Noch einmal "Wetten, dass..?" einschalten, dann ist Schluss. In der vorletzten Ausgabe der Show zeigt Markus Lanz, dass er gar kein so schlechter Moderator ist, wie uns alle weismachen wollen. Er ist der passende Mann für eine 34 Jahre alte Sendung. Das Problem ist nur: Der Rest der Welt hat sich verändert.

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Es ist dieser Tage nicht leicht, Markus Lanz zu sein. Sechs- bis siebenmal im Jahr muss sich der 45-Jährige anhören, was er alles nicht kann: moderieren, unterhalten, witzig sein. Und wofür er sonst noch verantwortlich ist: den Untergang von "Wetten, dass..?", des deutschen Fernsehens, des Abendlandes generell. Noch nie hat ein Moderator die Häme des Lästertriumvirats aus Facebook, Twitter und den Medien so konzentriert abbekommen.

In nicht einmal zwei Jahren wurde aus "Lanz' kann's" ("Bild-Zeitung") der "Problemfall Lanz" ("Der Tagesspiegel"). Als bekannt wurde, dass "Wetten, dass..?" im Dezember nach 34 Jahren zum letzten Mal ausgestrahlt wird, sagten sogar die Ex-Moderatoren Frank Elstner und Thomas Gottschalk ihre Auftritte ab. Niemand möchte noch etwas mit der Show zu tun haben. Nur Wolfgang Lippert - der die Situation, in der sich Lanz befindet, allzu gut nachempfinden kann - wollte vorbeischauen.

Das zeigt: Die einstmals erfolgreichste TV-Show Europas ist am Ende. Ist das die Schuld von Markus Lanz? Natürlich nicht. Nach insgesamt 22 Jahren mit Thomas Gottschalk war vom ursprünglichen Konzept sowieso kaum noch etwas übrig geblieben. "Wetten, dass..?" mit dem schillernden Moderator: Das waren drei Stunden Hollywood-Small-Talk und Knie tätscheln. Dazwischen machte irgendwer irgendwas mit einem Bagger. Das interessierte schon damals kaum jemanden. "Thommy" war die Show, und man fühlte sich gut unterhalten. Die Kritiker droschen trotzdem am nächsten Tag auf ihn ein.

Markus Lanz statt Jauch oder Kerkeling

Als Gottschalk sich nach dem fatalen Unfall von Samuel Koch aus der Sendung verabschiedete, entstand eine monatelange peinliche Pause, in der sich Deutschlands Moderatoren davor drückten, in die TV-Champions-League aufzusteigen. Es war klar, dass für die Nachfolge aus Gründen der allgemeinen Beliebtheit eigentlich nur Günther Jauch oder Hape Kerkeling in Frage kommen würden - doch die lehnten wohlweislich ab. Der einzige, der genug Mut aufbrachte, war Markus Lanz.

Der hatte bis dahin vor allem in seiner Talkshow mit der Prominenz Banales ausgetauscht, durch einen besonders grossen Unterhaltungswert tat er sich dabei nicht hervor. Seine erste Ausgabe von "Wetten, dass..?" bestätigte das. Lanz ist eher ein klassischer Moderationstyp wie der Show-Erfinder Frank Elstner: Die Fragen werden von Karten abgelesen, die Witze auch. Deswegen passt Markus Lanz eigentlich ganz gut zu einer 34 Jahre alten Show. Das Problem ist nur: Der Rest der Unterhaltungsbranche hat sich verändert.

Abwesendes Starren

Schauspieler, Popstars und Sportler sind heute schon im Teenageralter Medienprofis. Sie geben eloquente Interviews, verhaspeln sich nicht und lächeln immer artig. Dummerweise ist das stinklangweilig. Um aus ihnen etwas anderes herauszukitzeln, braucht man keinen Moderator, sondern einen Entertainer. Gottschalk war beides. Lanz ist es nicht.

Das beste Beispiel für dieses Defizit lieferte in der vorletzten Ausgabe von "Wetten, dass..?" am Samstagabend in Graz Gast Liam Hemsworth. Der Star der "Hunger Games"-Reihe sitzt die meiste Zeit einfach nur da und hat abgesehen von der Werbung für seinen neuen Film nichts zum Gespräch beizutragen. Stattdessen starrt er geistesabwesend ins Nichts. Lanz lässt ihn.

