1937 fand das Hahnenkamm-Rennen in Kitzbühel das erste Mal auf der "Streif" statt. Der Film "Streif - One Hell Of A Ride" - der am Mittwochabend im Hauptabendprogramm des ORF zu sehen ist - spürt ihren Legenden nach. Wir haben mit Regisseur Gerald Salmina gesprochen.
Die Streif ist ein Mythos: Das legt Ihr Film "Streif – One Hell Of A Ride" schon in der Anfangssequenz nahe. Die Gefährlichkeit der Strecke ist dabei nur ein Aspekt. Steil ist es in Wengen auch, dort hat es im Gegensatz zu Kitzbühel schon Tote gegeben. Was macht die Streif derart besonders?
Gerald Salmina: Die Streif ist nicht über die Stürze zum Mythos geworden, sondern weil es dort so viele Zuschauer gibt. Die Bevölkerung lebt das Rennen. Das wollten wir auch in dem Film zeigen. Ich wollte zeigen, welche Dimension das Rennen hat. Weltweit gibt es nur ein paar vergleichbare Sportveranstaltungen, etwa den Grand Prix von Monaco oder Wimbledon oder den Super Bowl in den USA. Weil in Kitzbühel das mediale Interesse das grösste ist, hängt der Preis am höchsten. Dort zu gewinnen, macht dich zur Legende.
Auf diese zwei Säulen stützt sich der Film: Einerseits die Leute, die hinter dem Rennen stehen, andererseits die Fahrer, die zeigen, wie es möglich ist, bei diesem Event seine Höchstleistung abzurufen. Das sieht man auch in dem Gleichnis, das im Film vorkommt: Man muss perfekt vorbereitet sein. Kleinigkeiten können genügen, das ganze Vorhaben zum Scheitern zu bringen.
Was mich bei den Dreharbeiten so erstaunt hat: Leute wie
Die Streif hat drei Schlüsselpassagen. Vom Start geht es sehr dramatisch weg, man ist sofort gefordert. Das erste Mal zum Nachdenken kommen die Läufer nach dem Steilhang, nach 50 Fahrsekunden. Und dann wartet die nächste Schlüsselpassage. Und vor dem Ziel entscheidet sich alles. Vor den Augen der Zuschauer – Hausberg, Traverse, Zielschuss – da trennt sich die Spreu vom Weizen. Es kommen viele Faktoren zusammen, die Kitzbühel so speziell machen.
Sind Sie selbst die Streif einmal hinuntergefahren?
Ja, natürlich! (lacht)
Naja, so natürlich ist das nicht! Ich bin im Brixental aufgewachsen und die Streif einmal zu Fuss runtergegangen und ein andermal das letzte Stück gerodelt.
Ich könnte sie nie im Renntempo runterfahren, unmöglich. Da müsste man sich vorbereiten. Daron Rahlves hat drei Jahre Pause gemacht, ist als Vorläufer runter und war sechs Sekunden hinter dem Ersten. Der ist aber super trainiert. Wenn du als normaler, sportlicher Skifahrer da runterfährst, ist das ein ganz anderes Skifahren, als wenn du am Limit fährst und die letzten Hunderstel herausquetscht. Von dem her zählt es nicht, wenn man sagt, man ist mal die Streif runtergefahren.
Wann ist die Idee zum Film entstanden?
2003, als Daron Rahlves gewonnen hat. Wir wollten 2004 ein Einzelsportler-Porträt machen, das hat aber nicht geklappt. Wir hatten Probleme, zu filmen. Dort, wo es spektakulär ist, kannst du keine Kamera aufstellen. Du stehst da und überlegst dir, wie ein Fahrer bei einer völlig vereisten Piste mit 100 km/h praktisch eine rechtwinkelige Kurve fährt, zehn Zentimeter neben dem Zaun. Alle diese Dinge sind schwer einzufangen. Ein wenig davon haben wir geschafft. Ganz zufrieden bin ich nicht, weil der Hausberg weggefallen ist. Auf den haben wir viel gesetzt.
