"Wir lieben Fernsehen" behaupteten Steven Gätjen und Johannes B. Kerner gestern Abend zum vierten und letzten Mal. Mit "unseren grössten TV-Momenten" bliesen sie zum Finale der ZDF-Show. Doch wer tatsächlich die "grössten TV-Momente" sehen wollte, der musste älter, westdeutsch und vor allem vergesslich sein.

Christian Vock
Eine Kritik
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Natürlich kann man an die gestrige Finalausgabe von "Wir lieben Fernsehen" ganz uneitel und abgebrüht rangehen. Dann hat man gestern Abend eben drei Stunden lang zugeguckt, wie Steven Gätjen und Johannes B. Kerner auf einem Sofa mit ein paar Gästen geplaudert, gelegentlich TV-Ausschnitte anmoderiert und sich zwischendrin zu dem einen oder anderen Spielchen haben hinreissen lassen.

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Ab und zu hätte man "Ach ja, den gab's ja auch mal" gedacht, wenn zum Beispiel kurz Hape Kerkeling oder Peter Frankenfeld übers Bild huschten. Spätestens gegen halb zwölf wäre man ins Bett gegangen und hätte sich am nächsten Morgen an nichts von dem Gesehenen erinnert.

Kein Problem, aber jemand, der Fernsehen liebt, würde eine Sendung, die "Wir lieben Fernsehen" heisst, sicher mit anderen Augen betrachten und zu dem Urteil kommen: Nein, ihr liebt mit Sicherheit kein Fernsehen.

Was da gestern nämlich zu sehen war, das war wirres Schnarchfernsehen vom Feinsten. Dabei fing alles eigentlich mit einer ganz netten Idee an: Thomas Gottschalk durfte für ein paar kurze Momente "Wetten, dass..?" wieder aufleben lassen. Steven Gätjen und Johannes B. Kerner stellten dafür eine Wette von 2010 nach und versuchten, mit verbundenen Augen und ihren Zungen Kakteen zu erkennen.

Wir verklären Fernsehen

Doch was als netter Gag begann, endete nach wenigen Minuten in purer Langeweile und zeigte die erste grosse Schwäche im Konzept von "Wir lieben Fernsehen". Es ist nämlich nicht so, dass "Wetten, dass..?" wegen des Unfalls von Samuel Koch oder wegen Markus Lanz kollabiert wäre. Die Show war schon lange zuvor und lange genug altersschwach.

Auf Starauftritte zu setzen war in den 1980ern sicher eine grosse Nummer, aber im neuen Jahrtausend ist man schon froh, wenn man einmal den Fernseher anschaltet und keinen Star sieht. Und was das zweite Aushängeschild von "Wetten, dass..?", die Wetten, betrifft: Sagen wir es einmal so: Irgendwann hat man einfach alles gesehen, was man so mit einem Bagger machen kann.

Im Rückblick betrachtet mag "Wetten, dass..?" Fernsehromantikern mit Sicherheit fehlen. Aber so ist das nach ein paar Jahren mit allem, das es nicht mehr gibt. Da fragt man sich irgendwann: Sag mal, gibt es eigentlich noch Teppichstangen? War das nicht schön damals, als Oma immer samstags die Teppiche ausgeklopft hat? Auf den Staubsauger will aber trotzdem niemand verzichten. So ist das auch mit "Wetten, dass..?". Eine schöne "Weisst du noch"-Erinnerung. Mehr nicht.

Und genauso war es auch mit all den anderen Sendungen, die Kerner und Gätjen noch einmal haben vorbei ziehen lassen. Es hat seine Gründe, warum es keinen "Goldenen Schuss" mehr gibt und keinen "Musikantenstadl".

Deshalb war das, was da gestern als "Unsere grössten TV-Momente" angepriesen wurde, ein Baden in rosaroten Erinnerungen, bei denen Gätjen und Kerner wirklich keinen Superlativ ausliessen: Titan, Ikone, Grande Dame, Weltstar – lediglich Gott wurde gestern nicht als Titel vergeben.

"Unsere grössten TV-Momente"? Hier stimmt gar nichts

Und da wären wir schon bei Problem Nummer zwei. "Unsere grössten TV-Momente" war der Titel der Finalausgabe von "Wir lieben Fernsehen" und in genau diesem Titel stimmte so gut wie nichts. Nicht das "Unsere", nicht das "Grössten" und erst recht nicht das "TV-Momente."

Mit "unser" meinte das ZDF nämlich nur einen sehr exklusiven Teil der Fernsehzuschauer. Der kommt aus Deutschland, internationale Fernsehmomente gab es nur bei der überstrapazierten Frage "Denver Clan" oder "Dallas"? Ausserdem kommt der Zuschauer aus dem Westen der Republik, Ost-Fernsehen gibt es für das ZDF offenbar nicht.

Und zu guter Letzt ist der Zuschauer vor allem älteren Semesters und schaut "Mainstream"-Sendungen. Menschen wie zum Beispiel Jan Böhmermann, die ihrer Fernseh-Liebe für jüngere Menschen und in der Nische nachgehen, hatten gestern Abend ebenfalls keinen Platz.

Genau deshalb ist auch die angebliche "Grösse" der TV-Momente eine vollkommen willkürliche Einordnung und besagt lediglich, dass diesen Moment wohl einfach eine Menge Menschen gesehen haben muss. Grösse im Sinne von Qualität war jedenfalls nicht gemeint.

Lady Dianas Beerdigung als "TV-Moment"?

Die allergrösste Willkür herrschte gestern Abend aber beim Begriff des "TV-Moments". Für das ZDF bedeutete "TV-Moment" gestern Abend nämlich so ziemlich alles. Er musste nur irgendwie mit Fernsehen zu tun gehabt haben. Oder eigentlich noch nicht einmal das.

Wie sonst erklärt es sich, dass der 11. September oder die Beerdigung von Lady Diana als "TV-Momente" deklariert wurden? Als wäre Zeitgeschichte ans Fernsehen gebunden und fände ohne Kamera sonst nicht statt. Armstrong wäre nie auf dem Mond gewesen und Deutschland heute noch nicht Fussballweltmeister, wenn es das Fernsehen nicht gegeben hätte?

Es gibt doch tatsächlich Menschen, die Momente der Zeitgeschichte völlig ohne Fernsehen erleben und das mit Sicherheit nicht weniger emotional. Der 11. September als TV-Event – hier schreibt das ZDF dem Fernsehen eine Bedeutung zu, für die es überhaupt nichts kann.

Wenn das Ganze gestern Abend wenigstens in irgendeiner Form unterhaltsam oder spannend aufbereitet worden wäre, dann hätte man darüber zumindest mit einem "Schwamm drüber" hinwegsehen können, aber dass sich Kerner und Gätjen Ernie-und-Bert-Pullis anziehen, hat nichts mit Liebe zum Fernsehen zu tun.

"Wir lieben Fernsehen"? Nein, liebes ZDF, tut ihr nicht. Würdet ihr Fernsehen lieben, würdet so eine solche Fernseh-Verklärungsshow nicht machen.

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