Es passiert nicht oft, dass sich jemand bereits mit einem Reaktionsvideo auf eine Ausgabe des "ZDF Magazin Royale" meldet, noch bevor diese Ausgabe überhaupt ausgestrahlt wurde. Aber genau das hat der Ex-"Bild"-Chefredakteur Julian Reichelt getan, um sich schon einmal gegen Vorwürfe zu wehren, die noch gar nicht erhoben wurden. Am Freitagabend konnte man dann beim "ZDF Magazin Royale" sehen, was der Grund für Reichelts Vorab-Offensive gewesen sein könnte.

Christian Vock
Eine Kritik
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Die ganz heisse Phase des Koalitionsbruchs ist für das politische Berlin inzwischen lauwarm geworden – und damit auch ein bisschen für die Satiriker des Landes. Da kann sich Jan Böhmermann eigentlich nur freuen, wenn er bei seinem Job ein bisschen Hilfe bekommt. Noch mehr, hätte sich Böhmermann darüber freuen können, dass diese Satire-Hilfe ausgerechnet von demjenigen kommt, der eigentlich im Fokus genau dieser Satire Böhmermanns steht.

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Denn "Das ZDF Magazin Royale" eröffnet seine neueste Ausgabe am Freitagabend mit einem Video des ehemaligen "Bild"-Chefredakteurs, Julian Reichelt, das dieser am 5. Dezember unter dem Titel "Böhmermann will NIUS zerstören. Himmlers williger Vollstrecker!" auf seinem Youtube-Kanal "Achtung, Reichelt!", der zum "Nius"-Portal gehört, veröffentlicht hat.

Darin erklärt Reichelt, von der Redaktion mit einem schwarzen Balken versehen, Folgendes: "Jan Böhmermanns Redaktion hat uns bei (diese Stelle wurde gepiept) einen Katalog mit Fragen geschickt. Offenbar möchte Böhmermann über uns, über (diese Stelle wurde gepiept) berichten. Aus den Fragen ist klar erkennbar, welche Agenda die Redaktion von Jan Böhmermann verfolgt. Es geht nicht um Neugier, es geht um Zerstörung."

"Geisteskranke" – und das soll Journalismus sein?

Sieht man sich Beiträge Reichelts, die Rügen, die die "Bild" in seiner Zeit vom Deutschen Presserats erhalten hat, sowie seinen Furor, mit dem er Kritiker überzieht, an, könnte man in Reichelts Worten eigentlich eine Art Selbst-Satire sehen. Besonders, wenn man sich die ersten Sekunden ebenjenes Videos ansieht, in denen er über das "links-grüne steuer- und gebührenfinanzierten Milieu" aus "Journalisten, Aktivisten, Propagandisten, NGOlern und sogenannten Experten" und über "autoritäre Linke" spricht und dann sagt: "Niemand fürchtet diese Geisteskranken noch."

Insofern hätte sich Böhmermann eigentlich den Rest seiner Satire-Show sparen und einfach Reichelts Video zeigen können, es hätte mehr als genügend satirische Momente gegeben – zumindest für alle, die das Gesagte dort nicht wirklich ernst nehmen. Aber und das ist das Problem: Es gibt genügend Menschen, die das eben schon ernst nehmen. Menschen, die Reichelt tatsächlich glauben, wenn er – immer noch in diesem Video – behauptet, es sei nur eine Frage der Zeit gewesen, bis Jan Böhmermann sich mit "Nius" beschäftigen würde.

Und Menschen, die zustimmend nicken, wenn Reichelt weiter behauptet: "Die Gründe dafür sind einfach." Menschen, die nicht merken, dass das eine der üblichen Nebelkerzen ist, die jemand zündet, wenn er Kritik vorab ersticken möchte. Denn so ein Satz soll davon ablenken, dass es gar nicht um eine angebliche Verschwörung oder Agenda geht. Er soll vielmehr verhindern, dass sich Reichelt einmal inhaltlich mit der Kritik oder eventuellen Vorwürfen auseinandersetzen muss.

Ist "Nius" so objektiv und demokratieliebend wie behauptet?

