Es ist Routine eingekehrt in "The Voice of Germany". Dauerhysterisches Publikum trifft auf dauerblödelnde Juroren. Daran kann auch die Rückkehr von Samu Haber nichts ändern. Doch ausgerechnet der letzte Kandidat zeigt, dass die Casting-Show immer noch überraschen kann.

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"The Voice of Germany" ist ein bisschen grausam geworden. Hannah, 18 Jahre, blaue Haare und nach eigenem Empfinden "verrückt" und "tollpatschig", hat gerade gesungen und niemand dreht sich herum. Kein: "Das reicht noch nicht, aber mach auf jeden Fall weiter."

Oder: "Du hast Talent, aber mir hat da einfach das Besondere gefehlt." Jene Floskeln, mit denen die Kandidaten die letzten fünf Staffeln der Castingshow aus dem Saal komplimentiert wurden. Stattdessen blickt sie auf die die Namen, die auf Rückseite der Sessel leuchten. Samu, Yvonne, Michi, Smudo und Andreas. Und verlässt wortlos das Studio.

Es ist die einzige Neuerung in der Show, die mittlerweile in die sechste Staffel geht. Abgesehen von der Jurorin Yvonne Catterfeld und der unfreiwilligen Rückkehr von Publikumsliebling Samu Haber, dessen eigene Musikshow "Die Band" gnadenlos floppte. An der Dramatik der Show ändert das wenig. Zumal die neue Regel direkt in der ersten Folge gebrochen wird.

Die Zwillinge Diana und Daniela sind alte Bekannte von Yvonne Catterfeld. Eine der beiden schickt ihr seit Jahren Bilder, Briefe und Gesangsaufnahmen. Sie ist ihr grösster Fan. Der Titel der beiden, natürlich: "Hände" von Yvonne Catterfeld. Süss, aber schief.

Nicht einmal die bewunderte Sängerin dreht sich um. Sie lässt sich aber dazu hinreissen, zu den beiden auf die Bühne zu stürmen, sie zu umarmen und ein paar Sekunden ihres Songs gemeinsam zu singen.

Routine bei "The Voice"

Es ist nicht zu übersehen, dass im sechsten Jahr von "The Voice of Germany" Routine eingekehrt ist. Das Frische, mit dem sich die Show von Krawall-Casting-Tribunalen wie "Deutschland sucht den Superstar" absetzen konnte, ist der Gewohnheit gewichen. Die Moderatoren fallen, vom seltsamen Britney-Spears-meets-Linebacker-Outfit Lena Gerckes abgesehen, kaum auf.

Die Kandidaten sind gewohnt gut, aber mittlerweile genauso austauschbar wie bei anderen Casting-Formaten. Der Mädchenschwarm singt deutsch, der Metaller grunzt ein wenig, die Soulröhre, nun ja, röhrt. Dazu kommen noch ein paar tote Verwandte oder schwere Schicksalsschläge, garniert von Tränen. Dieter Bohlen gefällt das.

Das wäre nicht weiter erwähnenswert, wenn die kleinen Reibereien zwischen den Juroren den Schmalz und Pathos gewohnt konterkarieren würden. Doch da hakt es in Folge eins der neuen Staffel noch ein wenig. Zwar ist Samu Haber nach seinem Hiatus eine Bereicherung, doch ihm fehlen seine gewohnten Gegenparts, Rea Garvey oder The Boss Hoss.

Stattdessen versuchen sich mittlerweile alle Juroren beim Sprüche klopfen. Mit eher mässigem Erfolg. Das wirkt genauso inszeniert wie das stets am Rande der Hysterie stehende Publikum.

Gurgeln mit Salzsäure

Die formatierte Aufgeregtheit durchbricht ausgerechnet der letzte Kandidat, der so gar nicht in den Castingshow-Alltag passen mag. Marc aus der Schweiz ist ein kleines stämmiges Kerlchen, der in seinem Zuhause am liebsten Gitarren vom Schrottplatz umbaut. Er hat zwei Kinder und will auf der Bühne "einfach nur eine geile Party" veranstalten. Ach ja, und er klingt, als würde er jeden Morgen mit Salzsäure gurgeln.

Nach seinem Auftritt drehen sich nicht nur alle Stühle um, die Jury steht darauf. "Schön euch alle von vorn zu sehen", sagt er darauf. Das Publikum johlt. "Soll ich noch einen Song spielen?", schiebt er hinterher. Und stimmt auf seiner Gitarre das nächste Lied an. Beim dritten Song, begleitet von Samu Haber, tobt der ganze Saal.

Dass er sich für das Team der Fantastischen Vier entscheidet, ist da eher eine Randnotiz.

Die komplette letzte Viertelstunde der Show widmet ProSieben dem Sänger, der so sehr aus dem Rahmen fällt. Seit Thomas Godoj in der fünften Staffel von "Deutschland sucht den Superstar" war wohl noch nie in einer Casting-Show so früh klar, dass hier der Gewinner stehen könnte.

Ein echter Glücksgriff für ein Format wie "The Voice of Germany". Ein Kandidat, dem es nicht um den Ruhm geht, sondern die Musik. Und der auf seine schrullige Art liebenswert und unterhaltsam zugleich ist. Das kann der Show nur gut tun. Wenn es "The Voice of Germany" schafft, noch mehr Kandidaten wie ihn zu finden. Ansonsten spielt der Schweizer einfach noch einen Song. Und noch einen. Und immer so weiter.

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