Im Interview mit unserer Redaktion erklärt der 55-jährige Wiener Cornelius Obonya, warum es wichtig ist, Kriegsverbrecher unabhängig ihres Alters für ihre Taten zur Rechenschaft zu ziehen. Zudem spricht Obonya, der sich auch die Themen Migration und seltene Krankheiten auf die Fahne geschrieben hat, über seine vielfältigen Engagements abseits der Schauspielerei.
An diesem Sonntag zeigt die ARD (20.15 Uhr) den 13. "Tatort" mit Ulrich Tukur als Felix Murot. In "Murot und das 1000-jährige Reich" soll einem gesuchten Kriegsverbrecher in Deutschland der späte Prozess gemacht werden.
In die Rolle eines Juristen und Nazis schlüpft mit Cornelius Obonya ein Schauspieler, der sich ehrenamtlich gegen Antisemitismus stark macht.
Herr Obonya, wer ist die fiktive Person, die Sie in dem "Tatort"-Fall "Murot und das 1000-jährige Reich" verkörpern?
Cornelius Obonya: Ich spiele den Bernhard Tabler, der von sich behauptet, ein Jurist zu sein. Er behauptet auch, einst an jenen Gesetzen mitgearbeitet zu haben, die letztendlich dazu führen sollten, die deutsche Justiz judenfrei zu bekommen. Er ist also schlicht und ergreifend ein Nazi. Für mich war es eine Herausforderung, eine Figur zu verkörpern, die offensichtlich auf verschiedenen Ebenen vom Weg abgekommen und am Ende in einem kleinen Dorf in Deutschland untergekommen ist. Wahrscheinlich war Bernhard Tabler mal ein wirklich guter Jurist, ehe er durch mehrere Dinge falsch abgebogen ist.
In dem Film wird eine Brücke zwischen den schrecklichen Taten des Zweiten Weltkriegs und der Gegenwart geschlagen. Haben Sie auch zugesagt, weil Ihnen die Aufarbeitung dieser Verbrechen als Präsident der Aktion gegen den Antisemitismus in Österreich (AgA) besonders am Herzen liegt?
In der Tat ist diese Aufarbeitung für mich von grosser Bedeutung. Meine Besetzung für diesen Film war allerdings reiner Zufall. Sie hat also nichts mit meinem Ehrenamt zu tun, das ich bekleiden darf. Generell habe ich das Gefühl, dass das Wissen um die damaligen Kriegsverbrechen verloren geht.
Ganz banal ausgedrückt: Der Holocaust wird in der Wahrnehmung mehr und mehr zu irgendeinem Massaker. Insbesondere die junge Generation ist zwiegespalten. Es gibt junge Leute, die sich damit auseinandersetzen und zum Beispiel gerne Gedenkdienste ausüben. In derselben Generation haben wir es aber auch mit einer vollkommen anderen Schicht von Menschen zu tun. Diese Leute haben zum Teil noch nie etwas davon gehört.
Cornelius Obonya: "Es geht überhaupt nicht darum, sich zu entschuldigen"
Oder sie wollen davon nichts gehört haben, weil sie sich nicht für Dinge entschuldigen oder rechtfertigen möchten, die sich weit vor ihrer Geburt ereignet haben …
Es geht überhaupt nicht darum, sich zu entschuldigen. Es geht darum, zu gedenken und sich bewusst zu machen, dass die Linie vom gesprochenen, hassenden Wort zur hassenden Tat fadendünn ist. Es kann jede Generation treffen.
Auch ich kann mich dafür nicht entschuldigen, denn ich habe nichts getan. Das ist dann die Gnade der späten Geburt. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass es heutzutage so viele Dinge gibt, die wir alle miteinander falsch machen, dass die Gnade gar nicht mehr so gross sein kann (lacht).
Wie gefährlich ist diese Entwicklung?
In dem Moment, in dem das eintritt, können die betroffenen Personen mit Sätzen wie "Europa ist ein Friedensprojekt" nichts mehr anfangen. Sätze wie diese geben aber einen Hinweis darauf, warum es so wichtig ist, den europäischen Gedanken zu erhalten. Einer ganz jungen Generation, die Wohnungsnot hat oder keine Ausbildungsplätze bekommt, ist das aber herzlich egal. Meiner Meinung nach kann man das nachfühlen. Und trotzdem muss man dagegenhalten und die jungen Menschen daran erinnern, dass es noch nie einen so langen Zeitraum gegeben hat, in dem in unseren Breitengraden kein kriegerischer Schuss mehr gefallen ist.