Denn genau die kommen am Freitagabend, doch dafür stellt Böhmermann Reichelts Portal "Nius" erst einmal genauer vor. Zum Beispiel, wer dort alles so zu Gast war und auf dieser Gästeliste findet man unter anderem Jens Spahn, Christian Lindner, Wolfgang Kubicki oder Carsten Linnemann, also Teile der Führungsriege von FDP und CDU. Und Böhmermann zeigt, wer hinter "Nius" steht: Frank Gottwaldt. Ein IT-Unternehmer, der in mehreren Bereichen finanziell mitmischt, vom Eishockey-Club Kölner Haie bis zu Regionalsendern. "Aber vor allem ist er Hauptanteilseigner dieser Firma hier, der VIUS SE & Co. KGaA", erklärt Böhmermann, wer "Nius" betreibt.

Dann zitiert Böhmermann aus der Eigendarstellung von "Nius", in der es heisst: "Wir recherchieren furchtlos und objektiv. Wir berichten die Fakten, auch wenn sie unbequem sind. Wir sind entschiedener Kritiker von Handelnden, die demokratische Grundprinzipien missachten und die Bürger gängeln oder gar zum Gleichschritt zwingen." Wie objektiv und demokratieliebend diejenigen sind, die sich das auf die Fahnen schreiben, das will Böhmermann im Folgenden genauer wissen und zeigt einen weiteren Einspieler.

Dort ist eine junge Frau zu sehen, die Folgendes sagt: "Schaut euch mal diesen schönen Indoor-Pool an! Der gehört tatsächlich bald zu einer Flüchtlingsunterkunft" , behauptet die Frau und erklärt, die Stadt Frankfurt wolle ein altes Hotel zu einer Flüchtlingsunterkunft umbauen lassen. Der ebenfalls an "furchtloser und objektiver Recherche" interessierte Böhmermann unterzieht die "Pool-für-Flüchtlinge"-Behauptung einem Faktencheck und ordnet an dessen Ende ein: "Das Schwimmbad wurde zugemacht. Es gibt gar keinen schönen Indoor-Pool für geflüchtete Menschen."

"Fakten haben nichts mit rechts oder links zu tun"

Aber nicht nur die Fakten, die gar keine sind, interessieren Böhmermann und so zeigt er das Video eines Ballermann-Songs, in dem ebenjene Frau Zeilen wie diese singt: "1, 2, 3 Promille müssen’s sein!" "Nius"-Journalistin Melissa Timke alias Ex-Schlagerikone Klara Korn, die natürlich nicht nur Ballermann-Banger singen kann, sondern auch tiefsinnige politische Pandemie-Balladen, die irgendwie ein bisschen so klingen, als wären sie der Soundtrack für rechtsextreme Prepper zum Bunkerbuddeln und Reichstag-Stürmen", erklärt Böhmermann und zeigt einen erneuten Ausschnitt aus dem Werk Timkes, in dem sie singt: "Wir wollen die alte Zeit zurück, davon träumen wir jeden Augenblick. Denn eines ist sicher und das ist fix: Wir warten alle auf Tag X."

"Mit 'Tag X' meint Melissa Timke alias Klara Korn übrigens nicht den rechtsextremen Code für einen gewaltsamen Umsturz der demokratischen Ordnung – hat sie uns extra per Mail geantwortet", erklärt Böhmermann und lässt dann aus besagter Mail unter dem Gelächter des Publikums zitieren: "Richtig ist vielmehr, dass die Bezeichnung 'Tag X' vielseitig verwendet wird, u.a. von der ZDF-Serie 'Terra X' (Quelle: Terra X Tag X: 1. Der Untergang der Azteken – 30. Juni 1520 – fernsehserien.de). […] "Super Musikerin, noch bessere Journalistin. Gut, dass wir nochmal nachgefragt haben", kommentiert Böhmermann Timkes Antwort.

"Faktencheck ist einfach wichtig", erklärt Böhmermann eine journalistische Selbstverständlichkeit, die man aber bei "Nius" offenbar nicht teilt, wie Böhmermann "Nius.de" vom 21. Dezember 2023 zitiert: "Der 'Faktencheck' ist zur gefährlichsten Waffe der Mächtigen geworden, um ihre Politik vor unliebsamer Kritik zu schützen." "Das steht so auf der 'Nius'-Seite", sagt Böhmermann und erklärt dann das Wesen eines Faktenchecks: "Es ist nicht links, einen Faktencheck zu machen. Fakten haben nichts mit rechts oder links oder konservativ oder so zu tun. Entweder es ist ein Fakt oder es ist falsch."

