Die ZDF-Doku "37° – Trans – Drei Generationen, eine Reise" beleuchtet das Leben der 69-jährigen Nora, der 32-jährigen Sophie und des 16-jährigen Luca. Die drei stammen aus verschiedenen Generationen und doch verbindet sie eine Gemeinsamkeit: Sie sind trans.
Im Gespräch mit unserer Redaktion blickt Nora Eckert, die seit den 1970er-Jahren als Frau lebt, auf die Lebensrealität von trans Menschen und erklärt, warum sie selbst sich nie für eine geschlechtsangleichende Operation entschieden hat.
Frau Eckert, die ZDF-Doku "37° – Trans – Drei Generationen, eine Reise" beleuchtet das Leben dreier trans Menschen aus verschiedenen Generationen – darunter auch Ihre Geschichte. Wo stehen wir im Jahr 2024, wenn es um die Akzeptanz und Sichtbarkeit von trans Menschen geht?
Nora Eckert: Aus meiner persönlichen Wahrnehmung kann ich sagen, dass die Mehrheitsgesellschaft keine oder nur wenig Probleme mit uns trans Menschen hat. Ja, aber es gibt auch welche, die Probleme mit uns haben und uns aus verschiedensten Gründen nicht in der Gesellschaft haben wollen. Diese Gruppen sind meiner Meinung nach nicht besonders gross, dafür umso lauter und medial präsent und entsprechend verletzend in ihrem Auftreten. Vor allem in den sozialen Medien kursiert Transfeindlichkeit. Da ich mich aber nicht in den sozialen Netzwerken bewege, bekomme ich davon nicht allzu viel mit.
Nora Eckert: "Transsein ist nichts Homogenes"
Mit der Transition, für die sich viele trans Personen entscheiden, verbinden viele Menschen häufig die Angleichung ausschliesslich äusserer Merkmale – geht es wirklich nur darum?
Wir trans Menschen bekommen zwar wie alle ein biologisches Geschlecht bei der Geburt zugeteilt, tragen aber das Transsein in uns. Trans zu sein, hat also zunächst einmal nichts mit Medizin zu tun. Eine Transition ist nichts anderes, als das Transsein und das Leben in einer falschen Geschlechtsrolle zu erkennen.
Es geht also zunächst einmal um den Prozess, der sich im Inneren abspielt?
So ist es. Ich wurde als Junge erzogen, bis sich diese Rolle für mich irgendwann nicht mehr richtig angefühlt hat, weil ich erkannt habe, trans zu sein. Es geht darum, das Transsein in uns zu erkennen. Wie wir das dann leben und welche medizinischen Möglichkeiten wir in Anspruch nehmen wollen oder müssen, ist eine andere Geschichte und immer eine individuelle Entscheidung. Denn eine Geschlechtsrolle zu leben, ist etwas, was sich im Sozialen abspielt und hat erst einmal nichts mit der Frage zu tun, Hormone zu nehmen oder eine geschlechtsangleichende Operation durchführen zu lassen. Irgendwann treten diese Fragen natürlich auf, aber wir müssen uns davon frei machen, dass alle trans Menschen medizinische Massnahmen benötigen und verlangen. Transsein ist nichts Homogenes, wir sind so verschieden wie alle Menschen.
Die Lebensrealität von trans Menschen hat viel damit zu tun, Sichtbarkeit zu erzeugen. Sie sagen in der Doku, Sichtbarkeit habe für Sie auch etwas mit Aktivismus zu tun – wie meinen Sie das konkret?
Sichtbarkeit bedeutet für mich, in der Gesellschaft aufklärerisch zu wirken. Ich engagiere mich beispielsweise ehrenamtlich in zwei Vereinen, bespiele Podien oder halte Vorträge in Schulen oder in Einrichtungen für ältere Menschen. Mir ist wichtig, Menschen zu vermitteln, was trans Leben ist und bedeutet. Sichtbarkeit heisst aber auch, dass wir trans Menschen in der Gesellschaft und ihren sozialen Einrichtungen mitgedacht werden.
Viele trans Menschen beschreiben ihre Situation mit den Worten, sie seien im falschen Körper geboren. Sie selbst leben seit vielen Jahrzehnten als Frau, haben aber nie den Weg einer geschlechtsangleichenden Operation gewählt – warum nicht?
Das Bild, im falschen Körper geboren zu sein oder sich darin gefangen zu fühlen, ist mir nicht unbekannt. Diese Formulierung hörte man schon in den 70er-Jahren, als ich mein Transsein entdeckte. Ich persönlich konnte mich mit dieser Umschreibung aber nie wirklich identifizieren. Denn ich kann ja meinen Körper nicht verlassen. Der Körper, mit dem ich geboren wurde, war aus anatomischer Sicht männlich. Irgendwann wurde mir klar, dass auch dieser männliche Körper eine weibliche Identität besitzt und dass ich diese Weiblichkeit leben kann. Natürlich habe ich meinen Körper verändert und habe gegengeschlechtliche Hormone genommen, wodurch mein Körper femininer wurde, etwa durch die Brustbildung. Diese Feminisierung hat sich für mich richtig angefühlt und hat mir sehr geholfen, die Rolle als Frau überzeugend zu leben.
