• Jan Böhmermann nimmt sich am Freitagabend in seinem Format "ZDF Magazin Royale" die Inhalte der Klatschblätter zur Brust.
  • Der TV-Satiriker arbeitet sich aber nicht nur im TV an deren Geschäftsmodell ab, sondern hat jetzt selbst ein gedrucktes "Freizeit Magazin Royale" herausgebracht.
  • Es ist ein Klatschmagazin über Klatschmagazin-Macher, die nicht sonderlich gern Klatsch über sich selbst in der Presse lesen.
Eine Kritik
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Echte Diskurse zu den Klatschblättern gibt es in Deutschland im Grunde selten. Da war es ganz gut, dass sich Moderator Jan Böhmermann in Kooperation mit "Übermedien" am Freitagabend im Format "ZDF Magazin Royale" den Gazetten, die hierzulande neben den Lesern vor allem leidtragende Promis sowie deren Advokaten tangieren, eingehender widmete. Privates auszuspionieren, um es dann nicht einmal mit der Wahrheit genau zu nehmen, ist ja irgendwie auch einigermassen erbärmlich.

Die Vasektomie im Quantitätsjournalismus

Zunächst stellte Böhmermann, stellvertretend für die ganze Boulevard-Clique, mal Philipp Welte von "Hubert Burda Media", welcher beispielsweise "Bunte" oder "Freizeit Revue" verantwortet, an den Pranger. "Er sieht aus wie ein Mann, der nach zwei Gläsern Champagner jedem Partygast ungefragt erzählt, dass die Vasektomie wirklich die beste Entscheidung seines Lebens war", schoss der Moderator gleich mal scharf.

Aber warum eigentlich, wo doch Verleger Welte ein Veteran der Integrität ist? "Wir garantieren tatsächlich den Wahrheitsgehalt dessen, was wir transportieren", meinte nämlich der Vertreter des "Quantitätsjournalismus", wie Böhmermann den "schamlosen, schmutzigen Stiefbruder des Qualitätsjournalismus" nannte, in einer Zuspielung.

Das dunkle Geheimnis von Benedikt XVI.

Danach ging der Bremer Satiriker in die Analyse, um zu illustrieren, wie Headlines und darunter folgende Inhalte in den Pillepalle-Journalen gewöhnlich so korrespondieren. "Lebe wohl, guter Benedikt! Kommt jetzt ein dunkles Geheimnis ans Licht", schlagzeilte etwa die "Woche Heute" im vergangenen Jahr. "Oje, unser Volkspapst hat ein dunkles Geheimnis? Welches denn? (…) Hat er sich ein Tribal übers Steissbein tätowieren lassen? Oder hat er herausgefunden, dass es gar keinen Gott gibt?", orakelte Böhmermann höhnisch.

Das "dunkle Geheimnis" verriet das Blatt ein paar Zeilen später: "Der frühere Papst Benedikt XVI. ist an einem Hautausschlag im Gesicht erkrankt." Hat nicht schon Hiob seine Söhne und Töchter durch Kriege, Naturkatastrophen und Hautausschläge verloren?

"Die bittere Wahrheit" über Helene Fischers Freund

"Was hat das Schwein verbrochen?", setzte Böhmermann angesichts der "Freizeit Spass"-Schlagzeile "Helene Fischer – aus der Traum. Die bittere Wahrheit über ihren Freund Thomas" nun zum Sprung ins Investigative an. Worunter Thomas heute noch schrecklich zu leiden hat, verriet die Regenbogen-Postille in einem späteren Absatz: Er wollte eigentlich Kunstturner werden, war aber mit 1,90 Metern zu gross dafür. Böhmermann konnte den Schmerz von Thomas gut nachvollziehen. "Ich wollte eigentlich auch Kunstturner werden, hatte aber einfach zu wenig Bock", so der Moderator.

Die nächste traurige Wahrheit: Die deutschen Klatschzeitschriften haben mit ihren reisserischen Headlines und Spurenelementen von Sensation und Wahrheit eine Auflage von weit über drei Millionen Exemplaren – und damit eine grössere als die Leitmedien "Spiegel", "Stern", "Fokus" und "FAZ" zusammen.

Armer Helmut Kohl: "lebendig eingemauert"

"Faktencheck ist bei uns, wie überall in der Branche, journalistischer Alltag", bemühte Böhmermann nun auch ein Zitat der "Bauer Medien Group"-Erbin und Inhaberin Yvonne Bauer. Ihr Unternehmen produziert etwa Publikationen wie "das neue" oder die "Freizeitwoche", verfügt aber auch über Beteiligungen im Privatfunk und -TV. Bauers "Prima Freizeit" titelte etwa 2017 "Helmut Kohl – lebendig eingemauert. Alles über die schreckliche Tragödie".

