Air Berlin ist die zweitgrösste deutsche und die siebtgrösste europäische Fluggesellschaft. Es ist also keine Kleinigkeit, wenn einem solchen Grosskonzern der Untergang droht. Doch auf genau diese Katastrophe fliegt die Airline zu: Kundenbeschwerden häufen sich, immer öfter kommt es zu Flugausfällen und Verspätungen. Air Berlin ist ein todkranker Vogel am Himmel. Hilft nun die Politik?

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Der schlimmste Vorwurf gegen Air-Berlin-Chef Thomas Winkelmann: Er wirtschafte die Fluggesellschaft absichtlich herunter, um sie für die Lufthansa erschwinglich zu machen.

Dem widersprach Winkelmann am Mittwoch vehement: "Blanker Hohn" sei diese Vermutung. Gleichzeitig bestätigt er aber, Air Berlin suche einen neuen Partner.

Dass Winkelmann einen Retter mit viel Geld dringend braucht, ist offenkundig, seit ein Grossaktionär den Rückzug mehr oder weniger offen ankündigt. Der Pressedienst Bloomberg hatte vor zwei Wochen unter Berufung auf gut informierte Kreise gemeldet, die arabische Fluggesellschaft Etihad erwäge den Verkauf ihrer Anteile.

Der Etihad, Staats-Airline des Emirats Abu Dhabi, gehört derzeit ein knappes Drittel der Air-Berlin-Aktien. Die Scheichs haben mindestens eine halbe Milliarde investiert und es doch nicht geschafft, Air Berlin rentabel zu machen – im Gegenteil.

Auf Seite neun des Geschäftsberichts kann man die roten Zahlen schwarz auf weiss nachlesen: Für das erste Quartal 2017 verzeichnet die Gesellschaft kurzfristige Verbindlichkeiten von 1,6 Mrd. Euro und beinahe ebenso hohe langfristige – insgesamt ein Minus von mehr als drei Milliarden Euro. Und Tag für Tag kommen Verluste von weiteren drei Millionen Euro hinzu.

Rettung ja – aber wer übernimmt die Schulden?

Luftfahrtexperte Thorsten Küfner vom Anlegermagazin "Der Aktionär" kann sich an kein Beispiel erinnern, dass ein Unternehmen "unter ähnlich drastischen Bedingungen überlebt hätte." Er spricht kurz und bündig von einer "Quasi-Pleite".

Etihad, daran hat er keine Zweifel, wolle die Air Berlin loswerden, die Lufthansa, das sei ebenfalls klar, habe Interesse. Doch wichtige Argumente sprechen gegen den Deal.

Zum einen wollen die Emire von Abu Dhabi Schulden loswerden. Seit die Ölpreise fallen, schaut man auch im Nahen Osten genauer auf die Ausgabenseite, will die Querfinanzierung teurer Investitionen aus den Öl-Erlösen reduzieren. "Abu Dhabi wollte Dubai nacheifern", sagt Küfner.

Dessen hoch profitable Airline "Emirates" verdient nicht nur Geld, sondern hat auch eine exzellente Auslastung seiner Flugzeugflotte von gut 90 Prozent – und ein hervorragendes Image. "Abu Dhabi war für die Air Berlin das, was Hasan Ismaik für 1860 München war", analysiert der Löwen-Fan Küfner: "Sie waren die einzigen, die willens waren, die Air Berlin am Leben zu erhalten."

Doch nun würden sowohl den Scheichs als auch dem Fussballinvestor Isamik die Verluste zu hoch.

Auch das Kartellamt hätte mitzureden

Auch die Lufthansa will die roten Zahlen nicht übernehmen. Das Schuldenproblem, so lässt die Gesellschaft mit dem Kranich verlauten, sei vorher von Abu Dhabi zu lösen. Wer sich durchsetzen wird, ob Kompromisse möglich sind, wagt Experte Küfner nicht vorauszusagen.

Und er sieht einen weiteren, gewichtigen Hinderungsgrund für ein Engagement der Lufthansa: Das Kartellamt dürfe eigentlich einer Übernahme nicht zustimmen – denn die Lufthansa hätte dann auf einigen Strecken einen Marktanteil von 70 Prozent und mehr.

"Wenn das Kartellamt das durchwinkt", so Küfner, dann könnten die Wettbewerbskontrolleure "ihren Laden auch gleich zumachen".

In der Falle der Kostenstruktur

In der derzeitigen, hochkritischen Situation noch eine geschäftliche Wende hinzulegen, hält Küfner für "wahnsinnig schwer" – es sehe "wirklich nicht gut aus". Solange die hohen Schulden nicht – wann und von wem auch immer – getilgt sind, belasten sie die Kostenstruktur auch noch mit Zinszahlungen.

"Easyjet und Ryanair stehen gut da und haben weder Schulden noch Zinsen zu bezahlen", konstatiert er, die Air Berlin sitze in der Falle, "weil sie aus ihrer schlechten Kosten-Infrastruktur nicht rauskommt".

Trotzdem mag der Experte niemandem mit Vorwürfen kommen. Dass man in Abu Dhabi genauer auf die Ausgabenseite schaue, sei verständlich. Gleichzeitig hätten Billigflieger immer stärker auch die lukrativen Langstrecken übernommen. Verschärfter Wettbewerb, Konkurrenz und Konzentration seien die normalen Folgen eines solchen Prozesses.

Die sich häufenden Probleme mit Kundenbeschwerden und ausufernden Verspätungen sind denn auch weniger das Ergebnis von Schlamperei und Nachlässigkeit als vielmehr das Resultat eines verzweifelten Überlebenskampfes: Air Berlin hat kaum noch eigene Flugzeuge.

Stattdessen hat die Fluggesellschaft einen Grossteil der Flotte an die Lufthansa verliehen – inklusive der Crews, die nun für die eigenen Flugkunden fehlen.

Am Donnerstag soll die Fluggesellschaft nun die Politik um Hilfe gebeten haben. Mehrere Medien berichten, dass man bei den Landesregierungen von Berlin und Nordrhein-Westfalen eine Anfrage auf Prüfung eines Bürgschaftsantrags gestellt habe.

Beispiel Alitalia: Insolvenz nach dem Ausstieg der arabischen Investoren

Die Leidtragenden werden einmal mehr auch die Beschäftigten der Air Berlin sein: Selbst wenn die Lufthansa die Fluggesellschaft übernehmen könnte – "das hohe Tarifniveau würde die nicht halten", glaubt Küfner.

Es lasse sich ohnehin kaum vorhersagen, wie sich die Situation im "extrem schwierigen Fluggeschäft" in den nächsten Jahren entwickeln werde.

Einen Präzedenzfall allerdings gibt es schon: Anfang Mai verkündete die italienische Fluggesellschaft Alitalia die Insolvenz. Auch bei ihr hatte der Grossinvestor Etihad wegen anhaltender Verluste die Notbremse gezogen.

Ein Sanierungsplan, der 1.600 Arbeitsplätze gekostet hätte, scheiterte am Widerstand der Mitarbeiter.

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