Anfangs ist alles ziemlich nach Drehbuch abgelaufen. Dann wird der Hausberg von der FIS nicht genehmigt. Gleichzeitig verletzt sich der Hauptdarsteller, Eric Guay, und kann nicht mitfahren. Da glaubst du, das ist eine griechische Tragödie. Wir hatten kein Geld mehr für eine Verschiebung und dachten, probieren wir es trotzdem. Wir sind belohnt worden vom Glück, weil die Geschichte mit Hannes Reichelt, dass der da mit einem Bandscheibenvorfall runterfährt und als Österreicher die Streif gewinnt, sehr speziell ist.
Da lässt sich herauslesen, dass der Film vor allem für Skifans gedacht ist.
Absolut. Natürlich haben wir viele aus dem Publikum befragt, die Skifahren in der Form noch nicht gekannt haben. Es berührt die Leute trotzdem. Klar, wenn du Skifahrer bist, funktioniert der Film doppelt so gut. Das ist wohl der Grund, warum du überhaupt ins Kino gehst.
Sie räumen den Läufern, die auf der Streif gestürzt sind, relativ viel Platz ein. Warum haben Sie sich dazu entschlossen, so viele Sturzsequenzen zu zeigen – in Wiederholungen, Zeitlupen, aus mehreren Perspektiven?
Wiederholung ist keine drin. Wir haben die Zeitlupen übernommen, die das Archivmaterial des ORF uns geboten hat. Wir haben versucht, zwei Dinge zu zeigen. Zum einen, wie sich die Sicherheit entwickelt hat. Man hat mit Zaunlatten und Strohmatten angefangen, später hat es doppelte Zäune gegeben. Zum anderen geht es um das Restrisiko. Bernie Ecclestone hat, als er die Streif zum ersten Mal gesehen hat, gesagt: "Da fahren die Leute nackt runter!" In der Formel 1 hast du wenigstens ein Cockpit, auf der Streif nur einen Helm, der nichts bringt, wenn dein Kopf auf der betonharten Eispiste aufschlägt. Durch die Wucht wird das Gehirn so auf die Seite gequetscht, dass du automatisch Hirnschäden hast.
Wir haben gesagt, wir zeigen das massiv. Wenn junge Fahrer diese Karriere einschlagen, wirkt das präventiv. Je mehr Stürze du siehst, desto mehr wirst du abgeschreckt, dort ohne Nachdenken runterzufahren. Du musst dir so eine Strecke Jahr für Jahr erarbeiten. Erst irgendwann kannst du riskieren, eine schnelle Zeit zu fahren.
Viele Sportarten werden verherrlicht. Alles ist so schön, alles ist so toll. Aber keiner steht da mit dem Zeigefinger und fragt: "Hast du dir die Konsequenzen überlegt, wenn du zu weit gehst?" Genau das bewirken wir mit den Stürzen und den Geschichten von Hans Grugger und Daniel Albrecht. Wenn der Sturz hart ist, verändert sich dein ganzes Leben.
Im Film sagt der ehemalige Sicherheitschef von Kitzbühel: "Die Leute wollen Stürze sehen." Geht es beim Hahnenkamm-Rennen noch um die sportlichen und technischen Herausforderungen oder sind die Läufer Gladiatoren der Neuzeit?
Mit Sicherheit sind sie zum Teil Gladiatoren der Neuzeit - mit dem Unterschied, dass die Gladiatoren im alten Rom das nicht freiwillig gemacht haben. Die Läufer sind sich des Risikos bewusst, haben sogar Spass daran. Wäre das Risiko nicht da, wäre der Reiz nicht so gross oder der Ansporn, sich diesem Mythos zu unterwerfen. So vereinfachen kann man das aber nicht. Sonst könnte man den gesamten Sport als heutige Brot und Spiele sehen. Das gilt nicht nur für die Streif.
