Es wird wieder einfach "überlebt" im deutschen Fernsehen. ProSieben schickt in "Wild Island" Grossstädter in die Wildnis. Dort sind sie auf sich allein gestellt. So dramatisch, wie es der Sender verkauft, ist es aber leider nicht.
"Es ist kein Spiel", sagt der Sprecher aus dem Off gleich zu Beginn vollmundig. Es gibt "keine Regeln, keine Sieger, keine Verlierer" in "Wild Island".
14 Kandidaten hat ProSieben für vier Wochen auf der kleinen Insel Gibraléon vor Panama ausgesetzt. Ihr Ziel: "einfach überleben".
Deswegen gibt es tatsächlich keine Spiele, Aufgaben oder "Challenges", wie es im Reality-TV immer gerne heisst.
Nominiert wird auch niemand.
Selbst das Team vor Ort hat man sich gespart, drei professionelle Kameraleute sind unter den Kandidaten und drehen selbst.
So soll maximale Authentizität erreicht werden. Aber natürlich gibt es die im Fernsehen nur bedingt.
"Wild Island" wie Dschungelcamp
Spätestens im Schnitt wird eine Geschichte geformt, schliesslich handelt es sich hier immer noch um Unterhaltung und nicht einen Dokumentarfilm.
Auch wenn es ProSieben nicht gerne hören wird: Von der reinen Machart unterscheidet sich "Wild Island" zunächst nicht vom Dschungelcamp.
Immer wieder fährt die Kamera über die dichten Wälder von Gibraléon, die Teilnehmer erzählen in Einspielfilmen, dass es ihnen nur um die "Erfahrung" geht, "Urinstinkte" wolle man suchen, "von eigener Hand" leben.
Sogar einen Dr. Bob gibt es.
Ein Survivalexperte erklärt zwischendurch immer wieder auf englisch, wie tödlich alles auf der Insel ist.
Dass man so viel Abenteuer auch im Schwarzwald ohne Kamera haben könnte, auf diese Idee kommt offensichtlich keiner.
Stattdessen kriechen die 14 Kandidaten durch den Dschungel.
Damit das möglichst dramatisch ist, wackeln die Handkameras der drei Filmprofis so sehr, dass einem bereits nach einer halben Stunde kotzübel ist. "Blair Witch Project" lässt grüssen.
Selbst die Zooms und Schwenks sind so dilettantisch, dass man sich unweigerlich fragt, ob die Kameraleute permanent Schüttelfrost haben oder durchgängig betrunken sind.
Dieses unansehnliche Material legen sie jeden Tag in eine Dropbox, wo es vom Team der Sendung abgeholt wird.
Gelangweilte Neuzeitmenschen in der Wildnis
Neu ist diese Art von Sendung nicht. Ende der Neunziger schickten die Schweden in "Expedition Robinson" Menschen auf die Insel, zahlreiche Adaptionen wie beispielsweise "Survivor" folgten.
Dieses Format hat es in den USA immerhin bisher auf 31 Staffeln gebracht. Das Konzept bleibt immer das gleiche: Eine Gruppe gelangweilter Neuzeitmenschen lässt die technisierte Welt hinter sich und muss in der Wildnis überleben.
So geht es in der ersten Folge von "Wild Island", das ProSieben eine Woche lang täglich ausstrahlt, auch erst einmal darum, sich durch den Dschungel zu schlagen und Wasser zu finden.
Die Highlights sind dementsprechend schlitternde Kandidaten, die Sätze sagen wie: "Jungens, hier ist es wirklich rutschig" und kleine Schürfwunden.
Damit es nicht zu eintönig bleibt, erfüllen Männer und Frauen die bekannten Klischees.
Die Herren klopfen markige Sprüche, die Damen bleiben alle fünf Minuten stehen, um zu diskutieren. Eine spannende Fernsehsendung ergibt das noch nicht.
Viele Mücken, wenig Dramatik
Fast eine Stunde füllt ProSieben mit Menschen, die Mücken erschlagen, Brackwasser ausspucken oder sich darüber beschweren, wie schlecht sie geschlafen haben.
Die Dramatik, die immer wieder mit Musik aus der Horrorklischeekiste erzeugt werden soll, kommt dabei nicht auf.
Das liegt aber natürlich auch daran, dass nach dem Reality-TV-Desaster von "Newtopia" niemand mehr daran glaubt, dass im Fernsehen irgendetwas ohne Einfluss von aussen geschieht.
Und kein Kandidat auf dieser Insel wirklich einer bedrohlichen Situation ausgesetzt ist.
Ob daraus ein unterhaltsames Format werden kann, muss sich in den nächsten Tagen zeigen. Viel Vertrauen hat ProSieben angesichts des Sendeplatzes der Premiere am Sonntagabend um 23:15 Uhr offenbar nicht in die Sendung.
Aber vielleicht ist das Grundkonzept "einer Erfahrung, die ihr Leben bereichern wird" auch einfach zu hoch gegriffen.
Bisher ist "Wild Island" nicht einmal eine Fernseherfahrung, die unseren TV-Alltag bereichert.
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