Kasse mehr benutzen muss.
Es ist also der berühmte bunter Strauss, den Uhl da pflückt und dementsprechend vielfältig sind auch die Erkenntnisse, die man als Zuschauer nach der Doku zusammensammeln konnte. Etwa, wie unterschiedlich Supermarktketten ihre Märkte organisieren und Kunden ansprechen, dass ein Eisbergsalat maximal 36 Stunden vom Feld bis in die Auslage braucht, wie viel vom Verkaufswert beim Supermarkt selbst hängen bleibt, wie Tiefkühlpizzen hergestellt werden, wie ein Supermarkt ohne Kassen funktioniert, warum Barzahlung mehr "wehtut" als eine Bezahlung mit EC-Karte oder dass das meistverkaufte Produkt an der Supermarktkasse die Mini-Flasche Wodka ist.
"stern TV: Inside Supermarkt": Was die RTL-Doku nicht erzählt
"Ganz schön viele Fragen, wir klären sie jetzt", befindet Uhl am Anfang der Dokumentation und in der Tat klärt er eine ganze Menge – allerdings auch eine ganze Menge nicht. Denn Uhl konzentriert sich in seiner Doku sehr stark auf technische Abläufe und kaufmännische Kennzahlen. Aspekten, die über das technische, kaufmännische und logistische Verständnis der Lebensmittelbranche hinaus gehen, widmet sich Uhl, wenn überhaupt, nur am Rande.
Dadurch fallen natürlich die Themen hinten runter, die man im Jahr 2022 eigentlich nicht mehr weglassen darf, wenn man über Supermärkte redet: Ernährungssicherheit im Zeichen der Klimakrise, Bezahlung der Supermarkt-Mitarbeiter, Kontrolle der Lieferketten, Auswirkungen der Discountermentalität auf Ressourcenverbrauch, Umweltbelastung und Arbeitsbedingungen und damit auf den Menschen, Lebensmittelverschwendung, Prägung des Ess- und Konsumverhaltens durch Supermärkte oder eben der erwähnte Preiskampf zwischen Supermärkten und Produzenten.
Wie wir zu mehr Konsum verführt werden, darüber ist schon mehr als reichlich berichtet worden. Welche systemischen Gründe und Folgen das hat und welche Rolle hier Supermärkte spielen, wären daher die interessanteren Fragen gewesen. Aber nicht nur das Was, sondern auch das Wie ist eine Achillesferse der Dokumentation, denn das gerät ein bisschen zu unpräzise.
Wäre schön gewesen: weniger "inside" und mehr "outside"
Da begleitet Stefan Uhl zum Beispiel den Marktleiter einer Aldi-Filiale bei den morgendlichen Arbeiten vor der Eröffnung und kommt dabei an den Automaten vorbei, in denen gerade Brötchen und Co. aufgebacken werden. Da entfährt Uhl ein "Ich nutze die Gelegenheit und schnüffle ein bisschen weiter im Lager rum. Hier riecht’s nämlich gut". Diese Wahrnehmung mag für Uhl stimmen, ist aber doch ziemlich relativ. Für jemanden, der Discounterbackwaren gewohnt ist, mag es in der Tat gut riechen, einen Biobäcker hingegen wird es bei dem Geruch vielleicht eher schütteln.
Ein "Hier riecht es nämlich nach frischen Backwaren" wäre hier also ein bisschen neutraler gewesen und überliesse dem Zuschauer die Entscheidung, wie Discounterbrötchen nun riechen. Und auch an anderer Stelle ist Uhl ein bisschen unkritisch. So darf ein Aldi-Regionalgeschäftsführer über die üblichen Montags- und Donnerstagsangebote als "Aspekt, Kundenzahlen ein bisschen zu lenken und zu steuern" sprechen, ohne dass Uhl das für den Zuschauer noch einmal eindeutig als "Lockangebote" übersetzt. Und wenig später erklärt ein Edeka-Marktleiter, dass er bei der Gestaltung seines Marktes darauf achtet, Schülern den Weg zu den Süssigkeiten und danach zur Kasse zu erleichtern. Auch da hätte Uhl gerne einmal nachfragen dürfen.
Und so wirkt "stern TV: Inside Supermarkt" bisweilen wie eine Aneinanderreihung mehrerer Folgen "Die Sendung mit der Maus". Auf der "Wie funktioniert eigentlich ..?"-Ebene ist auch nichts dagegen einzuwenden und der Zuschauer wird hiervon sicher Einiges im Hinterkopf haben, wenn er das nächste Mal einkaufen geht. An Hintergrundfragen, die diesem Zuschauer mehr als nur das Technische beibringen, traut sich die Doku aber nur in minimalen Ansätzen heran. Das ist deshalb schade, weil zum "Inside Supermarkt" eben auch das "Outside Supermarkt" gehört.
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