Der wahre Hintergrund: Maike Kohl-Richter, die Frau des damals schon schwer kranken Ex-Kanzlers, liess einen hohen Sichtschutz um ihr Haus errichten, um sich vor den Belästigungen der Paparazzi von Magazinen wie etwa "Prima Freizeit" zu schützen. Was taten die Klatschblätter? Sie instrumentalisierten den Sichtschutz, der die Privatsphäre der Kohls bewahren sollte, um exakt diese zu stören.

Nie stattgefunden: Sechs "Sandra Bullock"-Interviews

Exakt sechs Interviews hat die "Freizeit Woche" in den letzten rund 15 Jahren mit Hollywood-Schauspielerin Sandra Bullock abgedruckt, ohne ein einziges Mal mit ihr zuvor gesprochen zu haben. "Wie lief denn da der grosse 'Yvonne Bauer-Qualitätsfaktencheck'?", wollte Böhmermann wissen.

Die schriftliche Antwort der "Freizeit Woche": "Die freie Mitarbeiterin (...) habe es von einem englischen Kollegen übernommen. Sie könne jedoch weder sagen, welcher Kollege das war, noch wann oder wo das Interview stattgefunden haben soll." Zudem sei die Mitarbeiterin gerade umgezogen und habe ihre Kisten noch nicht ausgepackt, weshalb sie die Unterlagen nicht gefunden habe. Noch Fragen?

"Rechtswidrig", aber "kalkulierter Rechtsbruch"

"Diese Dinge sind eindeutig rechtswidrig", konstatierte Medienrechtsanwalt Christian Scherzt. "Sie werden aber nach wie vor von gewissen Verlagen gemacht, weil es kalkulierter Rechtsbruch ist", so der Experte weiter. Heisst: Diese "Betriebskosten", also Strafzahlungen für den Rechtsbruch, lohnen sich für die Regenbogenpresse und werden gleichsam direkt mit eingepreist.

Dabei berufen sich die Klatschmagazine auch gern auch auf das Presseprivileg, das in Deutschland echtem Journalismus an sich gewisse Sonderrechte einräumt. "Darum garantieren die Macher dieser Hefte auch ständig den Wahrheitsgehalt", klärte Böhmermann auf.

Sich auf das Presseprivileg zu berufen, obwohl man gar keinen Journalismus betreibt, hat nämlich auch für diese Art von Verlagen zahlreiche Vorteile: "So können sie sich vor Gericht auf Quellenschutz berufen. Auf ihre Preise müssen sie nur 7 statt 19 Prozent Mehrwertsteuer aufschlagen und von Vorschriften des Datenschutzes sind sie in Teilen ausgenommen.", wird im "ZDF Magazin Royale" verraten. Dabei pickt man sich natürlich nur die Rosinen aus dem Kuchen, denn auf die Pressepflichten wird natürlich leidenschaftlich gepfiffen.

Böhmermann entblättert Klatschpresse mit eigenem Magazin "Freizeit Magazin Royale"

Zur Illustration des Systems und Geschäftsmodells "Klatschpresse" hat Böhmermann jetzt selbst ein gedrucktes "Freizeit Magazin Royale" an den Kiosk gebracht, das sich ausschliesslich dem deutschen Auflagenadel widmet. Erster Coverboy ist der Verleger-König Hubert Burda. Der "rosenkohlförmige Brillenschlumpf", so Böhmermann, ist einer der mächtigsten Menschen des Landes.

"Wie er mit Intrigen, Inzucht und Inkontinenz Millionen machte" kann man ab sofort in der ersten "Freizeit Magazin Royale"-Ausgabe nachlesen. Zudem biete das Magazin "ausschliesslich Qualitätstragödien, Schocknachrichten und Horrordiagnosen über die Macherinnen und Macher von 'Bauer', 'Burda', 'Funke', 'Klambt' oder 'Alles Gute'", eröffnete der Satiriker.

Viele Österreicher etwas enttäuscht

Die Hoffnungen vieler österreichischer Twitterer, Böhmermann könnte in der Sendung wieder einmal die alpenländische Politik zum Thema machen oder gar einen weiteren ÖVP-Skandal aufdecken, erfüllten sich nicht. Der Entertainer hatte Tage zuvor nämlich mit dem Tweet "The Vengabus is comin' and everybody's jumpin'" einige Erwartungen in Österreich geweckt.

Der Track "I'm going to Ibiza" von den Vengaboys war 2019 so etwas wie die musikalische Untermalung des Ibiza-Videos mit den einstigen FPÖ-Politikern Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus. Dessen Enthüllung führte danach rasch zum Ende der ÖVP-FPÖ-Koalition.

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