Vor 30 Jahren nahmen RTL und Sat.1 ihren Sendebetrieb als erste private Fernsehstationen auf - und veränderten die bis dahin brave deutsche Fernsehlandschaft. Mit nackter Haut und Dauerwerbesendungen haben sie den Markt erobert und damit auch das Programm der öffentlich-rechtlichen Anstalten beeinflusst.

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Als "Unterschichten-Fernsehen" geschmäht und für seinen amateurhaften Start anfangs belächelt: Das private Fernsehen blickt in Deutschland auf eine wechselhafte Geschichte zurück. Mit dem Start der privaten Fernsehsender RTL und Sat.1 mussten sich die beiden grossen öffentlich-rechtlichen Fernsehsender zum ersten Mal mit einer Konkurrenz auseinandersetzen, deren einziges Ziel es war, möglichst viele Zuschauer vor den Bildschirm zu locken - ganz gleich womit.

Kompromissbereitschaft in Sachen Niveau

Zum frühen Synonym für die Kompromissbereitschaft in Sachen Niveau wurde die TV-Show "Tutti Frutti", die die RTL-Verantwortlichen kurzerhand vom italienischen Fernsehen gekauft hatten. Hier schickte RTL deutsche Hausfrauen und Möchtegern-Playboys von nebenan in die Tropen-Papp-Kulisse, wo sie unter Leitung von Hugo Egon Balder um Länderpunkte kämpfen mussten. Und strippen, was so ziemlich das effektivste Mittel war, dem Sieg näher zu kommen.

Balder überbot sich dabei mit schmierigen Sprüchen, aber auch mit subtilem Humor, wenn er etwa ganze Sendungen aus fiktiven deutschen Stadthallen moderierte. Der Finanz- und Zeitdruck war so gross, dass keine Szene wiederholt werden konnte. Fielen Teile der Kulisse in sich zusammen, war die Kulisse eben zusammengefallen. Stoisch machte das Cin-Cin-Ballett innerhalb dieses Wahnsinns seinen Job. Die jungen halbnackten Bikini-Frauen, jede als Frucht verkleidet, hatte der Sender gleich mitgekauft.

Auch für weitergehende Bedürfnisse nach dem Ende der Sendung war gesorgt. Anfang der neunziger Jahre überboten sich RTL und Sat.1 am Wochenende mit der Ausstrahlung von Schmuddel-Streifen à la "Liebesgrüsse aus der Lederhose".

Dauerwerbesendungen am Tag: "Bitte nicht überbieten"

Tagsüber verschob sich die Zielgruppe der beiden Fernsehpioniere, nicht nur aus Jugendschutzgründen. Sie veranstalteten ein Programm, in dem eine Dauerwerbesendung die nächste ablöste.

Höhepunkt der fröhlichen Fernseh-Kaffee-Fahrt auf RTL war die tägliche Ausgabe der Spielshow "Der Preis ist heiss". Moderiert wurde der Spass von Harry Wijnvoord, einem Niederländer, der mit der Show-Legende Rudi Carell nur den Akzent gemeinsam hatte. Das Spielprinzip war einfach: Produkte - wie eine neue Waschmaschine - wurden werbewirksam vorgestellt und vier Kandidaten mussten schätzen, wie viel das Objekt der Begierde wert sei. Gewonnen hatte, wer am nächsten an den Preis herankam, ohne diesen zu überbieten.

Den Gewinner erwarteten weitere abstruse Spiele, die allesamt nur ein Ziel hatten: möglichst viele Produkte ausführlich im Fernsehen vorzustellen. Aus heutiger Sicht grenzt es an ein Wunder, dass dieses Format von 1989 bis 1997 fast zehn Jahre lang ununterbrochen im Fernsehen lief.

Vom Softporno-Set vor die Kamera: "Ich kauf ein x"

Auf Sat.1 lief derweil die etwas intelligentere Show-Legende "Glücksrad". Sie wurde zum Aushängeschild des Senders und zeigte, dass es auch innerhalb des Trash-Programms Aufstiegsmöglichkeiten gab. Moderator Peter Bond konnten die Zuschauer zeitgleich in abendlichen Schmuddelfilmen bewundern. Er war aus der Softporno-Ecke direkt vor die Sat.1 Kameras gewechselt.

Gemeinsam mit Co-Moderator Frederic Meisner produzierte er die Shows im Akkord. Bis zu drei Sendungen nacheinander wurden an der Havel-Chaussee in Berlin aufgezeichnet und dann täglich gegen 19.00 Uhr ausgestrahlt. Die Buchstaben-Rate-Show "Glücksrad" - ebenfalls gespickt voller Produktwerbung - wurde zum Hit, der von 1988 bis 1998 dauerhaft auf Sat.1 lief.

"Big Brother" als Untergang des Abendlandes

Grenzüberschreitungen und Trash-TV: Wenn ein Konzept Quoten versprach, gingen die Privatsender immer wieder neue Wege. Stets bereit, ihre moralischen Massstäbe flexibel anzupassen. Als die RTL-Gruppe im Jahr 2000 ankündigte, das niederländische Erfolgsformat "Big Brother" in Deutschland zu etablieren, löste das einen heute kaum noch nachzuvollziehenden Sturm der Entrüstung in den Medien aus.

Der Privatsender RTL2 sperrte dabei eine Gruppe von Menschen für mehrere Monate in einem Bungalow ein. Rund um die Uhr überwachten Kameras die Insassen. Das Publikum vor den Bildschirmen konnte das Leben im Container verfolgen. Jede Woche durften die Zuschauer einen Kandidaten wählen, der den Container verlassen musste. Wer zuletzt übrig blieb, konnte den Millionenpreis gewinnen. Die Show wurde zum Quotenrenner.

Aus heutiger Sicht war das Geschehen im Container harmlos. Der Höhepunkt war eine Männerfreundschaft zwischen dem Deutsch-Türken Zlatko und der rheinischen Frohnatur Jürgen. Die mediale Aufmerksamkeit war indessen riesig, so riesig, dass sogar Guido Westerwelle einen Ausflug in den Container wagte.

Nicht alles war Trash

Zwar war den Privatsendern niemals eine Show-Idee zu abwegig, aber ihre Existenz hatte auch sein Gutes. Die Öffentlich-Rechtlichen waren endlich gezwungen, ihr Programm zu überdenken. Show-Legenden, wie die zuerst in Sat.1 ausgestrahlte "Harald Schmidt-Show", die Revolutionierung des Fernseh-Humors in "RTL-Samstagnacht" oder die anarchistischen Fernseh-Experimente eines Stefan Raabs gaben immer wieder wichtige Impulse für den gesamten Fernsehmarkt.

Und als 1993 der Musikvideosender VIVA seinen Sendebetrieb aufnahm, wusste noch niemand, dass er der Geburtsstunde einer ganzen Schauspieler- und Moderaten-Generation beiwohnte. Als Talentschmiede hat das Kommerz-TV schon immer grossartig funktioniert - und auch diejenigen längst erreicht, die es niemals einschalten.

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