Verschneite Berggipfel, grüne Täler, Caféhäuser und Sachertorte. Österreich ist ein schönes Land. Zumindest in der Idealvorstellung. Bei Jan Böhmermann und der jüngsten Ausgabe seines "ZDF Magazin Royale" ist die Alpenrepublik hingegen auf dem Weg in eine Autokratie. Schuld daran: Österreichs Kanzler Sebastian Kurz und seine "türkise Familie" von der ÖVP.
"Diese heutige Sendung ist so wertvoll, dass sie für den ganzen Sommer reicht. Bis September."
Doch Böhmermann hat in diesem Saison-Finale tatsächlich etwas Grösseres vor, auch wenn das, ohne despektierlich zu sein, erst einmal nicht so klingt: "Wir widmen uns in dieser Sendung unserem Lieblingsland: Österreich." Doch natürlich widmet sich Böhmermann nicht einem ganzen Land, denn er möchte es wie immer etwas präziser.
Und deshalb ist am Freitagabend nicht ganz Österreich im Visier von Böhmermann, sondern nur dessen Kanzler
Doch selbstverständlich sind diese oberflächlichen Image-Attribute des österreichischen Kanzlers nicht der Kern der Kritik, sondern nur Anlass für mehr oder weniger gelungenen Humor. Was also hat Kurz getan, ausser sich die Frisur zurecht zu gelen?
Böhmermann macht "satirischen Beitrag über das Netzwerk von Sebastian Kurz"
Das erklärt Böhmermann einleitend mit einem Artikel der österreichischen Zeitung "Der Standard". Dort stand: "Ende November 2019 kündigte der ORF in Trailern für 'Gute Nacht Österreich' ein 'Erklärstück' von Sebastian Kurz an. Allein: In der Sendung […] widmete sich die Satiresendung nicht dem Kanzler." Nun ist es nicht ungewöhnlich, dass es in TV-Shows Umstellungen gibt, die Gründe können ganz unterschiedlicher Natur sein.
Ungewöhnlich und Grund, warum sich Böhermann der Sache überhaupt angenommen hat, ist aber die Erklärung, die der ZDF-Moderator liefert, als er aus der Mail einer Channelmanagerin des ORF zitiert. Dort heisst es: "Die einzelnen Sendungen [müssen] möglichst ausgewogen sein. Heisst: alle bekommen ihr Fett ab." In der Tat eine merkwürdige Begründung, Böhmermann mutmasst deshalb: "Das Netzwerk von Sebastian Kurz hat einen satirischen Beitrag über das Netzwerk von Sebastian Kurz verhindert. Im öffentlich-rechtlichen Fernsehen."
Für Böhmermann Skandal wie Herausforderung zugleich: "Da bekomme ich ja richtig Bock, einen satirischen Beitrag über das Netzwerk von Sebastian Kurz zu machen. Und zwar den satirischsten Beitrag, den das 'ZDF Magazin Royale' jemals gemacht hat."
Klingt umwerfend – doch was dann kommt, ist ein bisschen dünn – zumindest erst einmal. Denn zunächst ertappt Böhmermann Medien des Springer-Verlags dabei, wie sie Kurz als Vorbild für Deutschland hochjubeln, was allerdings weniger gegen Kurz spricht, als gegen "Bild" und "Welt".'
Österreich auf dem Weg zur Autokratie?
Doch dann kommt Böhmermann in Fahrt und unterstellt Sebastian Kurz, Österreich in einen "Ein-Mann-Führerstaat" verwandeln zu wollen und dekliniert diese Unterstellung mit einem kleinen Massnahmen-Katalog durch. Für eine solche Veränderung brauche Kurz nur vier Dinge unter seine Kontrolle bringen: die Regierung, die Medien, das Parlament und die Justiz. Und so geht Böhmermann dieses Vier-Punkte-Programm einmal durch.
Es beginnt mit Kurz' Forderung von 2017, die damals am Boden liegende ÖVP ganz auf ihn zuzuschneiden. Wichtige Posten habe Kurz daraufhin mit seinen "Vertrauten und Quereinsteigern" besetzt und so eine "treu ergebene Gefolgschaft" bekommen.
Partei und Regierung unter Kontrolle? Check. Nächster Schritt: die Medien. Hier geht Böhmermann nicht direkt über Sebastian Kurz, sondern zunächst über die rechte FPÖ, den ehemaligen Koalitionspartner von Kurz' und seiner ÖVP.
Zwei Jahre ging die Koalition für Kurz gut, ehe der ehemalige FPÖ-Vizekanzler, Heinz-Christian Strache, heimlich dabei gefilmt wurde, wie er vor einer vermeintlichen russischen Oligarchin von der Übernahme der "Kronen-Zeitung" fabulierte #Ibiza-Affäre. Danach geht es über den Immobilieninvestor René Benko und dessen Medien-Beteiligungen direkt zu Kurz selbst, der versucht haben soll, direkten Einfluss auf Medien wie den "Kurier" auszuüben, was Böhmermann durch die Aussagen des ehemaligen "Kurier"-Chefredakteurs, Helmut Brandstätter untermauert. Böhmermanns Fazit: "Sebastian Kurz macht aus freien Medien 'kooperative Medien'."
Punkt drei, das Parlament, frühstückt Böhmermann über Bande ab: "Im österreichischen Parlament gibt es nämlich jetzt leider einen Untersuchungsausschuss, weil die Glücksspielfirma Novomatic möglicherweise ÖVP-Politiker bestochen hat." Es geht laut Böhmermann um Wolfgang Sobotka (ÖVP), den Ibiza-Untersuchungsausschuss, Wirecard, Erinnerungslücken und am Ende um den Vorschlag Sobotkas, die Wahrheitspflicht im Untersuchungsausschuss abzuschaffen.
Kein schönes Bild: Sebastian Kurz und "die türkise Familie"
Bleibt noch die Justiz: "Durchgestochene Chatprotokolle" über "den Postenschacher der türkis-blauen Koalition", Korruptionsverdacht beim Finanzminister, ein verschwundener Dienst-Laptop, gelöschte Daten – es ist kein gutes Bild, das Böhmermann von "der türkisen Familie" zeichnet. Doch die bläst laut Böhmermann zum Gegenangriff auf die Justiz: "Wenn die Justiz gegen die türkise Familie ermittelt, dann bekommt nicht die türkise Familie ein Problem, sondern die Justiz", erklärt Böhmermann zu Berichten, die ÖVP wolle die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) umbauen.
Geleakte Nachrichten-Verläufe, Zitate und Berichte aus verschiedenen Medien – die Informationen über die genannten Vorwürfe und Affären, die Böhmermann und sein Team zusammengetragen haben, sind nicht neu. Aber das ist gar nicht das Entscheidende. Auch nicht, ob das Bild, das Böhmermann hier von Österreich zeichnet, in genau dieser Form stimmt oder ob all die Informationen vielleicht auch einen anderen Schluss zulassen.
Nein, unabhängig von all dem Genannten, ist es Böhmermanns Verdienst, diese Zusammenfassung überhaupt erstellt und der Regierung Kurz ganz genau auf die Finger geschaut zu haben. Nicht, um einer Politikverdrossenheit oder gar einer Politikskepsis das Wort zu reden, sondern als Appell, achtsam zu sein, wann immer es für Rechtsstaat und Demokratie bedrohlich wird.
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