"Rechtsextreme Aktivistin und Verschwörungsschwurblerin" bei "Nius"

Und in diesem Geist nimmt Böhmermann "Nius" weiter unter die Lupe und findet zunächst "Nius"-Artikel, die nicht mehr online sind, mutmasslich, weil darin einfach von anderen Medien abgeschrieben worden sei. Danach sieht sich Böhmermann das Personal von „"Nius" weiter an und findet eine andere junge Frau, die in einer Rede die rechte Mär vom grossen Bevölkerungsaustausch wiederholt und fordert, es sei Zeit "dass wir die volle Rüstung Gottes anlegen, zurückschlagen und siegen." Wer da so martialische Töne anschlägt, erklärt Böhmermann: "Eva Vlaardingerbroek in voller Gottesrüstung. Eine rechtsextreme Aktivistin und Verschwörungsschwurblerin […]."

Julian Reichelt hat trotzdem keine Berührungsängste mit Vlaardingerbroek, im Gegenteil, wie Böhmermann Reichelt aus einem Video zitiert. Dort hält Reichelt die Niederländerin für "eine Kollegin, eine Freundin, eine Juristin, eine Rechtsphilosophin und eine der schärfsten Beobachterinnen der politischen Lage hier in Europa, aber auch in den USA". Auf jeden Fall ist Vlaardingerbroek bei "Nius" als "Expertin" willkommen und darf dort eine weitere Verschwörungserzählung verbreiten, diesmal die von den "Globalisten".

Eine andere junge Frau aus dem "Nius"-Kosmos ist Magdalena Menegus. Die habe, so Böhmermann, Wahlkampf für die AfD-Jugendorganisation Junge Alternative gemacht, sei auf einer Kundgebung der rechtsextremen Identitären Bewegung mitgelaufen und habe für "exxpress", das österreichische Pendant von "Nius", geschrieben. Allerdings sei ihr Name über dem Artikel irgendwann durch "Redaktion" ersetzt worden, ein Phänomen, das Böhmermann auch andernorts aufgefallen sei: "Auch bei 'Nius' gibt es sehr viele Artikel, bei denen nicht der Name des Autors oder der Autorin drüber steht, sondern einfach nur 'Redaktion'." Böhmermanns Verdacht: "Kann es sein, dass sich auch bei 'Nius' hinter 'Redaktion' auch mal eine einschlägig bekannte rechtsextreme Polit-Aktivistin versteckt?", fragt Böhmermann.

Keine Selbst-Satire mehr

Um das herauszufinden, habe sich die Redaktion den Quellcode aller Artikel, die als von "Redaktion" gekennzeichnet waren, angesehen. Das Ergebnis: "73 Mal haben wir im 'Nius'-Quellcode das hier gefunden: 'author': 'Magdalena Menegus (extern)'", erläutert Böhmermann. Allerdings könne er nicht sagen, ob Menegus wirklich jeden dieser 73 Texte selbstgeschrieben habe "und auch bei 'Nius' wollte uns das niemand sagen", so Böhmermann.

Zum Schluss kommt Böhmermann noch einmal auf das eingangs erwähnte Video Reichelts zu sprechen, das dieser quasi in einer vorauseilenden Reaktion auf Böhmermanns Magazin einen Tag vor Ausstrahlung der Sendung veröffentlicht hatte. "In dem Video hat der Chefredakteur uns aus Versehen ein paar Sachen verraten, die wir gar nicht wussten bislang." Zum Beispiel habe Reichelt Menegus "Kollegin" genannt und alleine diese Tatsache zeigt, wie wichtig es ist, dass sich Böhmermann und sein "ZDF Magazin Royale" das Treiben auf "Nius" einmal genauer angesehen haben.

Denn dass Reichelt Böhmermann dort als "linken Hassprediger" bezeichnet und von dessen "Brigaden der medialen Einschüchterung" schwurbelt, ist das eine. Das andere ist, dass es Reichelt nicht reicht, einen einzelnen Kritiker zu diskreditieren. Er will gleich an alle ran: "Das öffentlich-rechtliche System gehört nicht reformiert, sondern erst einmal abgeschafft", fordert Reichelt und zeigt damit, was er von der Meinungs- und Pressefreiheit, die er für sich selbst in Anspruch nimmt, wirklich hält: Wer ihn kritisiert, gehört abgeschafft. Spätestens hier sind Reichelts Fantasien keine unfreiwillige Selbst-Satire, sie sind brandgefährlich.

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