Seit 38 Jahren gibt es den ZDF-Fernsehgarten, jeden Sonntag vom Lerchenberg, jeden Sonntag moderiert von Andrea Kiewel, zwei Stunden live. Doch wie ist das eigentlich hinter den Kulissen, wenn man sich das Spektakel vor Ort anschaut? Wir sind in die Gluthölle nach Mainz gefahren.

Eine Reportage
Dieser Text enthält neben Daten und Fakten auch die Eindrücke und Einschätzungen von Patricia Kämpf. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Im ZDF-Fernsehgarten ist alles erlaubt, sagt Christian, der Anheizer. Er soll den Lerchenberg heiss machen, bevor es losgeht. Wenn Andrea "Kiwi" Kiewel nachher kommt, müssen alle Zuschauerinnen und Zuschauer "spontan ausrasten, auch wenn ihr euch gar nicht freut, Kiwi zu sehen" sagt er. Man könne dann auch seinem Nachbarn in die Hose fassen. Oder sich komplett ausziehen. Niveau auf dem Lerchenberg? An diesem Sonntag nicht da.

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Anheizer Christian
Der Anheizer Daniel. © Patricia Kämpf

Aber offenbar nicht nur an diesem Sonntag. Vermutlich erzählt Christian, der Anheizer, ohnehin jeden Sonntag das Gleiche. Er ist für die Hauptarena zuständig, während der zweite Anheizer Daniel den Poolbereich im Blick hat. Er hat zwar auch ein Mikrofon in der Hand, spricht aber nicht rein. Kein einziges Mal, während er über den Lerchenberg schwirrt. Er übernimmt einfach die Stimme von Anheizer Christian, der den Menschen die Regeln für die Live-Sendung erklärt. Daniel hebt nur an den passenden Stellen die Arme, so als würde er die Sätze auch gerade sagen.

Hier kommt man immer wieder her, das hat Tradition

Genau genommen braucht hier niemand einen Anheizer, schon gar nicht zwei. Die Menschen rasten schon aus, bevor Kiwi überhaupt da ist. Frauen, Männer, mit Rollator oder im Kinderwagen, 27 Junggesellinnenabschiede in neon-pinkfarbenen T-Shirts und 20-jährige Männer, die sich wie kleine Kinder über Basecaps mit ZDF-Logo freuen. Ein paar Frauen tragen Haarreifen mit silbernen Mini-Discokugeln auf dem Kopf, sie könnten glatt als Aliens durchgehen. Der Kopfschmuck hat aber mit dem Motto zu tun ("Discofox"), einigen Männern spannen die "Schlager und Bier"-Shirts über den dazu passenden Bierbäuchen.

"Wahnsinn, warum schickst du mich in die Hölle?", schallt aus den Lautsprechern. Letzte Möglichkeit zum Abhauen? Aber dann steht auch schon Kiwi auf der Bühne, noch 15 Minuten bis zum Start der Live-Sendung. Sie fragt, wer heute Geburtstag hat und wer zum ersten Mal im Fernsehgarten ist. Da meldet sich fast niemand. Hier kommt man immer wieder her, das hat Tradition. Auch die Sonne ist da, sie knallt an diesem 1. September auf den Lerchenberg. Dass heute meteorologischer Herbstanfang ist, ist dem Fernsehgarten egal.

Und weil's noch nicht heiss genug ist, ist das Motto "Discofox" um ein zweites Motto erweitert worden: "Backen", erklärt Kiwi, nachdem der Fernsehgarten live auf Sendung ist. Was man aber nur merkt, weil es schon nach 12:00 Uhr mittags ist. Auf dem Lerchenberg gibt es keinen Unterschied zwischen Anheizen und Live-Show.

Kleiner Kiwi-Fauxpas, macht aber nix

Backen und Discofox, das passt natürlich hervorragend zusammen, vor allem in der Sommerhitze. Irgendjemand macht den naheliegenden Witz, dass man eigentlich keinen Herd bräuchte, um Kuchen und Cupcakes in feste Form zu bringen. Es gibt aber trotzdem so viele Herde, dass angeblich jeder Fernsehgarten-Besucher am Ende einen Cupcake mit nach Hause nehmen kann.

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© Patricia Kämpf

Die werden in den nächsten zwei Stunden live von YouTuberin und Foodbloggerin Sally Öczan gebacken, die laut Kiwi "30, 40, 50 Millionen Follower auf Instagram" hat. Als Sally Özcan schliesslich darauf antworten darf, hört sich das etwas anders an: "Wenn man alle Kanäle zusammen nimmt, sind es ungefähr acht Millionen." Kleiner Kiwi-Fauxpas, macht aber nix. Sally hat schon mit dem Backen angefangen.

