Die Netflix-Miniserie "Tiger King - Grosskatzen und ihre Raubtiere" ist derzeit weltweit Gesprächsthema und entwickelt sich zum absoluten Überraschungshit. Die Dokumentation begleitet unter anderem den völlig durchgeknallten Wildtierbesitzer Joe Exotic, dessen Leben sich mehr und mehr in eine True-Crime-Story verwandelt. Bei allem Kultpotenzial gibt es aber doch einen grossen Kritikpunkt.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Christian Stüwe dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Ja, die Netflix-Miniserie "Tiger King" ist tatsächlich eine Dokumentation. Die gezeigten Personen sind real, auch wenn man als Zuschauer in einigen Momenten den Eindruck bekommt, eine von Drehbuch-Autoren ersponnene, völlig durchgeknallte Krimiserie zu schauen.

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Eigentlich wollten die Filmemacher Rebecca Chaiklin und Eric Goode eine Dokumentation über Wildtierbesitzer in den USA drehen. Menschen also, die privat Tiger, Löwen, Bären, Alligatoren und Leoparden halten. Die in "Grosskatzen und ihre Raubtiere", wie die Serie im deutschsprachigen Raum heisst, porträtierten Tierhalter erwiesen sich allerdings als dermassen exzentrisch, bizarr und skurril, dass letztlich eine aussergewöhnliche Milieustudie entstand, die seit ihrer Premiere die Netflix-Charts weltweit anführt und das Internet mit Memes und hitzigen Diskussionen befüllt.

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Im Mittelpunkt steht Joe Exotic, ein auf den ersten Blick typisch amerikanischer Hinterwäldler, der grosskalibrige Waffen und Countrymusik liebt und gerne mit Sprengstoff hantiert. Sein Geld verdient Exotic, der eigentlich Joe Schreibvogel und nach mehreren Hochzeiten schliesslich Joe Maldonado-Passage heisst, mit seinem Privatzoo, in dem er mehr als 250 Löwen, Tiger und Leoparden hält. Er züchtet selbst, die frischgeborenen Babys schleppt er in Supermärkte, wo Menschen für ein paar Dollars Fotos mit den kleinen Tigern machen können.

"Tiger King": Joe Exotic heiratet zwei Männer - gleichzeitig

Aber Joe ist nicht nur ein Redneck aus Oklahoma, er ist auch schwul und hat eine Vorliebe für junge Männer. Im Verlauf der Serie heiratet er parallel gleich zwei Männer, die aus unterschiedlichen Gründen in seinem Zoo gelandet sind. Beide haben offensichtlich schwere Drogenprobleme, auch sie werden Teil des kunterbunten Ensembles der Serie. Wie Joes Ehemann John Finlay mit freiem Oberkörper den Dokumentarfilmern Interviews gibt und dabei sein vom Meth-Konsum geschädigtes Gebiss mit einem einzigen Zahn im Oberkiefer präsentiert, lässt die Zuschauer schon einigermassen sprachlos zurück.

Wirklich jede einzelne Person, die bei "Tiger King" vorkommt, scheint unter konventionellen Massstäben betrachtet einen gewaltigen Dachschaden zu haben. Die selbsternannte Tier- und Artenschützerin Carole Baskin, die ebenfalls ein Refugium für Grosskatzen betreibt, wirkt zunächst noch wie der vernünftige Gegenpol zu Joe Exotic. Allerdings steht der Verdacht im Raum, dass sie etwas mit dem Verschwinden eines ihrer reichen Ehemänner zu tun haben könnte. Und wirklich glaubhaft entkräften kann sie diese Vorwürfe nicht.

Verfütterte Carole Baskin ihren Ehemann an ihre Tiger?

Exotic vermutet sogar, dass Baskin ihren verschwundenen Gatten an ihre Tiger verfüttert habe. Diesen Vorwurf verarbeitet er in einem selbstgeschriebenen Country-Song, inklusive Video. Exotic hasst Baskin nämlich leidenschaftlich, da sie seinen am Rande der Legalität betriebenen Zoo schliessen lassen will. Immer wieder bekriegen sich die beiden vor Gericht.

Über einen Zeitraum von fünf Jahren begleiteten die Filmemacher die Grosskatzen-Besitzer, Exotics Hass auf Baskin steigert sich im Verlauf der Zeit schliesslich ins Kriminelle. Ohne allzu fies zu spoilern kann hier verraten werden, dass Exotic mittlerweile tatsächlich zu einer 22 Jahre dauernden Haftstrafe verurteilt wurde, die der Mann mit den blondierten Haaren und unzähligen Piercings in einem staatlichen Gefängnis absitzt. Beziehungsweise derzeit auf einer Krankenstation, da er wegen des Verdachts auf die Corona-Erkrankung COVID-19 isoliert wurde.

Das Leid der Tiere kommt zu kurz

Wie gesagt, die Geschehnisse bei "Tiger King" sind derart unglaublich, dass sich die handwerklich hervorragend gemachte Dokumentation wie eine Mischung aus einem Krimi und einer bizarren Komödie anschauen lässt und die Zuschauer sofort in ihren Bann zieht. Nebenbei werden noch etliche höchst interessante Nebenfiguren eingeführt, wie etwa Bhagavan "Doc" Antle, der seinen Privatzoo wie eine Sekte führt und eine ganze Reihe von Praktikantinnen und Auszubildenden zu Ehefrauen und Geliebten gemacht hat.

Einen grossen Kritikpunkt am "Tiger King" gibt es dennoch. Das Milieu der Grosskatzenbesitzer lieferte den Filmemachern so viel bunten und spannenden Stoff, dass das Leid der Tiere nicht ausreichend thematisiert und kommentiert wird. In einer Szene ist beispielsweise zu sehen, wie Joe Exotic ein frischgeborenes Tigerbaby von seiner Mutter wegzieht. Die Schreie des kleinen Tigers dürften jeden Tierfreund schmerzen. Es ist wenig überraschend, dass Exotic die Tierschutzorganisation PETA als Feind und Gefährder ausgemacht hat.

In einer anderen Szene ist ein seltener Schneeleopard in eine viel zu kleine Transportbox eingesperrt, er muss im Heck eines Transporters bei schwülen Temperaturen ausharren. Die Botschaft, dass wilde Tiere in die Wildnis und nicht in die Hände von durchgeknallten Hinterwäldlern gehören, kommt im "Tiger King" deutlich zu kurz. Daran sollten alle denken, die sich den höchst unterhaltsamen und kultigen Wahnsinn rund um Joe Exotic anschauen.

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