"Mein Hund jault jedes Lied mit"

Hemsworth ist damit typisch für viele aktuelle Hollywoodstars. Mit Late-Night-Talker Jimmy Fallon lustig tanzen? Kein Problem, das kann man schliesslich bis zur Perfektion üben und dann zum YouTube-Hit machen. Spontan eine Sacher-Torte schmücken? Schon ist Hemsworth vollkommen überfordert. Den 24-Jährigen Australier rettete nur seine Begleitung Jennifer Lawrence, die gewohnt grandios auch die peinlichsten Situationen mit einem Spruch abfedert. Ihr Kommentar zum musikalischen Gast "One Direction": "Mein Hund steht auch auf die. Er jault jedes Lied mit."

Doch auch Lawrence hat nicht auf alles eine Antwort. Als Lanz zu den beiden Stars aus "The Hunger Games" sagt: "Ihr habt eine Gemeinsamkeit. Ihr seid beide mit zwei Brüdern aufgewachsen", nickt sie nur betreten. Was soll man darauf auch antworten? "Herr Lanz, Sie werden es nicht glauben, wir haben auch beide Mutter und Vater!"

Als sich ihre Wette ankündigt, verzieht Lawrence das Gesicht. Das kennt sie aus den Erzählungen der Kollegen - zuletzt Schauspieler Will Arnett, der bei US-Late-Night-Talker Jimmy Kimmel "Wetten, dass..?" liebevoll "What the fuck is happening?" nannte. Ähnliches wird Jennifer Lawrence wahrscheinlich demnächst auch in Übersee berichten. Sie muss für Lanz abschätzen, ob ein Turner Saltos über Bierkisten machen kann. Auf Lanz' Frage, ob sie versteht, worum es hier geht, sagt sie: "Ich glaube schon, aber es ist so seltsam, dass ich es mir nicht vorstellen kann." Besser kann man die Show nicht zusammenfassen.

Keine Spannung, keine Überraschungen

Die Gäste aus Hollywood sind zu Recht irritiert. Ihre Manager werden ihnen die Sendung in den höchsten Tönen ans Herz gelegt haben: "Fuck, es ist die grösste Show Europas! So viele Leute kriegen wir mit nichts anderem ins Kino!" Dass die grösste Show Europas hauptsächlich daraus besteht, dass eine Architektin Websites anhand von QR-Codes erkennt, ein Kampfsportler Gurken mit Spielkarten halbiert und ein Zehnjähriger mit einem Roller über Colaflaschen springt: Das hat ihnen natürlich niemand gesagt. Europas grösste Show ist ein Kindergeburtstag. Ein ziemlich öder Kindergeburtstag.

Aber noch einmal: An Lanz liegt es nicht. Er tut nur das, was er immer tut. Das ist nicht so furchtbar, wie immer geschrieben wird, aber eben auch nicht unterhaltsam. Er ist der richtige Moderator fürs falsche Format.

Es ist die Show, die hoffnungslos veraltet ist. Zu langsam, zu träge, keine Spannung, keine Überraschungen. Der Showkoloss zieht mit unheimlichen Aufwand sechsmal im Jahr durch Deutschland, Österreich und die Schweiz. Und wofür? Um einen Studenten zu zeigen, der quälend lange anderthalb Minuten auf 30 Bildkarten stiert, zu einem Wassertank schleicht, hineinsteigt, untertaucht, die Haare richtet, seine Schwimmbrille kontrolliert, seine Schwimmbrille aufsetzt, seine Schwimmbrille noch einmal kontrolliert, um dann die Karten wieder in der gleichen Reihenfolge unter Wasser einzusortieren. Das ist in etwa so spannend, wie es diese Beschreibung vermuten lässt.

Stubenhocker merken sich Karten

"Schlag den Raab" unterscheidet sich vom Konzept her im Prinzip kaum von "Wetten, dass..?". Doch Stefan Raab hat verstanden, dass das Publikum zwei Dinge braucht: Identifikationsfiguren (oder in seinem Fall Hassobjekte) und spektakuläre Spiele. "Wetten, dass..?" hat Lanz und Stubenhocker, die sich in der Badewanne Karten merken.

Man muss es der internationalen Prominenz also nachsehen, dass sie gelangweilt ist. Dem Zuschauer geht es nicht anders. Dass Markus Lanz trotzdem alles "Wahnsinn" findet, ist sein gutes Recht. Viele Gelegenheiten dazu hat er nicht mehr. Am 13. Dezember moderiert er in Nürnberg die letzte Ausgabe von "Wetten, dass..?" Man möchte ihm wirklich wünschen, dass die "Wahnsinn" wird. Und nicht: Hölle, Hölle, Hölle.

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