Detlef D. Soost hilft ihr dabei. Der Tänzer und Choreograf ist natürlich nicht wegen des "Discofox"-Mottos da. Dafür tanzen überall auf dem Lerchenberg Menschen Paartanz, die ganze Zeit, auch direkt vor den Toiletten, mit Tanzschuhen und in Tanzoutfits, hier ist man vorbereitet.

Das Areal ist riesig, Hügel rauf, Hügel runter, Sonne, Schatten, Menschen sitzen auf Picknick-Decken, anderen brennt die Sonne die Kopfhaut weg, wieder andere wedeln sich mit regenbogenfarbenen Fächern heisse Luft ins Gesicht. Currywurst im Brötchen gibt's für sechs Euro. Und der Pool ist ja auch noch vorhanden, "in den wir nachher noch alle reinspringen", kündigt Kiwi schon mal das Ende der Sendung an.

Jeder feiert und singt, jeder hat hier Bock

Jetzt ist der Pool aber erstmal Ziel für Sänger Maximilan Arland. Damit das im Fernsehen gut aussieht, ist wieder Anheizer Daniel im Einsatz. Er hebt die Arme, brüllt und klatscht. Diesmal kommt das nicht vom Band, und die Fernsehgarten-Fans rasten wieder auf Kommando aus. "Hier passiert gleich was Aufregendes", sagt ein Mann zu seiner Frau und beisst in sein Rindwurst-Brötchen. "Dann musst du klatschen." Sie trägt eine knallrote Sonnenbrille mit sternförmigen Gläsern und nickt eifrig.

Viel mehr Zeit zum Absprechen bleibt aber nicht, da kommt schon Maximilian Arland, läuft mitten durch die Menge, "Zeit sich zu verlieben" singend und winkend. Auch die Männer und Frauen und Kinder um ihn herum singen und winken und kreischen in die Kameras, die an Kränen montiert über die Menge schweben. Die Stimmung ist ausgelassen, jeder feiert und singt, jeder hat hier Bock.

Jetzt macht sich auch Andrea Kiewel auf den Weg zum Pool, spannt sich für den Weg durch die Sonne einen weissen Schirm auf. "Ich könnte in der Hitze nicht sitzen", sagt sie zu den Menschen, die seit Stunden in der Hitze sitzen. Sonnenstich und Cupcakes gibt's hier gratis.

© Patricia Kämpf

Kein Selfie, kein Autogramm - aber sie lächelt

Wobei das nur für den Sonnenstich gilt, bei weitem nicht alle Fernsehgarten-Zuschauerinnen und -Zuschauer bekommen am Ende der Live-Sendung einen kleinen Kuchen auf die Hand. Sowieso nur die, die im inneren Kiwi-Kreis in der Arena, der Hauptbühne, Platz genommen haben. Die Fans stört das aber nicht, viele sind schon dorthin gepilgert, wo sie den Promis jetzt noch ganz nah kommen können, bevor die im Backstage-Bereich verschwinden: hinter der Hauptbühne.

Schlagersänger Olaf Berger ist schon dort, macht unter "Olaf, Olaf!"-Rufen Selfies mit seinen Fans, dann kommt Ex-GZSZ-Star und Ex-Dschungelcamper Raul Richter vorbei, auch er hat mit Sally Özcan gerade zwei Stunden gebacken. Da bleibt nur Zeit für ein einziges Selfie, dann ist er weg. Bei Kiwi geht's noch schneller, sie hat zwei Männer als Geleitschutz dabei, den einen hält sie an der Hand, bei dem anderen hat sie sich untergehakt, kein Selfie, kein Autogramm. Aber sie lächelt.

Drei Männer haben genug gesehen, machen sich auf den Weg nach Hause. "Das war eine Once-in-a-lifetime-Erfahrung", sagt einer, seine Kumpels stimmen ihm zu. "Wobei", fügt er an, "ich glaube, wir sollten nochmal kommen. Dann mit Sitzplatz." Während sie in der Menge verschwinden, ist Anheizer Daniel noch nicht fertig. Er macht noch immer Selfies mit seinen Fans.

Korrektur: In einer früheren Version des Artikels wurde nur ein Anheizer (Christian) genannt, es gibt aber noch einen zweiten (Daniel). Während Christian die Hauptarena einheizt, ist Daniel für den Poolbereich zuständig. Deswegen hat er zwar ein Mikrofon in der Hand, spricht aber nicht selbst rein.

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