Dass etwas mit unserer Art der Ernährung nicht stimmt, wissen wir schon längst: zu künstlich, zu fettig, zu süss, voller Tierleid und den Planeten machen wir auch noch damit kaputt. Die ZDF-Doku-Reihe "Achtung, Essen!" nimmt drei gesellschaftliche Konflikte rund um unser Essen unter die Lupe. Diesmal im Fokus: antibiotikaresistente Keime.
"Sie bekam plötzlich sehr hohes Fieber. (...) Sie hat sofort Antibiotika bekommen, aber das Fieber blieb und war sehr hoch und ging nicht wirklich runter. Nach einer gewissen Zeit war dann klar: Sie hat einen ESBL-Keim."
Sie, das ist in diesem Fall die einjährige Madita und ihr Fall steht in der Auftaktfolge der ZDF-Doku "Achtung, Essen!" exemplarisch für ein immer grösser werdendes Problem: antibiotikaresistente Keime. Doch was ist das genau und was kann man dagegen tun? Die Informationen der Doku im Überblick.
Die Begriffe der Keime und Bakterien erklärt
Keime oder Bakterien sind lebende Organismen, erklärt Hanan H. Balkhy, stellvertretende Generaldirektorin der Weltgesundheitsbehörde, und spezifiziert das Problem: "Sie können ihre äussere Struktur verändern, sie können bestimmte Enzyme entwickeln, sich tarnen – alles, um zu verhindern, dass sie anfällig für Antibiotika sind. Sie tun das, um sich selbst zu schützen. Wenn man Tiere oder Menschen Antibiotika aussetzt, dann werden die Bakterien, die sie tragen, automatisch resistenter. Mehr Antibiotika, mehr Resistenzen."
"MRSA-Keime waren ursprünglich gegen das Antibiotikum Methicillin resistent. Inzwischen haben sie weitere Resistenzen gebildet. Sie besiedeln insbesondere die Haut und die Schleimhäute und können unter anderem zu einer Sepsis (Blutvergiftung, Anm. d. Red.) führen."
"Der ESBL-Keim (Extended-Spectrum-Betalaktamase) ist ein antibiotikaresistenter Keim. Er tritt vor allem im Magen-Darm-Bereich auf und kann bei einer Immunschwäche der Patient*innen zu schweren Infektionen führen."
Über die Gefahr, die von ESBL-Keimen ausgeht, sagt Dr. Josef Oswald, Kinderurologe am Ordensklinikum Linz: "Es ist ein besonderer Keim, weil er sehr viele Resistenzen zeigt. Das normale Antibiotikum, das man gibt, wirkt bei diesem Keim nicht. (...) Wenn die Diagnostik nicht rechtzeitig geschieht, dann gibt es irreversible Schäden."
Das Problem bei Antibiotikaresistenzen
"Unsere Antibiotika werden knapp", erklärt Professorin Hanan H. Balkhy das Grundproblem und ergänzt: "Die Frage ist nicht: Wird das passieren? Es passiert – schon heute." Das Hauptproblem ist, dass aktuell und zunehmend Antibiotika, die existenziell zur modernen Medizin gehören, nicht mehr wirken.
"Selbst die einfache Infektion der Haut oder einer Wunde, die normalerweise einfach zu behandeln wäre, wird sich zu einer Blutvergiftung entwickeln und der Patient wird sterben. Und es wird noch einer sterben. Und noch einer", ist sich Balkhy sicher, dass das Problem immer grösser wird, wenn man nichts dagegen unternimmt.
Das sieht auch Thorsten Körner, Facharzt für Kinderheilkunde so: "Ich glaube schon, dass das gesamtgesellschaftlich ein richtiges Problem werden wird, wenn die Erreger so weit mutiert sind, dass im Prinzip die Antibiotika gar nicht mehr helfen. Das mag man sich nicht ausmalen. Da gnade uns Gott, weil dann vielen Kindern nicht mehr geholfen werden kann."
In der Tat sind die aktuellen Zahlen, die die Dokumentation präsentiert, besorgniserregend. Demnach sterben in der Europäischen Union jedes Jahr mehr als 33.000 Menschen an resistenten Keimen und der Blick in die Zukunft sieht nicht besser aus: "Bis zum Jahr 2050 könnten weltweit jährlich bis zu zehn Millionen Menschen an antibiotikaresistenten Keimen sterben."