Fast alle Ihrer Protagonisten aus dem Skizirkus werden von Red Bull gesponsert. Hat das Unternehmen den Film mitfinanziert?
Nein, das macht nur den Anschein. Red Bull hat das Luxusproblem, dass es mit Bedacht die besten Sportler auswählt. In unserem Fall waren das Eric Guay und Aksel Lund Svindal. Als wir die zwei gecastet haben, das war 2013, haben wir bei Guay nicht gewusst, dass er so gut fahren wird. Das ist ein Problem für sich, weil Red Bull auch Hauptsponsor des Rennens ist. Das ist aber nicht gewollt.
Das Red Bull Media House macht den Weltvertrieb. Servus TV macht zusammen mit dem ORF einen Teil der Co-Finanzierung aus. Aber hauptsächlich ist das Projekt finanziert über das österreichische Filminstitut, den Filmstandort Österreich, Cine Tirol und die Firma Planet Watch, also meiner Firma. Red Bull ist für den Vertrieb ein guter Partner, weil es für Sportfilme weltweit eigentlich keine Verleiher gibt.
Der weissrussischen Fahrer Yuri Danilochkin ist der einzige der porträtierten Fahrer, der mit dem Sponsorenzirkus gar nichts zu tun hat. Wie sind sie darauf gekommen, ausgerechnet ihn zu begleiten?
Genau aus diesem Grund. (lacht) Der Yuri und seine Mutter sind uns am Start aufgefallen. Seine Mutter hat - bevor er weggefahren ist - schnell noch ein Glas Rotwein getrunken und sich bekreuzigt. Das war sein erstes Rennen. Er ist Letzter geworden, glaube ich, oder Vorletzter.
Wir haben zu recherchieren angefangen und auch mit den beiden gesprochen. Die Geschichte hat mir gefallen. Wenn jemand als Lebenstraum hat, einmal unter die besten zehn zu kommen und kein Geld hat, im Auto schlafen muss, Bekannte um Benzingeld anbetteln muss, überhaupt nicht weiss, wo er am nächsten Tag schlafen wird... und trotzdem trainieren und Leistung bringen muss: Das wird einfach vergessen in unserer Zeit.
Die meisten Länder haben ein gutes Budget. Da gibt es eine Selektion von Kindheit an. Alles ist da, wenn du Leistung bringst. Leute wie Yuri Danilochkin geben aus der Faszination am Sport heraus alles. Wer aus Deutschland, Österreich oder der Schweiz wäre bereit, so etwas zu machen? Ich glaube, ich kenne keinen Einzigen, der solche Mühen auf sich nehmen würde. Die Leidenschaft dahinter wollte ich zeigen.
Haben die Danilochkins dieser Welt überhaupt Chancen auf die Weltspitze im Skirennsport?
Yuri war vergangenes Jahr im Super-G zwei Sekunden hinter dem Sieger. Das ist extrem gut. Im Slalom ist heuer ein Russe aus dem Nichts gekommen. Natürlich ist alles möglich. Er braucht die richtigen Trainer, und das ist halt nicht seine Mutter. Für ganz vorne wird es nicht mehr reichen, aber da ist sicher noch einiges drin - wenn er ein professionelles Umfeld hat.
Sie arbeiten im Film notgedrungen auch mit Archivmaterial. Wie viel haben Sie selbst gedreht?
Archivmaterial sind genau 30 Minuten in einem Film von zwei Stunden. Die meisten Bilder der Streif sind von uns. Wir haben diese "CamCat" zum ersten Mal in Kitzbühel eingesetzt. Die geht vom Hausberg runter bis ins Ziel. Das war logistisch relativ schwierig. Die Idee war, zu zeigen, wie steil der Hausberg ist, wie hart es ist, da eine gute Linie zu finden, wenn man durchgeschüttelt wird von vorn bis hinten. Das ist 2014 leider verloren gegangen, weil der Hausberg nicht gefahren wurde.
