Der Wunsch, so auszusehen, wie alle sagen, ist ungefähr so alt wie der Glaube, anderen sagen zu müssen, wie man auszusehen hat. Ein Irrsinn und Nährboden für eine Menge teurer Produkte, die allesamt die Wunschfigur versprechen. Jan Böhmermann sieht sich einen dieser Wunsch-Erfüller in der neuesten Ausgabe seines "ZDF Magazin Royale" mal genauer an: More Nutrition.
"Es wird heute tatsächlich thematisch ein kleines bisschen heikel und auch gefährlich in dieser Sendung. Ein falsches Wort, und das gilt heute mehr denn je, und ich hab die Kacke am Dampfen. Und zwar so richtig", beginnt
Nun kann man zu Recht fragen, ob dieser scheinbare Verweis auf den Terrorakt der Hamas ein geeigneter Kalauer ist, um sich eine Pointe abzuholen, denn Böhmermann geht es natürlich nicht um den Nahen Osten, sondern um wesentlich Banaleres: "Heute geht es im 'ZDF Magazin Royale' um More Nutrition."
More Nutrition: "Kaufen, kaufen, kaufen"
Wer beim Stichwort "More Nutrition" nicht gleich mitkommt, den holt Böhmermann mit einer Unternehmensmeldung von More Nutrition ab. Dort heisst es: "Christian Wolf – Co-Gründer der Marke More Nutrition – hat sich nach seinem Ausstieg aus Social Media nun auch mit sofortiger Wirkung vollumfänglich aus dem Geschäft zurückgezogen." Das hilft völlig Ahnungslosen jetzt erst einmal nicht viel weiter. Was also ist More Nutrition?
Auf den Unternehmenswebseiten schreibt man über sich selbst: "More Nutrition: Gegründet im Jahr 2017, ist More Nutrition der führende Anbieter von gesunden, zuckerreduzierten Ernährungsprodukten und Nahrungsergänzungsmitteln zur Gewichtsabnahme in Deutschland." Über das eigene Geschäftsmodell heisst es zudem: "[…] und haben ein besonderes Geschäftsmodell entwickelt, das auf Direct-to-Consumer und Social Commerce basiert."
Bei Jan Böhmermann klingt das ein bisschen anders: "More Nutrition ist so etwas wie Scientology zum Abnehmen, nur nicht ganz so harmonisch und ohne richtige Promis." Damit beginnt Böhmermanns Kritik an More Nutrition - und die absurden Namen der Produkte sind dabei noch das kleinste Problem für den Satiriker. Deren Anzahl schon eher: "Wer zur More-Family gehören will, der muss kaufen, kaufen, kaufen. Kapseln, Sprays, Pulver – More Nutrition verkauft alles, was man für eine 'gesunde Ernährung' und viel wichtiger, für 'nen geilen Body braucht."
"Ist das wirklich gut für den Körper?"
Nun gut, Sachen für eine gesunde Ernährung zu verkaufen, ist doch nicht schlimm – das macht doch der Mann am Gemüsestand auch, oder etwa nicht? Doch, aber beim Gemüsemann haben Böhmermann und sein Team keine Liste voller Vorwürfe vorbereitet: Produkte mit zweifelhafter Wirkung für sehr viel Geld, eine "unseriöse Werbestrategie", das Fördern von Essstörungen oder ein Social-Media-Vertriebskonzept, das sich vor allem an junge Menschen richtet, die aber gar nicht so richtig wissen, was sie da kaufen und warum.
"More Nutrition ist deshalb so ein Hype, weil wir jungen Leute gar nicht so genau wissen, was es ist", lässt Böhmermann einen seiner Mitarbeiter, als Reporter verkleidet, zitieren. Dieser verteilt in einer Einkaufsmeile More-Nutrition-Produkte an junge Menschen. Dementsprechend stellt Böhmermann im Studio die Anschlussfrage: "Ist das wirklich gut für den Körper?" Bei der Antwort macht sich Böhmermann allerdings ein wenig angreifbar.
"Wir haben mal mit ehemaligen More-Nutrition-KundInnen gesprochen, die jahrelang More-Nutrition-Produkte, aber auch andere Nahrungsergänzungsmittel geschluckt haben, teilweise ihre gesamte Ernährung darauf ausgerichtet haben. Und alle berichten uns von nahezu identischen Beschwerden", erklärt Böhmermann. Diese Beschwerden reichten vom Blähbauch über Verdauungsproblemen bis zur Veränderung des Geschmackssinns mit einem grösseren Wunsch nach Süssem.
"ZDF Magazin Royale": Hatten wir so etwas nicht schon einmal?
Klingt nicht angenehm, hat aber als Beweisführung nur anekdotischen Wert, denn zum einen ist so ein Nachfragen natürlich nicht repräsentativ und zum anderen lässt der Nebensatz "… aber auch andere Nahrungsergänzungsmittel geschluckt haben", natürlich die Tür offen für Einwände seitens More Nutrition. Vor allem aber ersetzt so eine Kunden-Umfrage natürlich keine wissenschaftliche Studie. Zwar zitiert Böhmermann einen Ernährungswissenschaftler und Pharmakologen, aber der Ausschnitt lässt offen, ob der Wissenschaftler konkret die More-Produkte analysiert hat oder ganz allgemein über einige der Inhaltsstoffe wie etwa Sucralose spricht.
Aber Böhmermann hat ja noch mehr Vorwürfe. Etwa das Ausnutzen von Schlupflöchern bei der Werbung durch bezahlte Influencer. Die sollen beispielsweise in ihren Social-Media-Storys behaupten, sie würden mehr Tabletten nehmen, als auf der Packung empfohlen. Ausserdem solle man als Influencer keine Aussagen über die Wirksamkeit treffen, sondern mit "kann" oder "könnte" arbeiten. Zudem, so Böhmermanns neuer Anklagepunkt, entziehe sich das Unternehmen immer wieder Überprüfungen der Lebensmittelkontrolle durch einen Wechsel des Unternehmenssitzes. "Vier Firmenzentralen in nur sechs Jahren. Dreimal umgezogen", rechnet Böhmermann vor.
Böhmermanns Botschaft, dieses Fazit kann man ziehen: More Nutrition, das sind hippe, aber teure Produkte mit zweifelhafter, wenn nicht gar gefährlicher Wirkung, die durch bezahlte Influencer an vorwiegend junge Kunden gebracht werden. Fehlt noch die Schlusspointe und die ist nicht nur humoristischer Natur: "Das alles ist nichts Neues", erklärt Böhmermann. Denn lasse man mal die Influencer, den hippen Auftritt und das Social-Media-Gedöns weg, lande man irgendwo in den 1990ern, bei Harry Wijnvoord und seiner Werbung für das Abnehmpulver Slim-fast. Und das ist in der Tat dann doch ziemlich uncool.
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