Die Gründe für die Entstehung und Verbreitung der Keime:
Die beiden Hauptgründe für die Entstehung und Verbreitung antibiotikaresistenter Keime sind, so die Dokumentation, der zu hohe Einsatz von Antibiotika in Humanmedizin und Tierhaltung. "Einige Studien haben sehr klar gezeigt, dass bis zu 30, 40, manchmal 50 Prozent der Antibiotika, die auf Intensivstationen eingesetzt werden, nicht nötig waren", erklärt Professorin Balkhy. Auch Kinderurologe Oswald sieht die Zahl antibiotikaresistenter Keime wachsen, "weil zum Teil unkritisch Antibiotika genommen wird".
"Jeder Einsatz von Antibiotika bedeutet: Ich fördere die resistenten Bakterien und es entstehen möglicherweise bei jeder Gabe von Antibiotika neue Resistenzen", erklärt der Facharzt für Hygiene Martin Eikenberg.
Auch die Massentierhaltung leistet einen Beitrag zum Problem, wie Reinhild Benning von Germanwatch in der Doku schildert: "Die Hälfte aller in Deutschland verkauften Antibiotika landet in der Tierhaltung. Und da jeder Antibiotika-Einsatz resistente Erreger nach sich ziehen kann, ist die Hälfte des Einsatzes in der Tierhaltung aus unserer Sicht besorgniserregend."
Germanwatch hat in verschiedenen deutschen Discountern Hähnchenfleisch gekauft und im Labor der Universität Greifswald analysieren lassen. Das Ergebnis: Die Forscher fanden in den 59 Proben resistente Keime, und zwar bei Lidl und Real in 33 Prozent, bei Netto in 58 Prozent, bei Aldi in 75 Prozent und bei Penny in 82 Prozent der untersuchten Fleischproben.
Die Gefahr, die von diesem Fleisch ausgeht, liegt laut Benning in den unkontrollierbaren Übertragungswegen bei der Zubereitung des Fleischs: Messer, Schneidbrettchen, Spritzwasser und so weiter.
Warum bei der Massentierhaltung die Entstehung der resistenten Keime begünstigt wird, liegt laut Mikrobiologin Katharina Schaufler, die an der Fleischuntersuchung beteiligt war, an der Menge der Tiere und der Enge in den Ställen.
Tierarzt Jens Hübel ergänzt: "In der Umgebung eines Stalls, das ist nachgewiesen, hat man einen erhöhten Eintrag von Erregern, die im Stall waren und die dann auch in die Umgebung eingetragen worden sind. Da ist ganz besonders Staub ein Überträger, weil da Bakterien sehr gut anhaften können."
Aber nicht nur die Übertragungswege der Keime sind ein Problem, sondern die zu häufige Gabe von Antibiotika, wie Hübel erklärt. Wenn ein Tier erkrankt ist, so der Tierarzt, könnten andere Tiere bereits infiziert sein und die Keime weiterverbreiten, "was in einem Stall mit 20.000 Tieren, die auch noch durcheinander laufen, theoretisch mit allen 20.000 Tieren möglich ist. Von daher muss ich alle Tiere behandeln."
Die Lösung gegen Antibiotika
Eine Lösung, was man gegen die Entstehung und Verbreitung von antibiotikaresistenten Keimen tun kann, nennt die Dokumentation nicht explizit, aber die dargestellten Probleme legen Lösungen nahe: Reduzierung der Gabe von Antibiotika in der Humanmedizin und ein Wandel unserer Landwirtschaft weg von der Massentierhaltung.
Bei der Behandlung von Kranken geht die Dokumentation noch auf die sogenannten Reserveantibiotika ein. Das sind Antibiotika, die nur im Notfall eingesetzt werden, wenn alle Mittel versagt haben.
Klingt nach einer Lösung, ist es aber nicht, denn die Untersuchung in Greifswald hat auch ergeben, dass "mehr als jede dritte Probe resistente Keime gegen diese letzte Reserveantibiotika aufweist".
"Eine alarmierend hohe Befundrate", urteilt Benning von Germanwatch und auch Nephrologe Gerd-Ludwig Meyer wird deutlich: "Reserve-Antibiotika haben in der Massentierhaltung nichts zu suchen. Es sterben deswegen Menschen."
Mittwoch, 29. April, 0.45 Uhr und 4.00 Uhr, ZDF: "Achtung, Essen! Zucker"
Mittwoch, 6. Mai, 0.45 Uhr, ZDF: "Achtung, Essen! Eier"
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