Empörtes Ordnerschleppen als Ermittlungsmethode: Im "Tatort: Das Verhör" soll ein chauvinistischer Bundeswehrhauptmann eine Bankerin ermordet haben. Kommissarin Lena Odenthal will ihn mit zweifelhaften Methoden einschüchtern. Der erste "Tatort" nach der Sommerpause ist oft lächerlich und selten spannend.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Iris Alanyali dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Es gibt eine Menge Möglichkeiten, seine Empörung zu zeigen. Man kann empört gucken. Das machen die Kommissarinnen Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) und Johanna Stern (Lisa Bitter) schon immer gern, besonders, wenn es um grausame Verbrechen gegen Frauen geht.

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Man kann auch ganz unvermittelt Beleidigungen in den Raum rufen. Das macht der Bundeswehr-Hauptmann Kessler (Götz Otto), wenn er seinen Widerwillen gegen die Kommissarinnen einmal kurz nicht unter Kontrolle hat und ihm sein süffisantes Grinsen aus dem Gesicht rutscht. Dieser "Tatort" aus Ludwigshafen führt noch eine dritte Methode ein, Empörung zu demonstrieren: Ordner schleppen.

"Das Verhör": Mit Unmengen Papier Druck aufbauen

Und was werden die Ordner in "Das Verhör" durch die Büros geschleppt! Rein in den Raum, raus aus dem Raum, grosse Packen, kleine Packen, es soll wichtig wirken, sagen die Kommissarinnen. Je höher der Stapel Papiere, desto grösser die Unruhe beim Verdächtigen, hoffen sie. Hat eben jede "Tatort"-Kommissarin so ihre eigenen Methoden. Aber ein besonders überzeugender Start in die neue Saison ist dieser erste "Tatort" nach der Sommerpause nicht.

In "Das Verhör" wird eine erfolgreiche Frau grausam umgebracht, offenbar nur, weil sie eine erfolgreiche Frau war. Eine geschiedene Investmentbankerin wird direkt vor ihrem Büro gekidnappt und an einer einsamen Stelle am See bei lebendigem Leib verbrannt. Hexenverbrennung? Lena Odenthal ist entsetzt und überzeugt: Sie hat es mit einem Femizid zu tun, einem Mord aufgrund des Geschlechts.

Routinemässig wird erst einmal der Exmann (Jonathan Müller) verdächtigt, laut Schwiegermutter ein Loser mit überzeugendem Motiv, aber noch besserem Alibi. Dann führen Reifenspuren zu Hauptmann Kessler. Das titelgebende Verhör beginnt. Und das empörte Ordnerschleppen.

Klischeehafte Rollenbilder von Mann und Frau

Denn Hans-Joachim Kessler ist Hauptmann alter Schule. Hart gegenüber jungen Soldaten, die zu richtigen Männern gemacht werden müssen, und charmant gegenüber Frauen, solange sie sich ihres Platzes in der naturgegebenen Hierarchie der Geschlechter bewusst sind: Die hilfsbereite Sekretärin Edith Keller (Annalena Schmidt) wird charmant bezirzt, die fordernde Kommissarin Stern bei der Speichelprobe in den Finger gebissen.

Schockiert greift sich Johanna Stern daraufhin die Ordnermappe und stürmt aus dem Vernehmungszimmer. Nach kurzer Besprechung kehrt eine empörte Lena Odenthal mit einer dickeren Akte zurück. Jetzt wollen die Kolleginnen es dem Ekel Kessler zeigen! Wäre doch gelacht, wenn sich so ein selbstgefälliger Chauvinist von einem dicken Aktenstapel nicht in die Knie zwingen liesse!

Mit den richtigen Mitteln hätte "Das Verhör" ein intelligenter Machtkampf werden können. Aber Esther Wengerts Inszenierung, Stefan Dähnerts Drehbuch und auch die Hauptdarstellerinnen fürchten sich vor Subtilität. Das Ordnerschleppen ist nur der auffälligste Ausdruck einer allgemeinen Geschäftigkeit und demonstrativen Ereiferung, die zusammen mit ein paar ziemlich hanebüchenen Szenen und Plattitüden diesen Krimi nahe an der Grenze zur Lächerlichkeit entlang schlittern lassen.

Statt sich auf den Zweikampf zwischen Kommissarin(nen) und Hauptmann zu konzentrieren, wird noch ein sympathischer, aber unfähiger und unnötiger Anwalt (Emre Aksizoglu) in den Raum gesteckt. Statt die Vernehmung zu einem eleganten Duell zwischen Kommissarin und Hauptmann zu machen, ist Götz Otto als Kessler einfach nur unsympathisch und Ulrike Folkerts als Lena Odenthal einfach nur nervig.

Flashback zu alter "Tatort"-Folge "Nahkampf"

Das ist umso enttäuschender, als Folkerts und Otto sich vor 25 Jahren schon einmal als "Tatort"-Kommissarin und Bundeswehrsoldat gegenüber standen. Mit den Ausschnitten aus "Nahkampf", die das Erste auf seiner "Tatort-Extras"-Webseite präsentiert, tut es sich keinen Gefallen: Lena Odenthal guckt und spricht noch genau so wie 1997.

In "Das Verhör" hat die Kommissarin keine Beweise, nur ihr Bauchgefühl. Man könnte das auch Erfahrung nennen. Man könnte zeigen, wie sie mit selbstsicherer Kompetenz den komplexbehafteten Wurm hinter Kesslers blasierter Maske hervorlockt. Stattdessen muss Lena Odenthals unprofessionelle Erregung wieder einmal als Beweis der aufmüpfigen Leidenschaft herhalten, mit der sie ihren Beruf ausübt.

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Männer also bewahren die Ruhe, und Frauen sind zu emotional, um in brenzligen Situationen die Oberhand behalten zu können? Letztendlich zementiert "Das Verhör" genau jene Klischees, gegen die ein Film mit diesem Thema eigentlich angehen sollte.

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