Wir haben viele eigene Kameras aufgestellt. Wir haben vom ORF unterstützend ein paar Bilder bekommen, so wie der ORF Material von uns bekommen hat. Zum Beispiel hat er die "CamCat" für die Live-Übertragung genutzt. Das war Teil des Konzepts. Wir haben uns mit dem ORF abgesprochen, damit er die Kameras dieses Mal dort aufstellt, wo sie auch für den Kinofilm von Nutzen sind. Das war schon eine Gemeinschaftsproduktion.
Beim aktuellen Film haben Sie erneut mit Freeskier Axel Naglich zusammengearbeitet, der bei Ihrem ersten Kinoerfolg "Mount St. Elias" zu den Protagonisten gehörte. Was war diesmal anders?
"Mount St. Elias" haben wir zu siebt gemacht, zwei Sportler und fünf Leute von der Crew. Wir waren alle Teil der Expedition und haben unser Leben riskiert, damit dieser Film entsteht. Das war ein ganz anderer Zugang. Auf der Streif hat niemand von uns sein Leben riskiert. Was dokumentarisch nicht funktioniert hat, haben wir inszenieret - aber auch nur in dem Sinn, dass wir mit dem Mittel der Illusion eine wahre, authentische Geschichte erzählt haben. Die der Protagonist so unterschreiben kann - siehe Hans Grugger im Krankenhaus.
Axel Naglich ist dabei, weil er neben der Streif wohnt und einer meiner besten Freunde ist. Wir sind beide Skifahrer und fasziniert von diesem Sport. Wir wollten einen zweiten grossen Skifilm machen. Axel wollte vom K2 mit Ski runterfahren. Wir waren zur Vorbereitung im Himalaya, als in der Nordwand des Everest in rund 7.000 Metern eine Lawine abging, die uns knapp verfehlt hat. In dieser Lawine ist ein ungarischer Bergsteiger vor unseren Augen gestorben. Das hat uns so mitgenommen, dass wir laut darüber nachgedacht haben, ob wir unser Glück noch weiter strapazieren können.
Auf dem Rückweg vom Basecamp kriege ich die Nachricht, dass Axels Expeditionspartner Peter Ressmann bei einem Kletterunfall gestorben ist. Danach war die Luft völlig heraussen. Wir wollten das Projekt ohne Peter nicht machen. Dann haben wir gesagt, die Streif ist auch eine würdige Abfahrt, das sollten wir machen.
Bei "Mount St. Elias" haben Sie sich stark darauf konzentriert, den Berg erzählen zu lassen: Sie sind mit den Sportlern nach Alaska gereist, haben mit Hubschrauber und ruhigen Landschaftsaufnahmen gearbeitet. Bei "Streif – One Hell Of A Ride" setzen Sie auf schnelle, harte Schnitte. Ist das auch diese Inszenierung, von der Sie gesprochen haben?
Der Unterschied ist vor allem inhaltlich. Bei "Mount St. Elias" kannst du den Berg als grossen Gegenspieler darstellen. Du hast ja nur zwei Darsteller, maximal drei. Einer hat ja während der Filmproduktion aufgegeben.
Die Streif hat 75 Jahre Geschichte. Ich musste elf Darsteller miteinander verknüpfen. Die Geschichte zu erzählen, war viel schwieriger. Du hast die Historie mit ihren Helden, du hast fünf Skifahrer, denen du nahe kommen willst, du hast Leute vom Kitzbüheler Skiclub und du hast die Schicksale von Daniel Albrecht und Hans Grugger. Da müsste man als Filmemacher fast sagen, diese Geschichte zu erzählen, das geht schief. Ich habe es trotzdem probiert.
Vielen Dank für das Gespräch!
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