Gedanken über die eigene (unmittelbare) Zukunft sind nicht ungewöhnlich, häufig beziehen wir uns dabei auf Themen wie Job, Familie, Freunde, Geld, Wohnsituation oder Gesundheit. Aber haben Sie sich auch schon mal gefragt, wie wir Menschen beispielsweise in zehn Jahren leben werden? Was wird später (technologisch) alles möglich sein und wie ändert das unser Verhalten miteinander?

Eine Kritik
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Auf dieses Gedankenexperiment lädt das Erste ab dem 3. November mit einer dreiteiligen Near-Future-Filmreihe, die von der Idee und teils inhaltlicher Umsetzung an die britische Science-Fiction-Serie "Black Mirror" auf Netflix erinnert, ein. Gestartet wird mit dem Thriller "Zero", der auf dem gleichnamigen Roman von Marc Elsberg basiert.

Film beginnt mit viel Action und Wirrwarr

Schauplatz ist ein graues Berlin im Jahr 2025: Fünf weisse E-Autos fahren mit quietschenden Reifen in eine Tiefgarage, eine surrende Drohne taucht auf, nimmt die ein- und aussteigenden Autoinsassen ins Visier, ein Mann in Anzug zückt eine Pistole, über einen anderen wird ein Tuch geworfen, eine Frau mit Servierwagen wird erschossen. Zwischendurch wechselt das Szenenbild zu der Hauptfigur, Journalistin Cynthia Bonsant (Heike Makatsch), die sich für ein Bewerbungsgespräch bei dem Online-Magazin "Daily" in ihrem Badezimmer zurechtmacht und anschliessend beim Chef des Magazins, Tony Brenner (Axel Stein) – ein Mann mit Man Bun und von Überheblichkeit kaum zu übertreffen – ihr Glück versucht. Akustisch untermalt wird diese Szenerie mit dem fröhlichen "Kanon und Gigue in D-Dur" von Johann Pachelbel und einem Nachrichtensprecher aus dem Off, der über gewalttätige Demonstranten, brennende Autos und "Extremismus" bei Wahlen in Berlin spricht. Perfekter könnte der Gegensatz nicht sein. Wenn Sie jetzt denken "Halt. Stopp. Was?", kann ich Ihnen nur Recht geben. Ziemlich viel Wirrwarr in den noch nicht mal ersten vier Minuten. Beruhigen kann ich Sie nur zum Teil: Aufgelöst und in Kontext gesetzt werden diese hektischen Szenen im Laufe des Films nicht ganz. Vieles muss man sich selbst zusammenreimen.

"Zero": Internet-Terroristen oder Whistle-Blower?

Nun aber von Anfang an. Deklariert wird der Drohnenangriff aus Szene eins als ein terroristischer Anschlag der Internetaktivistengruppe "Zero". Doch niemand weiss zunächst, wer die Gesichter dahinter sind und welche Motive die Gruppe verfolgt. Eines steht scheinbar fest: "Zero" ist gefährlich und "das Böse". Zum Glück ist Cynthia, Witwe und alleinerziehende Mutter der 17-jährigen Viola, zur rechten Zeit am rechten Ort und wird auf die Hintergrundrecherche zu der Gruppe angesetzt.

Schnell wird durch kryptische Nachrichten von "Zero" klar, dass es um Datenkriminalität geht: Die Gruppe warnt die Gesellschaft davor, dass die Menschen selbst während ihrer intimsten Momente überwacht werden. Strippenzieher soll die Regierung sein, die sämtliche Daten der Menschen sammelt und missbräuchlich verwendet.

"Act App" – manipuliert oder optimiert sie das Leben der Nutzer?

Cynthia stösst in ihrer Recherche auf den vorherrschenden Internetkonzern "Freemee", der die sogenannte "Act App" für mobile Endgeräte entwickelt hat und regelmässig neue Updates auf den Markt bringt. Wesentliche Aufgabe der App ist es, nach Worten von Viola, den jeweiligen Nutzer zu "beraten". Ihre Mutter nennt es indessen "vorschreiben, wie man sich zu verhalten hat". Falsch liegen beide nicht. Die App beruht auf einen Algorithmus, der wiederum grob zusammengefasst auf Datensammlung und Künstlicher Intelligenz basiert. Die App weiss also, welche Vorlieben und Gewohnheiten ihre Nutzer haben. Entwickelt wurde sie von Konzern-Chef Carl Montik (Sabin Tambrea), der als tägliche Interaktionspartner lediglich drei Avatare und keinen einzigen realen Menschen um sich hat. Wesentliches Add-on der App ist der sogenannte "Human Rank". Es erinnert stark an das in China vor wenigen Jahren eingeführte Sozialkredit-System, auch "Social Scoring"-System genannt. Ähnlich wie in der Volksrepublik, bekommen die App-Nutzer im Film für gute Taten beziehungsweise für die Umsetzung eines Rates der App, Punkte vergeben. Je mehr Punkte, desto höher steigen die Personen in dem Ranking und damit automatisch in der Beliebtheit in der Bevölkerung.

Lebensechte Avatare: Sieht so Trauerbewältigung der Zukunft aus?

