Beim Schielen bleiben die Augen stehen? Die "System-Medien" bekommen ihre Befehle direkt aus dem Kanzleramt? In der neuesten Ausgabe seines "ZDF Magazin Royale" seziert Jan Böhmermann die Art, wie inzwischen in Deutschland diskutiert und argumentiert wird.
Die Umtriebe der FPÖ, der NSU-2.0-Skandal, der desaströse Zustand der Brücken in Deutschland oder die Rolle von Olaf Scholz bei den Geschäften der Warburg-Bank – Jan Böhmermann hat in den vergangenen Wochen den Finger in viele Wunden gelegt. Nicht alle davon bluteten noch, hatten aber weder bereits Narben gebildet noch waren sie gar verheilt. Mit anderen Worten: Die Themen, die Jan Böhmermann in seinem "ZDF Magazin Royale" satirisch aufgreift, sind nicht immer brandaktuell, aber immer und immer noch gesellschaftlich relevant.
Und genau so klingt es auch am Freitagabend, als
Jan Böhmermann: "Zugluft will einfach nur spalten"
"Zugluft war schon immer ein unerwünschter Eindringling in Deutschland. Zugluft verschafft sich ungefragt Zugang zu Ihrem Zuhause. Zugluft ist im Raum, wenn Sie schlafen. Ach was – Zugluft ist im Raum, wenn Ihre Kinder schlafen! Zugluft unterscheidet nicht zwischen Fenster und Türspalt. Zugluft will einfach nur spalten", macht Böhmermann weiter und die Zweifel, was Böhmermann mit dem Thema "Zugluft" vorhat, lösen sich erst auf, als sich dort, wo sonst das jeweilige Thema durch Schlagzeilen und ihre Quellen eingeblendet wird, Widerstand regt.
"In deutschen Landen hält sich kaum etwas so hartnäckig wie das Gerücht, dass 'Erkältungen', also etwa Schnupfen, ein geröteter, schmerzender Hals oder andere Atemwegserkrankungen, durch kühle Luftbewegungen verursacht werden. An dem Gerücht ist nichts dran", wird dort aus dem "Tagesspiegel" zitiert. "Was fällst du mir denn jetzt auf einmal in den Rücken, du Tafel mit Text? Was soll das denn jetzt?", reagiert Böhmermann ungehalten und bekommt prompt eine Antwort eingeblendet.
"Ich bin die 'ZDF Magazin Royale'-Faktenkachel und liefere schon seit vielen Jahren zuverlässig die unbestechlichen Fakten zu deinen miesen Gags. Übrigens immer mit Quellenangaben!", ist in dem Feld plötzlich zu lesen und nun ist klar, dass es natürlich nicht um Zugluft und ihre Gesundheitsgefahren geht, sondern all das nur ein Vehikel für etwas anderes ist. Was das ist, das führt das "ZDF Magazin Royale" in seiner niedrigsten Form ein, dem kollektiven Gewohnheitsirrtum.
Vom Gewohnheitsirrtum zur Verschwörungstheorie
Einige würden sagen, Zugluft sei gar nicht so schlimm. "Die Angst vor Durchzug ist nichts weiter, als ein typisch deutschen Gruppenwahn, wie zum Beispiel …", erklärt Böhmermann, wird aber von der Faktenkachel unterbrochen: "… Glauben, dass im Ausland das Brot nicht schmeckt; 'Tatort' gucken und hinterher sagen 'diese Woche war es gar nicht mal so schlecht'; Spargel; im März in der Ostsee baden; sich freuen, wenn ein US-Promi was auf Deutsch sagt; glauben, dass sich Italien über deutsche Touristen freut; Trekkingjacken, Angrillen; Entschlacken; …"
Böhmermann packt also deutsche Gewohnheiten an den Hörnern und spätestens hier ist klar: Es geht nicht um ein bestimmtes Thema, sondern darum, wie im gesellschaftlichen Diskurs mit Themen umgegangen wird. Die Meta-Ebene ist das Thema. Und so entwickelt sich Böhmermanns Diskurskritik langsam, aber stetig von harmlosem Irrglauben wie der Gefährlichkeit von Zugluft bis hin zu den grossen Verschwörungsmythen und allem, was dazwischen liegt.
Es geht um den Umgang mit Wissenschaft und Wahrheit, ums Hinterfragen von angeblich Feststehendem, vom Konstruieren und Verbreiten eigener Wahrheiten. Um Kalendersprüche, die man nie überprüft hat, ums Nachplappern, um Stammtischparolen, Halbwahrheiten, Internet-Mythen, Querdenkertum, Selbstradikalisierung, unseriöse Youtube-Kanäle, ums Anzweifeln der Wissenschaft im Allgemeinen, um die Mechanismen und den immer gleichen Jargon derer, die glauben, als Einzige die Wahrheit zu kennen, um Kritiklosigkeit bei Quellen und um Quellenlosigkeit bei Kritik.
Wie konnte es so weit kommen?
Dazu schlüpft Böhmermann in die Rolle des Zugluft-Querdenker-Wutbürgers und führt vor, wie mancher zu seiner eigenen Wahrheit kommt, wie bewusst fahrlässig mit Quellen umgegangen wird, dass all das letztlich in die intellektuelle und emotionale Abschottung vor tatsächlichen Fakten mündet und wie als Folge dessen gesellschaftliche Diskurse in Teilen geführt werden: "Wir lassen uns nicht länger an der Nase rumführen! Auf-wa-chen! Auf-wa-chen!", brüllt Böhmermann da als Beleg zum Thema Zugluft in die Kamera.
Dabei kann Böhmermann allerdings nur beschreiben, aber nicht erklären. Erklären, wie es so weit kommen konnte, dass es bestimmten gesellschaftlichen Gruppen gelungen ist, Quellen, die bis vor nicht allzu langer Zeit noch die anerkannte Grundlage für seriöse Diskussionen waren, derart in Zweifel gezogen wurden. Warum manche Menschen lieber Scharlatanen auf Youtube-Kanälen glauben, als der Wissenschaft. Wie all das geschehen konnte, dazu liefert Böhmermann allenfalls Erklärungsansätze. Etwa, wenn er die gängige Praxis auf die Schippe nimmt, sich Nicht- oder Teilwahrheiten herauszupicken, um daraus dann falsche Ganzwahrheiten zu konstruieren. "Schon in der Bibel heisst es: Lass mein Volk nicht ziehen!", führt Böhmermann als Beweis für die Gefährlichkeit von Zugluft auf.
Aber wen wird Böhmermann damit erreichen? Für Verschwörungstheoretiker sind er und sein "ZDF Magazin Royale" ohnehin ein rotes Tuch. Die werden die Satire-Show sowieso nicht ansehen und wenn doch, nur mit Schaum vorm Mund und dem Glauben im Kopf, Böhmermann sei ja nur eine Marionette der "System-Medien" und ein Vertreter "linksgrün-versiffter Eliten" oder womit man sich sonst noch so in Rage redet.
Hier also kann eine Ausgabe wie diese nichts mehr ausrichten, aber es gibt eben noch ein paar Schritte davor. Die Welt der vermeintlichen Wahrheiten, die wir im Alltag unhinterfragt reproduzieren, sei es beim gedankenlosen Weiterleiten irgendeines Youtube-Clips, dessen Wahrheiten man nicht hinterfragt – oder eben beim Glauben, Zugluft sei gefährlich.
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