Mit seinem Zickzackkurs und diversen Verzögerungsmomenten hat der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras seine Verhandlungspartner so sehr brüskiert, dass niemand mehr mit ihm sprechen will – zumindest, bis das Referendum am Sonntag stattgefunden hat. Waren die geplatzten Gespräche von Anfang an geplant – oder eher das Ergebnis politischer Unbedarftheit?

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Selbst seine Genossen wissen offenbar nicht mehr, welchen Kurs ihr Parteichef eigentlich verfolgt. Jorgo Chatzimarkakis ist Sonderbotschafter der Regierung in Athen, aber kein Mitglied des Linksbündnisses Syriza. "Was in den letzten Wochen passiert ist, insbesondere seit Freitag, verstehen selbst Syriza-Anhänger nicht mehr", berichtete der deutsch-griechische Politiker an diesem Donnerstag. Viele seien der Auffassung, der 40-jährige Regierungschef habe sich in eine Falle begeben, aus der er nicht mehr herauskommt. Oder wollte Tsipras von Anfang an dorthin?

"Viele Griechen, vor allem jene, die pro-europäisch eingestellt sind, haben Tsipras vorgeworfen, er habe von Anfang an das Ziel gehabt, Griechenland aus dem Euro zu holen", sagte der Politikwissenschaftler Dimitris Papadimitriou von der Universität Manchester im Gespräch mit unserem Portal. "Ich sehe das aber ganz anders", betonte der Hellene. "Ich glaube nicht, dass es jemals sein Plan war, die Eurozone zu verlassen: Nicht, weil er besonders pro-europäisch wäre, denn das ist er nicht. Sondern, weil er weiss, dass 70 Prozent der Menschen in der Eurozone bleiben wollen", meinte Papadimitriou. Sowohl Tsipras als auch Finanzminister Gianis Varoufakis haben betont, dass sie den Euro behalten wollen – letzterer wollte den Verbleib Griechenlands in der Gemeinschaftswährung gar mit rechtlichen Mitteln verteidigen. Dabei ist ein Verlassen der Eurozone im Lissabonner Vertrag, dem Regelwerk der EU, gar nicht vorgesehen. Auch aus der Union kann man niemanden verbannen, möglich ist nur ein freiwilliger Austritt.

Tsipras hat sich übernommen

Papadimitriou glaubt, dass Tsipras in der Union bleiben will, "aber er versucht, so viele Zugeständnisse wie möglich von ihr zu bekommen". Allerdings habe der Linkspolitiker sich mit seiner Strategie übernommen. Das bestätigte am Donnerstagmorgen auch EU-Parlamentspräsident Martin Schulz. So habe Tsipras' Regierung schon zu Beginn seiner Amtszeit behauptet, man werde alles ausser Kraft setzen, was Griechenland an Sparprogrammen aufgebürdet worden war – und behauptete, die Geldgeber "würden das schon akzeptieren". "Das war nicht der Fall", resümiert Schulz.

"Das war von Anfang an das Problem", bestätigte Politikwissenschaftler Papadimitriou. Immer wieder habe Tsipras überzogene Erwartungen bei seinem Volk geweckt, "die er unmöglich einhalten konnte". Der Grieche sieht die Ursache dafür in Tsipras' "mangelndem Verständnis, wie die EU-Institutionen funktionieren und welche Regeln die EZB hat". Hinzu komme, dass der Syriza-Chef im Februar mit einer "grekozentrischen" Haltung in die Verhandlungen mit den Geldgebern gegangen sei. "Er war nie besonders kosmopolitisch", erklärt Papadimitriou. Vielmehr sei Tsipras "das typische Produkt von linkem Aktivismus". Schon zu Schulzeiten war Tsipras dabei engagiert, an der Universität wurde er zu einem prominenten Anführer. Der Sprung war gross "von einer Volksbewegung direkt in die Politik". Der 40-Jährige hat weder Auslandserfahrung, noch hat er jemals in der Privatwirtschaft gearbeitet. "Dadurch hat er einen sehr beschränkten Blickwinkel auf die Komplexität der Welt", erklärt Papadimitriou. Englisch hat Tsipras erst für sein Amt gelernt. Sonderbotschafter Chatzimarkakis sprach von einem "kleinen Kokon", einer "innergriechischen Welt", in die sich der Syriza-Chef verwoben habe.

Dementsprechend bedeutete der klare Wahlsieg im Januar für Tsipras ein klares Mandat des Volkes, die Austeritätspolitik zu beenden. Allerdings habe Tsipras eines unterschätzt, meint der Politikwissenschaftler: "Die Eurozone ist ein Netzwerk aus 19 Staaten, in dem keiner dem anderen überlegen ist." Der hellenische Regierungschef glaubte, er könne 18 andere Euroländer dazu bringen, das Mandat des griechischen Volkes über das ihrer eigenen Bürger stellen. "Das ist der Kern seiner Fehleinschätzung", so Papadimitriou. Zwar habe Tsipras durchaus Zugeständnisse gemacht, im entscheidenden Moment zögerte er aber, zu unterschreiben. "Damit hat er sich selbst in eine Ecke gedrängt", erklärte der Professor.

Tsipras sei in einer Strategie gefangen, die schlicht nicht funktioniere. Dazu passt das unkonstante Verhalten des hellenischen Regierungschefs besonders der vergangenen Tage. Sonderbotschafter Chatzimarkakis sprach von einer "Kurzschlussreaktion", die Tsipras dazu getrieben habe, ein Referendum einzuberufen. Dazu passt, dass der Regierungschef als eher beratungsresistent gilt – auch innerhalb von Syriza. Auch, dass er zunächst die Entscheidung des Volkes umsetzen wolle, egal wie sie ausfällt, nun aber seine politische Zukunft daran knüpft. Erst gestern, am Tag eins nach Ablauf des Hilfsprogramms, zeigte sich der Linkspolitiker dann offenbar wieder einsichtig – und schrieb in einem Brief an die EU-Spitze, EZB-Chef Mario Draghi und IWF-Direktorin Christine Lagarde, dass er bereit sei, alle Forderungen zu akzeptieren. Im Gegenzug forderte er unter anderem einen Umstrukturierung der Schulden.

Der Zickzackkurs ist normal

Am gleichen Tag trat derselbe Regierungschef, der noch am Morgen zu Zugeständnissen bereit war, erneut im griechischen Fernsehen auf – um die Bevölkerung wieder um ihre Nein-Stimme am kommenden Sonntag zu bitten. "Verhandlungen können immer schmutzig werden", so Papadimitriou. Dass Tsipras dabei immer wieder gezielt unterschiedliche Aussagen macht – in Brüssel das eine, in Athen das andere, hält der Professor für normal: "Bei solchen Verhandlungen verhandelt man immer nicht nur mit dem Gegenüber, sondern auch mit dem eigenen Volk." Allerdings könnte es sein, dass nicht nur die Geldgeber, sondern auch das Volk die Verhandlungen längst beendet haben – einige Experten glauben, dass sie am Sonntag entgegen Tsipras' Aufruf mit Ja stimmen werden.

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