Die App ist allerdings nicht nur wesentlicher Bestandteil von Geräten wie Smartphones oder Laptops, sondern auch von den, selbst in dem Film noch brandneuen, "Glasses". Dabei handelt es sich um eine Art Brille, die intuitiv Daten desjenigen Menschen scannt, dem man gerade gegenübersteht. Dabei erfährt man in Sekundenschnelle nicht nur Name, Geschlecht und Geburtsdatum von seinem Gegenüber, sondern auch unliebsame Dinge wie die Strafakte. Den beratenden Avatar, der auf dem Handy-Screen nur in 2D dargestellt wird, kann man hier in 3D konfigurieren. Das mitunter Heimtückische: Sie können einem realen Menschen äusserlich und von der Stimme sehr nah kommen. Auch Cynthia lässt sich – durch ihren neuen Job getriggert – darauf ein und konfiguriert ihren kürzlich verstorbenen Ehemann. Sieht so Trauerbewältigung in der Zukunft aus? Ist das nicht eher eine Vermischung von Realität und Illusion? Ihre Tochter hat dazu zumindest eine klare Meinung: "Das ist doch krank."

Cynthia Bonsant als Old-School-Journalistin in der modernen Welt

Sowieso sind Mutter und Tochter in jeglicher Hinsicht sehr unterschiedlich, nicht nur generationsbedingt. Viola ist eher rebellischer Natur, trägt wilde Frisuren und Miniröcke, die an eine britische Schuluniform erinnern. Sie ist sehr interessiert an den technischen Neuheiten, besitzt diverse mobile Endgeräte und lässt sich von der "Act App" stark leiten – selbst bei der Trauerbewältigung und im Streit mit ihrer Mutter. Cynthia hingegen steht eher für das Klassische, eine Art Antagonistin der modernen Gegenwart, die aus Elektrobussen, autonomen Autos, digitalen Personalausweisen und Online-Medien besteht. So kommt sie beispielsweise in Schlupfbluse, akkuratem Kurzhaarschnitt und mit einer Mappe ausgedruckter Schreibproben unter dem Arm zu dem Bewerbungsgespräch bei "Daily" an. Der Chef hat dafür nur ein abwertendes "old-school" übrig. Selbst in ihrer journalistischen Arbeit bleibt sie sich treu und greift unter anderem klassisch auf einen V-Mann, Bücher und persönliche Befragungen zurück.

Im Laufe von Cynthias Recherche spitzt sich die Lage zu, vor allem als "Freemee" eine neue Version der "App Act" herausbringt, die deutlich aggressiver agiert. Diese Sätze von "Zero" lassen es erahnen: "Bisher waren Computer einfach nur Rechenmaschinen, abhängig von externen Informationen. Das wird sich jetzt ändern. Algorithmen werden selbstständig. Sie kennen Menschen irgendwann besser als jeder andere Mensch und können ihr Verhalten perfekt vorausberechnen. Algorithmen kennen keine Moral, kein Bedauern, keine Scham, keine Gefühle."

"Guten Morgen Berlin, Du kannst so hässlich sein."

Während die Handlung mitunter sehr verwirrend ist, da teils die Personen und Handlungsstränge nicht eindeutig in Relation gesetzt werden, wird die Kulisse sehr clean, kühl und einheitlich gehalten. Die Aufnahmen von Berlin im Jahr 2025 sind stets mit einem grauen Schleier und Schutthaufen versehen. "Guten Morgen Berlin, Du kannst so hässlich sein. So dreckig und grau." Diese Zeilen aus dem Lied "Schwarz zu Blau" von Peter Fox passen nahezu perfekt auf diese trübe Stimmung: Die Gebäude sind ohne viel Schnickschnack errichtet worden, sowohl von aussen als auch von innen. Meistens bestehen sie aus einer gläsernen Fassade oder aus Beton – je nachdem, ob man sich nun im Regierungsviertel oder in Reinickendorf befindet. Derselbe cleane Stil spiegelt sich in der Kleidung der meisten Personen wider und korreliert in seiner rationalen Art mit dem Charakter von Daten beziehungsweise Algorithmen.

Zu viele grosse Themen für zu wenig Film

Der Film trumpft mit einer spannenden Haupt-Thematik auf, die durchaus in der nahen Zukunft eine Rolle spielen könnte. Denn bereits heute ist der Datenschutz ein heiss diskutiertes Thema: Welche Daten geben wir von uns im Alltag preis? Wie werden sie von wem benutzt? Welchen Preis zahlen wir für unsere (un-)freiwillige Datentransparenz?

Darüber hinaus versucht der Film weitere grössere Themen wie Trauerbewältigung, politische Intrigen, Künstliche Intelligenz, Relevanz des (Online-)Journalismus und staatliche Kontrolle aufzugreifen. Grundsätzlich scheint dies nicht verkehrt, dennoch hat sich der Film damit einiges – wenn nicht gar zu viel – vorgenommen: Alles wird einmal angerissen, was allerdings oft zum Nachteil der Kontextualisierung geschieht.

Film regt zum Nachdenken an

Dennoch lässt sich für "Zero", bei dem Oscar-Preisträger Jochen Alexander Freydank Regie führte, eine klare Empfehlung aussprechen: Es ist zwar ein Film, der mit Gegensätzen – genauso wie mit angerissenen relevanten Themen und teils chaotischen Handlungssträngen – um sich wirft, dennoch stehen im Mittelpunkt authentische Schauspieler und ein starkes Thema, das zum Denken anregt und seinen eigenen Konsum an Online-Medien überdenken lässt.

Zu sehen ist der Film sowie die zwei weiteren Teile der Near-Future-Reihe "Das Haus" und "Ich bin dein Mensch" jeweils mittwochs ab 3.11. zur Primetime um 20:15 Uhr.

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