Goethe, da Vinci, Einstein, Alexander der Grosse, Picasso, Steve Jobs.: Die Grossen der Weltgeschichte gelten nicht selten als Genies. Vor allem aber sind sie eines: Männer. In der neuesten Ausgabe des "ZDF Magazin Royale" bringt Jan Böhmermann diese Genie-Formel auf einen Punkt: "Genies gibt es nicht."
"Ich werde mich heute Abend selbst übertreffen, mal wieder", beginnt
Aber da Böhmermann nun einmal Böhmermann ist, ist so ein Satz erstens ironisch gemeint und deutet zweitens schon einmal das Thema des Abends an: Genies. "Das Wort stammt vom lat. genius, das ursprünglich 'Schutzgeist' bedeutete. Aus dem zugrundeliegenden lat. Verb genere '(er)zeugen' kann man die Urbedeutung 'der Leben Erzeugende' erschliessen", zitiert Böhmermann dafür wissen.de.
Es soll also um Genies beziehungsweise um das Drumherum gehen, um das, was man mit diesem Begriff verbindet und welche Folgen das hat. Am besten gelingt das, wenn man erst einmal eine Kontroverse aufmacht und da zitiert Böhmermann das "Zeit"-Portal "ze.tt": "Der Mythos des Genies wurde […] von wissenschaftlichen Diskursen längst ad acta gelegt." Damit diese Diskrepanz deutlich wird, führt Böhmermann eine kurze Auswahl auf, wer denn alles als Genie gilt: van Gogh, Kennedy, Michelangelo, da Vinci oder Dschingis Khan.
Frauen: übergangene Genies
Ein langer Vorlauf bis hierhin, um nun aber doch noch irgendwie und irgendwann auf den Punkt zu kommen, guckt Bömermann erstmal ins Lexikon, woher der Begriff "Genie" eigentlich kommt. "Die Dichter und Philosophen des Sturm und Drang und der Romantik […] entwickeln die Genietheorie, nach der das göttliche Individuum Kunst durch Freiheit und Intuition schafft", steht dort und Böhmermann fasst die Definition so zusammen: "Wer braucht noch Gott, wenn es Genies gibt?"
Und so langsam tastet sich Böhmermann an den Kern dessen heran, worum es ihm an diesem Abend geht: "Es gibt natürlich immer mal wieder weibliche Genies", erklärt Böhmermann ironisch und fragt dann genauso ironisch: "Aber wie genial können die wirklich gewesen sein, wenn man ihre Namen nicht mehr kennt heutzutage?" Eine Einstellung, die es bereits im Alten Rom gegeben hat, wie Böhmermann aus der "Zeit" zitiert, die heute aber überwunden ist. Oder?
"Das Phänomen, dass ausschliesslich Männer des Genie-Labels für würdig erachtet werden, zieht sich durch Wissenschaft, Kunst, auch Pop", bringt Böhmermann diesmal ein Zitat aus dem "Tagesspiegel" und mit einem weiteren erklärt er den Umstand, dass die genialen Leistungen von Frauen in der Geschichtsschreibung "ein kleines bisschen hinten runtergefallen sind": "Diese systematische Diskriminierung hat einen Namen: Matilda-Effekt. Er beschreibt die Tendenz, dass Beiträge von Frauen in der Forschung häufig übersehen, verdrängt oder ihre Entdeckungen männlichen Kollegen zugeschrieben wurden."
Genie? Eine Frage des Marketings
Da ist es dann nicht mehr weit zur Erkenntnis des Buches "Geniekult", dass das Konzept des "Genies" immer auf weisse, westliche, meist mitteleuropäische Männer hinausläuft und "Frauen und Juden aus der Gemeinde potenzieller 'Genies' ausschliesst und hier greift der Kniff Böhmermanns, diese auf Männlichkeit fixierte Genie-Formel zu entlarven, indem er sich den ganzen Abend über immer wieder selbst als Genie bezeichnet und die eben zitierte Genie-Formel als seine Idee ausgibt.
Die Botschaft ist klar: Genialität ist ein männliches Konzept, das, wie Böhmermann weiter ausführt, weitere Probleme nach sich gezogen hat: die Idee, dass jemand, also das Genie, besser ist als andere, sei das Mindset des Nationalsozialismus gewesen. Dabei sei die Idee des Genies ursprünglich einmal etwas Gutes gewesen, Genies im Sturm und Drang hätten Kultur und Gesellschaft infrage gestellt, nach vorne gebracht und feste Regeln aufgebrochen.
Heute gelte hingegen die Regel: "Wenn man sich nur doll genug als Genie abfeiern lässt, dann kann man sich irgendwann alles erlauben", erklärt Böhmermann und wirft einen Blick auf die dunklen Seiten so manchen Genies aus dem Kunstbetrieb: Till Lindemann, Harvey Weinstein oder Kanye West sind da dann plötzlich zu sehen. "Das Label 'Genie' schützt davor, als das Arschloch wahrgenommen zu werden, das man wirklich ist", so Böhmermanns erstes Fazit und das zweite lautet: "Das Etikett 'Genie' ist vor allen Dingen Marketing. War es schon immer und ist es bis heute."
Eine Schlussfolgerung, die, da nun einmal laut ausgesprochen, ein wenig Zeit zum Wirken braucht. Böhmermanns erste Botschaft, die Verbannung von Frauen aus den Geschichtsbüchern, egal, ob man ihre Leistungen nun als genial labelt oder nicht, ist ein bekanntes, aber noch nicht etabliertes Phänomen.
Daher ist es wichtig, sie immer wieder zu wiederholen. Böhmermanns zweite Botschaft, dass Genialität lediglich ein Marketing-Instrument sei, ist hingegen weniger bekannt und daher wäre es vielleicht hilfreich gewesen, hätte Böhmermann hier noch ein wenig mehr Luft aus Marketing-Genies und ihrem Genie-Marketing gelassen.
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Diese Marketing-Hypothese ist vielleicht noch einleuchtend, als Böhmermann in diesem Zusammenhang Elon Musk ins Spiel bringt und man nun leichter an dessen Helden-Mythos kratzen kann, wird aber erklärungsbedürftiger bei anderen Menschen, die man gerne als Genie bezeichnet. Hier hätte es einfach noch ein bisschen mehr Input gebraucht und am Ende wäre man wahrscheinlich noch bei ganz vielen anderen Faktoren wie Geld, Einfluss oder Extrovertiertheit gelandet, die entscheiden, ob jemand als Genie gilt oder nicht.
Aber vielleicht wär jeder dieser Faktoren ohnehin gross genug für eine eigene Ausgabe. So aber bleibt am Ende, wenn man beide Botschaften Böhmermanns kombiniert, das Bild einer von vermeintlich genialen Männern dominierten Gesellschaft, deren Genialität jedoch nur auf geschicktem Marketing beruht. Oder wie es Böhmermann auf eine einfache Formel bringt: "Genies waren und sind nichts weiter, als eine gesellschaftliche Projektion. Es gibt keine Genies."
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