"Zwischen die AfD und die FPÖ passt mittlerweile kein Blatt mehr"
Nehmen Sie hier die Politik in die Pflicht – sowohl in Deutschland als auch in Ihrer österreichischen Heimat?
Viele Politikerinnen und Politiker sind durchaus guten Willens, doch sie erklären viel zu wenig. Wenn nur noch mit Schlagworten um sich geworfen wird, die keinen Menschen mehr hinterm Ofen hervorlocken, dann braucht man sich nicht zu wundern, wenn sich in Ihrem Land die AfD und in meinem Land die FPÖ weiter ausbreiten können.
Im Übrigen passt zwischen diese beiden Parteien mittlerweile kein Blatt mehr. Der Unterschied ist lediglich, dass das deutsche Bundesverfassungsgericht stärker besetzt ist und andere Diskussionsgrundlagen hat. Wäre das in Österreich der Fall, müsste man der FPÖ zum Teil ebenfalls ein Verbot aussprechen. Es wird immer schwieriger, diese Dinge klar zu benennen, weil man in der Politik Koalitionen suchen muss – nach dem Motto "Man könnte ja ...". Nein, man könnte nicht! Und dieses "Nein, man könnte nicht!" ist mir viel zu schwach.
Ist es insofern ein Segen, dass Sie diesem "Nein, man könnte nicht!" mit Ihrer Kunst Ausdruck verleihen dürfen?
Wenn ich tatsächlich durch meine Kunst und meinen Beruf so ein Thema beackern darf, dann bin ich sehr glücklich – obwohl es mich natürlich nicht glücklich macht. Denn eigentlich sollte es gar nicht so sein. Ich würde gerne Abenteuergeschichten oder einen "ganz normalen Mörder" spielen. Abseits meiner Kunst versuche ich mich im Sinne von Sir Peter Ustinov einzubringen. Also: Wenn wir schon das Glück haben, mit unserem Beruf eine gewisse Bekanntheit zu erreichen, dann sollte man diese hoffentlich auch für die richtigen Dinge nutzen.
Sind Sie aus diesem Grund auch als Botschafter der "Pro Rare Austria", die für seltene Krankheiten sensibilisieren möchte, im Einsatz?
Ich habe mich dafür entschieden, weil auch ich nicht die geringste Ahnung hatte, worum es hier eigentlich geht. Menschen mit seltenen Erkrankungen haben vor allem zwei Dinge nicht: Sie haben meistens keine Lobby und sie haben häufig keinen Zugang zu den richtigen Ärzten. Da diese Krankheiten – wie der Name schon sagt – extrem selten sind, wissen auch die Ärzte oft nicht, womit sie es zu tun haben und wohin sie den Patienten schicken sollen. Doch die Krankheit existiert und schreitet weiter fort. Es gibt aber keinerlei Information und daher auch keine Medikation.
Um welche Krankheiten geht es?
Zunächst einmal kommen durch Umwelteinflüsse immer neue Krankheiten hinzu, speziell bei Neugeborenen und Frauen. Auch werden wir immer immuner gegen Antibiotika. Viele der Krankheiten, denen sich diese Gesellschaft widmet, sind Autoimmunerkrankungen. Es geht darum, die Patienten, vor allem aber auch die Ärzte, miteinander zu vernetzen – um eine Kommunikation über etwas zu erreichen, das sich keiner erklären kann. Erst dann kann man in die Forschung gehen.
Obonya spielt liebend gern den "Bösen"
Zurück zur Schauspielerei: Spielen Sie den "Bösen" lieber als den "Guten"?
Für einen Schauspieler ist es grundsätzlich fein, wenn er genau das Gegenteil von dem darstellen darf, was er persönlich vertritt. Und ja, abgesehen davon spiele ich liebend gern den sogenannten "Bösen". Mit Blick auf "Murot und das 1000-jährige Reich" bestand meine Herausforderung darin, die Vielschichtigkeit dieser Figur in ihrer Kürze darzustellen. Inhaltlich geht es um die individuelle Verantwortung und nicht um die Kollektivschuld. Jeder hat zu jedem Zeitpunkt in seinem Leben – auch wenn er der grösste Nazi ist – noch in der letzten Sekunde Zeit, um sich anders zu entscheiden. Wenn er das nicht tut, muss er mit den Konsequenzen leben. Und auch Kommissar Murot kommt im Verlauf der Handlung irgendwann an den Punkt, an dem er seine eigene Verranntheit zugeben muss.
