Nach den Abstürzen zweier Flugzeuge, die insgesamt 346 Todesopfer gefordert haben, steht nicht nur der Hersteller Boing, sondern auch die US-Luftfahrtbehörde FAA weiterhin unter Duck. Nun wurde bekannt, dass das Stabilisierungssystem, das eine entscheidende Rolle bei den Abstürzen gespielt haben könnte, schon viel früher im Visier der Flugaufsicht war. Hätte die Behörde einen Flugstopp durchsetzen müssen?
Das Stabilisierungssystem MCAS der Boeing 737 MAX ist bereits im vergangenen Jahr ins Visier der US-Flugaufsicht FAA geraten. Inspektoren erwogen 2018, einen Flugstopp für Maschinen dieses Typs anzuordnen, wie informierte Kreise am Sonntag bestätigten.
Grund war, dass Boeing ein Warnsystem für Fehlfunktionen des MCAS deaktiviert hatte - offenbar, ohne Fluggesellschaften darüber in Kenntnis zu setzen.
Nach zwei Abstürzen von Maschinen des Typs 737 MAX binnen weniger als fünf Monaten war im März ein weltweites Flugverbot für diese Flugzeuge verhängt worden.
Zunächst stürzte im Oktober 2018 eine solche Boeing vor der indonesischen Insel Java ab, alle 189 Insassen starben. Im März verunglückte dann eine Maschine der Fluggesellschaft Ethiopian Airlines in Äthiopien. Alle 157 Menschen an Bord kamen ums Leben.
Stabilisierungssystem soll verheerende Rolle gespielt haben
In beiden Fällen steht das speziell für die Boeing 737 MAX entwickelte Stabilisierungssystem MCAS (Maneuvering Characteristics Augmentation System) im Verdacht, eine verheerende Rolle gespielt zu haben. Es drückt bei einem drohenden Strömungsabriss die Nase des Flugzeugs automatisch nach unten, auch wenn die Piloten gegensteuern.
Dass sich die FAA bereits im vergangenen Jahr mit dem MCAS befasste, berichtete zunächst das "Wall Street Journal". FAA-Inspektoren, die mit der Aufsicht der US-Fluggesellschaft Southwest Airlines beauftragt waren, erfuhren, dass ein Warnsystem für Fehlfunktionen des MCAS bei den Maschinen der Airline deaktiviert war. Dies wurde erst nach dem Unglück der Lion-Air-Maschine in Indonesien bekannt.
Eine Southwest-Sprecherin erklärte, vor dem Lion-Air-Unglück habe Boeing es so dargestellt, als sei das Warnsignal für eine MCAS-Fehlfunktion bei allen Boeing MAX aktiviert.
Aktivierung eines Systems wäre kostenpflichtig gewesen
Nach dem Absturz in Indonesien habe Boeing die Fluggesellschaft dann aber darüber informiert, dass das Warnsystem grundsätzlich nicht aktiviert sei. Eine Aktivierung, so stellte sich heraus, war eine kostenpflichtige Zusatzoption.
Die Fluggesellschaft - zu diesem Zeitpunkt mit 34 Maschinen der grösste Boeing-MAX-Kunde - entschied sich, diese Option für alle ihre Maschinen in Anspruch zu nehmen.
Als die Luftfahrtaufsicht FAA dies erfuhr, prüfte sie, ob Piloten zusätzliches Training benötigten und die Maschinen so lange am Boden bleiben müssten. Die Inspektoren entschieden sich letztlich aber dagegen. Die Informationen wurden nicht an die Leitungsebene der Behörde weitergegeben.
Am Sonntag erklärte Boeing, künftig werde bei allen Boeing 737 MAX das Warnsystem "kostenlos" zur Verfügung stehen. Das Warnsystem macht darauf aufmerksam, wenn zwei sogenannte AOA-Sensoren, die Daten zum Anstiegswinkel der Maschine liefern, widersprüchliche Angaben an das MCAS liefern. Beim Absturz der Lion-Air-Maschine soll genau das der Fall gewesen sein. Ermittler gehen davon aus, dass das MCAS die Flugzeugnase deswegen irrtümlich nach unten drückte - während die Piloten verzweifelt versuchten, die Maschine hochzuziehen.
Boeing: Extra-Kosten in Höhe von fast einer Milliarde Dollar
Derzeit arbeitet Boeing mit Hochdruck an einer neuen Version der Software. Am Montag sollte eine 90-tägige Testreihe beginnen, bei der neben FAA-Vertretern auch EU-Experten dabei sein sollen.
Die FAA war nach dem Absturz in Äthiopien wegen ihrer Praktiken bei der Zulassung von Flugzeugen in die Kritik geraten. Während des vergangenen Jahrzehnts liess sie neue Flugzeuge grossteils von externen Experten und den Herstellern selbst testen.
Für Boeing sind die Abstürze eine erhebliche Belastung. In der vergangenen Woche hatte das Unternehmen die anfänglichen Folgekosten der Abstürze auf bislang rund eine Milliarde Dollar (900 Millionen Euro) beziffert. Nicht in die Summe einkalkuliert sind allerdings Schadenersatzzahlungen an die Fluggesellschaften sowie Hinterbliebene, die auf Boeing noch zukommen könnten. (afp/dh)
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