Häufig spielt ja die Angleichung der äusseren Geschlechtsorgane eine Rolle, sich für eine geschlechtsangleichende OP zu entscheiden ...
In meiner Sexualität spielte gerade die Gleichzeitigkeit von Männlich und Weiblich eine wesentliche Rolle. Sicher, ich hätte mich einer geschlechtsangleichenden Operation unterziehen können, aber ich wusste nicht, warum ich das hätte tun sollen und warum ich die Sexualität, die ich in jungen Jahren sehr genossen habe, verändern sollte. Selbst wenn ich mich dafür entschieden hätte, meinen männlichen Körper zu verändern, wäre er schlussendlich in sich ein männlicher Körper geblieben, auch wenn das andere anders für sich beurteilen.
"Wir werden das Transsein nicht los"
Können geschlechtsangleichende Eingriffe dennoch eine endgültige Lösung bei der Suche nach der eigenen Identität darstellen und dafür sorgen, die eigene Transidentität hinter sich zu lassen?
Die geschlechtsangleichende Operation ist für viele trans Menschen ein wichtiger Schritt. Natürlich erleichtert eine solche Angleichung auch viele Dinge: trans Frauen etwa werden durch die körperliche Veränderung nicht mehr unmittelbar mit ihrer männlichen Vergangenheit wahrgenommen. Wenn ich etwa an Situationen wie im Schwimmbad, am Strand oder in der Umkleidekabine denke, bringt die Angleichung verständlicherweise eine gewisse Freiheit mit sich. Nicht alle trans Menschen bringen aber jene körperlichen Voraussetzungen mit, um in ein typisch weibliches Frauenbild zu schlüpfen. Es gibt trans Frauen mit breiter Schulter oder einer tiefen Stimme. So oder so, wir werden das Transsein nicht los. Das ist meine Überzeugung.
Vor allem nach den geschlechtsangleichenden Operationen haben viele Menschen das Bedürfnis, sich "Mann" oder "Frau" und nicht mehr "trans" zu nennen – können Sie dieses Bedürfnis nachvollziehen?
Ich selbst habe 36 Jahre anonym als nicht geoutete trans Frau gelebt. Ich war einfach Frau Eckert, die in einem Bürojob gearbeitet hat. Wenn man überzeugend in der Rolle der Frau auftritt, dann spielen körperliche Merkmale im Alltag keine Rolle.
Mit Anfang 20, also in den 1970er-Jahren, haben Sie Ihre Transition zur Frau verwirklicht – nehmen Sie uns bitte einmal mit zurück in diese Zeit vor fast 50 Jahren. Wie haben Sie Ihre Identität entdeckt? Vorher hatten Sie mit einer männlichen Geschlechteridentität gelebt …
Meine Erkenntnis, trans zu sein, hatte ich 1975. Meinen Weg ins Frausein habe ich im Jahr darauf begonnen. Zu dieser Zeit gab es weder eine Verrechtlichung noch Therapiepläne. Kurzum: Ich kam als trans Person in eine Welt, die für mich gar nicht geschaffen war. In einer Grossstadt wie Berlin zu leben, war dennoch von Vorteil. Ich lernte Menschen kennen, die bereits ihr trans Leben lebten, sodass ich lernte, nicht allein zu sein. Meinen Job in einer Buchhandlung hatte ich aufgegeben und arbeitete danach im Nachtleben. Die Nacht bot für uns damals mehr Möglichkeiten. Wir konnten einfach so gut wie nichts erwarten und konnten dadurch allerdings auch nicht enttäuscht werden. Trotzdem musste natürlich eine Verrechtlichung her. Trans Menschen brauchen einen richtigen Namen und eine Änderung des Geschlechtseintrags.
Anfang der 1980er trat dieses Bewusstsein dann ja langsam auf ...
Richtig. 1981 kam das Transsexuellengesetz. Leider mit sehr repressiven Bedingungen, aber ein erster Schritt war getan. Nach und nach haben sich dann auch in der Trans-Community Selbsthilfegruppen gebildet, ehe um die Jahrtausendwende Transrechte als Menschenrechte verstanden wurden. Das führte dann dazu, dass wir heute – wenn auch noch nicht vollends – endlich über das Selbstbestimmungsrecht sprechen. Die Politik will uns damit einen niederschwelligen Zugang zur Namensänderung und der Änderung des Geschlechtseintrags ermöglichen.
Wir sprechen hier von einer jahrzehntelangen Entwicklung.
In der Tat. Diese Entwicklung war wichtig, und wurde vor allem durch politische Arbeit erst möglich. Selbstorganisationen und Interessenvertretungen betrieben Öffentlichkeitsarbeit als Aufklärung der Mehrheitsgesellschaft und arbeiteten in Richtung Politik. Auch wenn das alles sehr langwierig war, sprechen wir heute immerhin über ein Selbstbestimmungsgesetz und hoffen, dass es auch endlich verabschiedet wird.
Die Doku "37° – Trans – Drei Generationen, eine Reise" läuft am Dienstag, 19. März, um 22:15 Uhr, im ZDF und ist zudem auch in der Mediathek verfügbar.
Über die Gesprächspartnerin:
- Nora Eckert ist Autorin und Journalistin und lebt in Berlin. Anfang der 1970er-Jahre entdeckte sie ihre eigene Transidentität und lebt seitdem als Frau.
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