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Warum ist es so wichtig, dass sich Kriegsverbrecher auch im hohen Alter noch vor Gericht für ihre Taten verantworten müssen?
Ich bin absolut davon überzeugt, dass sich Kriegsverbrecher unabhängig ihres Alters verantworten müssen – im Sinne von "Nazi-Jäger" Simon Wiesenthal und seinem Buch "Recht, nicht Rache". Selbst wenn jemand 105 Jahre alt ist und nur einen einzigen Tag vor Gericht steht, dann wird man ihm die Frage stellen – und er wird sein Urteil bekommen. Auch das ist Justiz im besten Sinne.
"Wir Schauspieler geben nur unsere Stimme, die wirkliche Arbeit aber leisten andere Menschen"
Sie haben sich zudem dem Thema Migration verschrieben und standen vor einigen Jahren im Regen vor dem Bundeskanzleramt, um auf die katastrophale Situation von geflüchteten Menschen auf den griechischen Inseln aufmerksam zu machen. Folgen mittlerweile mehr oder weniger Menschen Ihrem Beispiel?
Leider eher weniger. Ich bin nach wie vor Bestandteil der Initiative "Courage – Mut zur Menschlichkeit". Gegründet wurde die Initiative von meiner Kollegin Katharina Stemberger, die damit darauf aufmerksam machen wollte, dass es nicht sein kann, dass wir am Rande Europas Lager bauen – für Menschen, die bereits Asylrecht haben.
Die Ungarn errichten aktuell schon wieder ein Lager an der Grenze und hatten darüber hinaus noch die Dreistigkeit, das monatelang zu leugnen. Der Aufschrei fiel mir viel zu gering aus. Wir bleiben aber dran und haben zum Beispiel erst am Donnerstagabend einen Menschenrechtspreis verliehen. Mit diesem Zeichen versuchen wir den Menschen etwas zurückzugeben, die sich engagieren. Wir Schauspieler geben nur unsere Stimme, die wirkliche Arbeit aber leisten andere Menschen.
Künstlerisch sind Sie vielschichtig tätig, etwa als Opern-Regisseur an der Seite Ihrer Frau Carolin Pienkos. Welches Publikum sprechen Sie beide mit Ihrer Arbeit an?
Im Prinzip erzählen wir Geschichten, die die Leute immer wieder hören wollen. Schon im Mittelalter gingen Menschen auf den Marktplatz, um einem Geschichtenerzähler zuzuhören. Das ist der Grund, warum wir Bücher lesen, Filme schauen und ins Theater gehen. Wir inszenieren Opern, die ein Stück weit gefühlsbetont sind. Wir verspüren beide nicht den Drang, etwas musikalisch Hochkompliziertes auf die Beine zu stellen, nur um intellektuell beeindrucken zu können. Wir wollen Menschen treffen – im Sinne des Kraftwerks der Gefühle. Nicht ohne Grund gelten "La traviata" und Co. als Ewigkeitsgeschichten, die immer da sein werden.
Auch der "Tatort" ist gefühlt eine "Ewigkeitsgeschichte". Welchen Ermittlern, abgesehen von dem Wiesbadener Duo Felix Murot und Magda Wächter, schauen Sie am liebsten zu?
Alles, was aus dem deutschen Norden kommt, gefällt mir persönlich besonders gut. Je kühler und näher an den Inseln, desto lieber schaue ich den jeweiligen "Tatort". Diese Direktheit schätze gerade ich als Österreicher sehr. Aber auch die Münchner Kommissare Batic/Leitmayr habe ich immer gerne gesehen.
Über den Gesprächspartner
- Cornelius Obonya ist ein österreichischer Schauspieler, der zu Beginn seiner Karriere beim Wiener Volkstheater engagiert war und in späteren Jahren (von 2013 und 2016) bei den Salzburger Festspielen den "Jedermann" spielte. Der 55-Jährige entstammt einer bekannten Schauspieler-Familie: Er ist der Sohn von Eilisabeth Orth, der Neffe von
Christiane Hörbiger sowie der Enkel von Attila Hörbiger und Paula Wessely. Mit seiner Frau Carolin Pienkos inszeniert Obonya Opern. In diesem Jahr wurde er in der Kategorie "Bester Interpret" mit dem Deutschen Hörbuchpreis ausgezeichnet.
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