Mit Kugel im Kopf auf Mörderjagd? Für Moritz Eisner kein Problem. In Kärnten sucht der verletzte ORF-"Tatort"-Kommissar den Mann, der ihn töten wollte – und kommt dabei der Nazi-Vergangenheit einer Dorfgemeinschaft auf die Spur.

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Wie in David Lynchs "Lost Highway" rast die Kamera knapp über dem Mittelstreifen einer nächtlichen Landstrasse dahin. Kommissar Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) manövriert seinen Wagen scheinbar ziellos durch die Nacht, kommt in einem Steinbruch zum Stehen – und sinkt im nächsten Moment von einem Kopfschuss getroffen zusammen. So beginnt der erste Kärnten-"Tatort" des ORF. Eichner überlebt, doch im Krankenbett hält es ihn nicht. Ungeachtet des Kugelfragments in seinem Schädel begibt er sich auf die Jagd nach dem Schützen. "Ich bin fit", trotzt der halluzinierende Kommissar seinen besorgten Kollegen - eine Sekunde, nachdem er sich auf den Präsidiumsboden übergeben hat.

Krassnitzer spielt den angeschlagenen Kommissar mit Narbe am Kopf und blutunterlaufenem Auge grandios. Regisseur Sascha Bigler lässt den Zuschauer geschickt in dessen verzerrte Wahrnehmung eintauchen. Grelle Traumsequenzen und surreale Szenen durchbrechen immer wieder die Handlung. So taumeln Zuschauer und Kommissar Hand in Hand rätselnd durch den Krimi, denn Eisner kann sich aufgrund einer Amnesie zunächst nicht mehr an die Tage vor dem Mordversuch erinnern – ausser an ein silbergraues Auto. Nur langsam schliessen sich die Erinnerungslücken.

Die Spurensuche beginnt in einem kleinen Ort in Kärnten. Mit vielen satirischen Details lässt Regisseur Bigler eine trostlose Provinz-Atmosphäre entstehen. Dilettantische Dorfpolizisten werfen ihre Dartpfeile auf ein Foto der Kabarettisten Stermann und Grissemann, die Wirtin der Dorfgaststätte unterdrückt eine Träne bei "Barbara Karlich", während der demenzkranke Opa versucht, sein Schnitzel mit dem Löffel zu schneiden. Die ländliche Trübheit liefert den perfekten Nährboden für starke Dialoge zwischen den als "linkes Gesindel" beschimpften Wiener Kommissaren Eisner und Bibi Fellner (Adele Neuhauser). In einer Szene sitzen sie auf dem Balkon des Gasthauses. Der Regen prasselt. Über die Balkontrennwand hinweg sprechen sie über das verlogene "Tuscheln, Mauscheln und Jaulen" der Dorfbewohner. "Die Wahrheit könnte ja die Wirklichkeit zerstören", sagt Eisner.

"Wenn schon eine Kugel im Kopf, dann wenigstens für eine Frau"

Die Handlung nimmt an Fahrt auf, als eine Frauenleiche auftaucht – im Kofferraum des silbergrauen Autos aus Eisners Erinnerung. Die Tote kennt er gut: Die Journalistin und Dokumentarfilmerin Maja Jancic ist eine Liebschaft Eisners. "Wenn schon eine Kugel im Kopf, dann wenigstens für eine Frau", sagt Bibi Fellner. Was der ermordeten Journalistin zum Verhängnis wurde: Sie versuchte in der scheinheiligen Dorfgemeinschaft über ein totgeschwiegenes SS-Massaker im Ort zu recherchieren und den Namen des letzten noch lebenden Täters zu enthüllen.

Jetzt scheint der "Tatort" sein sozialkritisches Thema gefunden zu haben. Jancics Dokuszenen mit einem berührenden Interview mit der letzten Überlebenden des Massakers lassen den Zuschauer quasi als Film im Film in das dunkle Kapitel eintauchen. Archivaufnahmen von mordenden Nazi-Truppen – schon zu Beginn angedeutet in Eisners Traumsequenzen – vertiefen die Atmosphäre.

Man ahnt jedoch Übles, als Jancics Ehemann eingeführt wird. Richard Herzog (leider sehr hölzern gespielt von Merab Ninidze) ist Projektleiter bei einem Pharmakonzern, zeigt sich über den Tod seiner Frau nicht besonders beunruhigt und gibt auch sonst von der ersten Sekunde an den klischeehaften, eindimensionalen Verdächtigen. Beim Stichwort "Pharmakonzern" dürfte für den "Tatort"-Geübten eigentlich alles klar sein. Die Enthüllung, dass Herzog bei klinischen Versuchen mit Alzheimerpatienten in Georgien den Tod von 36 Menschen verursachte, soll dem Krimi gegen Ende noch die überraschende Wendung geben, ist jedoch reichlich überflüssig. Sie reisst den Zuschauer im wahrsten Sinne meilenweit weg von der behutsam eingeführten Dorfgemeinschaft und der Massaker-Leugnung. Nazi-Kriegsverbrecher und Pharma-Mafia - beides zusammen sind selbst für einen "Tatort" einfach zu viel.

Auch das Publikum konnte der ORF-"Tatort" trotz der vielen guten Ansätze nicht vollends überzeugen. Mit 7,69 Millionen Zuschauern war es die bisher schwächsten "Tatort"-Ausgabe des Jahres. Den Tagessieg fuhr der Krimi mit einer Quote von 22,3 Prozent aber dennoch ein.

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