Kohlsuppe, Low Fat, Brigitte, FDH und so weiter. Abnehmen, so scheint es, ist eine Frage, welches Buch man liest. Für manche Menschen, und nicht wenige, ist Abnehmen aber eine Frage des Überlebens. Das zeigt die neue Vox-Doku-Reihe "Verdammt schwer!" mit viel schonungslosem Einfühlungsvermögen. Vor allem aber weckt sie ein Verständnis dafür, dass Adipositas eine Krankheit ist.

Christian Vock
Eine Kritik

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Die Zahlen, die die neue Vox-Doku-Reihe liefert, sind nicht schön: "Jeder vierte Erwachsene ist fettleibig." Und: "Über die Hälfte aller Erwachsenen wiegt zu viel." Aber es sind auch Zahlen, hinter denen Schicksale, Schicksalsschläge und Geschichten stehen. Sechs dieser Geschichten erzählt die dreiteilige Doku "Verdammt schwer! - Unser Kampf gegen die Kilos", deren erste Folge am Montagabend bei Vox zu sehen war.

Da ist zum Beispiel der 24-jährige Mark aus Glücksburg. Mit 16 wog er bereits 120 Kilogramm, heute, mit 24 Jahren, sind es 210 Kilo. An Mark und seinem Leben erklärt die erste Folge der Doku, was es bedeutet, starkes Übergewicht zu haben. Dabei räumt die Doku fast nebenbei mit den Vorurteilen auf, die sich immer noch hartnäckig halten: Dicke Menschen sind faul und disziplinlos, lassen sich gehen. Wenn es doch nur so einfach wäre.

"Esssüchtigen wie Mark mangelt es nicht an Willensstärke. Die Gier nach Essen ist eine Krankheit mit fatalen Folgen", erklärt der Off-Sprecher. Für Mark bedeutet das, dass er arbeitsunfähig ist und von Arbeitslosengeld II leben muss. Der ohnehin schon knappe Satz ist für jemanden mit Esssucht ein zusätzliches Problem. Denn um mit dem Geld und seinem Drang zu essen zurecht zu kommen, kauft Mark billiges, kalorienreiche Lebensmittel, vor allem Fertigprodukte. Ein Teufelskreis mit gesellschaftlicher Dimension: "Wie die meisten Superdicken ist Mark arm."

Jeder dumme Spruch zeugt von Unwissenheit über Esssucht

Doch Marks Esssucht ist beileibe nicht nur ein ökonomisches Problem, sondern in erster Linie ein gesundheitliches: "Ungesunde Ernährung tötet mehr Menschen als Zigarettenkonsum – und macht genauso süchtig", erklärt der Off-Sprecher und auch Mark weiss, dass die Krankheit lebensbedrohlich ist: "Ich fress' mich wortwörtlich zu Tode." Besonders frustrierend wird die Lage, wenn Marks Mitmenschen nicht nur kein Verständnis und kein Wissen über Esssucht haben, sondern ihn wegen seines Gewichts beleidigen.

Wie so eine gesellschaftliche Ächtung abläuft, kann das Kamerateam und damit der Zuschauer direkt mitverfolgen, als das Team Mark zu einem Supermarkt begleitet. "Gleich platzt die Linse", kommentiert eine Frau im Vorbeigehen.

Eine kleine Bemerkung, die aber tief verletzt, und Mark erlebt eine solche Situation nicht zum ersten Mal: "Ich schlag' jetzt nicht um mich, aber ich bin dann trotzdem sehr wütend. Das ist dann auch Frustessen."

Mark, so schildern es die ersten Minuten der Doku, ist sich seiner Lage bewusst, aber auch, dass er sich nicht ohne Hilfe aus ihr befreien kann: "Alleine schaffe ich das eben nicht", erklärt der 24-Jährige und kommt damit zum Kern der Doku.

Die heisst nämlich nicht ohne Grund "Verdammt schwer", denn nicht nur die Menschen in der Doku sind "verdammt schwer", es ist für sie auch verdammt schwer, von ihrer Esssucht loszukommen.

Doch genau das hat sich Alexandra aus Hamburg vorgenommen. Die 41-Jährige hat in den vergangenen Jahren nach einer Magen-OP selbst fast 100 Kilo abgenommen und nun Mitstreiter gesucht, die sie beim Abnehmen unterstützen möchte. Gefunden hat sie neben Mark noch Chiara aus Osterrade, Daniel aus Sassenberg, die 18-jährige Lisa aus Witten und Aaliyah aus Köln.

Sie alle eint der Wunsch, sehr viel Gewicht zu verlieren, die Gründe sind ganz verschieden: der Wunsch Rapper zu werden, eine wichtige OP, ein Kinderwunsch oder, wie bei Lisa, einfach das Ziel, gesund zu bleiben: "Ich möchte nicht mit Anfang 40 oder Ende 30 den Löffel abgeben."

Chiara: "Adipositas ist eine Krankheit, die nicht jeder als Krankheit sieht"

Und so unterschiedlich die Gründe für das Abnehmen sind, so unterschiedlich sind die Gründe für die Essstörungen der Teilnehmer, doch bei den meisten liegen die Anfänge in der Kindheit. Nun, einige Jahre später, will sich die Gruppe zusammen der Krankheit stellen. Dazu treffen sich die sechs ein halbes Jahr lang alle vier Wochen, um sich gegenseitig zu unterstützen. Die Treffen finden dabei rundum bei den Teilnehmern zuhause statt.

Die Doku begleitet die Gruppe vor und während ihrer Treffen. Dabei geht sie einfühlsam und schonungslos zugleich vor. Etwa, als sich die Teilnehmer zu einem Akt-Shooting treffen, um das Selbstbewusstsein zu stärken.

Oder als Mark seine Wohnung vor dem Gruppentreffen erst einmal von Müll befreien muss und sich beim Besuch der Gruppe schämt. Das ist manchmal knallhart, aber empathisch und oft emotional, aber nur selten kitschig.

Nebenbei erfährt der Zuschauer Zusatzinformationen über die Krankheit, zum Beispiel, dass 95 Prozent aller Fettsüchtigen die Gewichtsreduktion nur mit einer Magenverkleinerung schaffen oder dass Adipositas vererbt werden kann. Was, zumindest in Folge eins, fehlt, sind andere Faktoren, die bei Esssucht eine Rolle spielen – zum Beispiel die Lebensmittelindustrie. Ausser der Information, dass Fastfood dafür sorgt, dass man noch mehr Fastfood essen möchte, bleiben solche Faktoren aussen vor.

Der Fokus liegt hier eindeutig auf den Protagonisten und da geht es schonungslos offen, aber vor allem Hoffnung machend zu. "Adipositas ist eine Krankheit, die nicht jeder als Krankheit sieht", erklärt Chiara.

Wenn sich das ändern würde, wäre das, so die versteckte Botschaft der Doku, schon einmal ein wichtiger Schritt, um den Kranken ihr "schweres Leben" etwas zu erleichtern. Oder, wie es Daniel formuliert: "Jeder hat das Recht, ein Mensch zu sein."

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