Kriegsschiffe durchpflügen das Mittelmeer, dazu kommen scharfe Wortwechsel: Der Streit um Gasvorkommen zwischen Griechenland und der Türkei spitzt sich zu. Es droht eine Eskalation zwischen den NATO-Partnern - doch Deutschland könnte helfen.
Das Forschungsschiff "Oruc Reis" pflügt durch das Mittelmeer, begleitet von fünf Kriegsschiffen der türkischen Marine. Die Bilder, die das türkische Verteidigungsministerium veröffentlicht, sollen Stärke demonstrieren.
Doch das Ziel des Schiffs ist für den Nachbarn Griechenland reine Provokation. Die "Oruc Reis" ist in einem Gebiet unterwegs, in dem reiche Erdgasvorkommen vermutet werden.
Seit Jahren streiten sich die Türkei und Griechenland um deren Ausbeutung, beide sprechen dem jeweils anderen das Recht dazu ab. Inzwischen hat sich die Situation so zugespitzt, dass viele eine militärische Auseinandersetzung zwischen den NATO-Partnern fürchten. Am Freitag ist der brisante Konflikt auch Thema bei einer Sondersitzung der EU-Aussenminister.
Erdgas im Mittelmeer: Um was geht es bei dem Streit?
Seit Anfang der Woche sucht die "Oruc Reis" südlich von Rhodos und der kleinen Insel Kastelorizo nach Erdgas. Kastelorizo ist nur rund zwei Kilometer vom türkischen Festland entfernt, gehört aber wie Rhodos zu Griechenland.
Das Seerecht der Vereinten Nationen (UN) legt für Küstenländer eine sogenannte Ausschliessliche Wirtschaftszone (AWZ) fest, die über die Hoheitsgewässer eines Landes hinausreicht. In dieser 200-Meilen-Zone hat ein Staat demnach das alleinige Recht zur Ausbeutung von Bodenschätzen.
Liegt die Küste eines anderen Landes näher, gilt die Mittellinie. Griechische Inseln, die nahe an der türkischen Küste liegen, verringern also die türkische AWZ enorm. Die Türkei erklärt, dass Inseln keine AWZ haben und sieht ihre Gasforschungen daher als legitim an. Das Seerechtsabkommen hat sie aber nie unterschrieben, wie beispielsweise auch die USA.
Die Türkei hatte zudem vergangenes Jahr mit der Regierung in Libyen ein Abkommen zur Ausbeutung von Bodenschätzen im östlichen Mittelmeer abgeschlossen. Damit versuchte Ankara, Fakten zu schaffen.
Die Türkei beansprucht damit ein Gebiet, das eigentlich zur AWZ Griechenlands gehört - das Gebiet in dem die Türkei nun nach Erdgas sucht.
Warum eskaliert der Konflikt nun wieder?
Im Juli hatte sich der Konflikt schon einmal gefährlich zugespitzt, wurde dann aber durch Vermittlung von Bundeskanzlerin
Sie machten der Türkei damit im wahrsten Sinne des Wortes einen Strich durch die Rechnung: Mit dem Abkommen wird praktisch eine Linie durch die Zone gezogen, die die Türkei und Libyen für sich beanspruchen, die griechisch-ägyptische Zone ist mit ihr grösstenteils identisch.
Präsident Recep Tayyip Erdogan sieht das Abkommen als unrechtmässig an. Die Türkei wertet es als Zeichen, dass Griechenland nicht am Dialog interessiert ist - und schickte die "Oruc Reis" zu Erkundungen los.
Was bezweckt die Türkei?
Die Türkei ist auf Gasimporte angewiesen. Sie fühlt sich seit langem bei der Ausbeutung von Rohstoffen in der Region ausgeschlossen.
Erdogan betonte, die Türkei habe es nicht auf legitime Interessen anderer abgesehen. Man werde aber nicht tolerieren, dass die Türkei mit ihrer langen Mittelmeerküste ignoriert wird.
Die aktuelle selbstbewusste und aktive Doktrin der Türkei in den sie umgebenen Meeren wird als "Mavi Vatan" - "Blaues Vaterland" bezeichnet. Der Konflikt mit Griechenland kommt Erdogan zudem gelegen, um von innenpolitischen Problemen abzulenken, wie etwa der Wirtschafts- und Coronakrise.
Wie reagiert Griechenland?
Für Athen sei die Zeit der Beschwichtigung vorbei, heisst es im Aussenministerium. Die Regierung von Kyriakos Mitsotakis sei bereit, über den Festlandsockel zu verhandeln, aber nicht über mehr.
Das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen, geschlossen auf Jamaika im Jahr 1982, sieht vor, dass alle Inseln, die bewohnt sind oder wo wirtschaftliche Tätigkeit möglich ist, einen genauso grossen Festlandsockel haben wie das Festland. Ausnahmen kann es geben, wenn zwei Nachbarstaaten darüber verhandeln und anders entscheiden.
Könnte es zu einem militärischen Konflikt zwischen Athen und Ankara kommen?
Das liegt im Bereich des Möglichen. Die Gemüter sind erhitzt und die Situation angespannt. Einen Krieg können sich aber beide Länder eigentlich nicht leisten.
Die türkische Wirtschaft ist ohnehin schon angeschlagen, ein Zustand, der sich durch die Corona-Pandemie noch verschärft hat. Eine militärische Auseinandersetzung mit Griechenland würde die türkische Lira wohl weiter auf Talfahrt schicken.
Auch Griechenland kommt gerade aus einer schweren Finanzkrise. Die Coronakrise hat auch ihren wichtigsten Wirtschaftsbereich, den Tourismus, schwer getroffen.
Welche Rolle spielt die EU?
Die EU steckt in dem Konflikt in einer schwierigen Situation. Auf der einen Seite will sie Griechenland und dem ebenfalls betroffenen EU-Mitglied Zypern Beistand leisten. Auf der anderen Seite befürchten etliche Mitgliedstaaten negative Auswirkungen auf die Zusammenarbeit in der Flüchtlingspolitik.
Die EU ist bei der Eindämmung der illegalen Migration auf die Zusammenarbeit mit Ankara angewiesen. Bislang reagierte die EU daher nur mit verhaltenen Sanktionen, die der Türkei nicht wirklich wehgetan haben.
Denkbar wären schärfere Massnahmen, zum Beispiel die Zollunion mit der Türkei auszusetzen. EU-Diplomaten räumen aber hinter vorgehaltener Hand ein, dass die Rechtslage wohl keineswegs so klar ist, wie es Griechen und Zyprer gerne hätten.
Wer könnte vermitteln?
Deutschland oder die NATO. Schon im Juni konnte Merkel die Situation beruhigen.
Auch die NATO kommt als neutraler Vermittler in Frage. Im Verteidigungsbündnis sind im Gegensatz zur EU nämlich sowohl die Türkei als auch Griechenland Mitglied. Und NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat ein grosses Interesse daran, dass der Streit so schnell wie möglich beigelegt wird.
So sprach der Norweger Anfang der Woche beispielsweise aus dem Urlaub heraus mit dem griechischen Regierungschef Mitsotakis. Anschliessend teilte er mit: "Die Situation muss im Geiste der Solidarität unter Alliierten und im Einklang mit dem Völkerrecht gelöst werden." (dpa/Mirjam Schmitt/Takis Tsafos/Ansgar Haase/ank)
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