- Die grossen Tech-Unternehmen haben in den vergangenen Wochen deutlich an Kurswert verloren.
- Die Probleme bei den Tech-Firmen sind unterschiedlich und zum Teil hausgemacht.
- Ein Unternehmen könnte als grosser Gewinner der Krise hervorgehen.
Im Silicon-Valley herrscht Katerstimmung. Steigende Kosten, ein schwaches Werbegeschäft und Sorgen vor einer weltweiten Rezession drücken auf die Bilanzen der grossen Tech-Unternehmen und haben die Kurse an den Technologie-Börsen regelrecht kollabieren lassen. Der Nasdaq etwa, der die 100 grössten amerikanischen Digitalaktien abbildet, hat seit Jahresbeginn rund ein Drittel seiner Marktkapitalisierung abgegeben, in der Spitze des Bärenmarktes waren es bis zu 35 Prozent. Allein Amazon, das in absoluten Zahlen die höchsten Kursverluste verzeichnete, vernichtete innerhalb weniger Wochen rund 854 Milliarden US-Dollar an Börsenwert. Das entspricht in etwa der Kapitalisierung der neun grössten börsennotierten Unternehmen im deutschen DAX.
Der Absturz der einstigen Corona-Gewinner sticht deshalb hervor, weil er die beeindruckendste Periode der Wertschöpfung in der Technikindustrie abrupt beendet. Noch 2021 überboten sich Analysten der grossen Investmentbanken mit Kurszielen und wurden für ihre oft kühnen Prognosen von Quartal zu Quartal belohnt. Bis zu elf Billionen Dollar waren die sechs grössten Tech-Konzerne in der Spitze der Pandemie wert - heute sind es gerade einmal sechs. Lediglich in der Finanzkrise 2008/09 wurden die Konzerne prozentual ähnlich abgestraft.
Starker Dollar lastet auf den Bilanzen
Für die Entwicklung, die den allgemeinen Pessimismus an der Börse noch einmal deutlich übertrifft, gibt es eine ganze Reihe an Erklärungen. Da wären zum einen die makroökonomischen Probleme, also Inflation, steigende Energiepreise und geopolitische Spannungen, die auf den Bilanzen lasten und Investoren vorsichtiger werden lassen. Insbesondere die dramatisch steigenden Leitzinsen, mit denen die Notenbanken in Europa und den USA die Inflation einhegen wollen, belasten die wachstumsstarken Tech-Konzerne überproportional.
Denn höhere Zinsen führen bei der Berechnung des Unternehmenswertes dazu, dass künftige Gewinne aus heutiger Sicht weniger wert sind. Je höher das in Zukunft erwartete Ertragswachstum eines Unternehmens ist, desto stärker schlägt daher die Zinserhöhung auf den abgezinsten Gegenwartswert durch. Für Tech-Unternehmen, deren hohe Investitionen Gewinne in der Zukunft realisieren sollen, sind steigende Zinsen aus diesem Grund Gift.
"Die grossen Tech-Firmen haben lange von den sehr niedrigen Zinsen profitiert, aufgrund derer viele Anleger gerade auch verstärkt in vermeintlich riskantere Wachstumswerte investiert haben", erklärt Stefan Gröner, Strategieberater und Business-Professor an der Fresenius University of Applied Science in München. Er warnt: "Diese Verhältnisse sind jetzt auf absehbare Zeit vorbei."
Dazu kommt ein zweites makroökonomisches Dilemma: Der starke Dollar, der den Verkauf amerikanischer High-Tech-Produkte in den Rest der Welt teurer macht. Fast alle Tech-Unternehmen wiesen auf diesen Umstand in ihren Quartalsberichten hin, Apple-Finanzchef Luca Maestri bezeichnete den starken Dollar gar als "signifikanten Gegenwind" und bezifferte die Opportunitätskosten auf rund zehn Prozentpunkte seines Umsatzes. Ein Analyst fasste die Lage nach Maestris Vortrag gegenüber der Financial Times so zusammen: "Der starke Dollar ist so stark, dass er Apples nächstem Quartal so viel schaden wird, wie Nike in einem ganzen Quartal an Umsatz einnimmt."
Bei Meta laufen die Kosten aus dem Ruder
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass sowohl Leitzinsen als auch der starke Dollar alle Tech-Unternehmen belastet, die ihre Produkte weit über den US-amerikanischen Markt hinaus vertreiben. Es handelt sich daher um ein 'Level Playing Field', ein begrenztes Risiko also, weil kaum ein Konzern die durch den Wechselkurs entstehende Schwäche der Konkurrenz ausnutzen kann. Anders sieht es mit einer Reihe von hausgemachten Problemen aus, die die zweite grosse Erklärung für die Verwerfungen am Tech-Markt sind.
Dries Faems, Professor für Entrepreneurship, Innovation und Technological Transformation an der WHU in Vallendar, subsumiert sie unter einem Begriff: Fehlende Kostenkontrolle. "Die Aktionäre haben den Technologieunternehmen eindeutig signalisiert, dass sie mehr Ausgabendisziplin erwarten", erklärt Faems. "Wir sehen, dass Unternehmen, die viel Geld ausgeben und grosse Wetten eingehen, mehr zu kämpfen haben als Firmen, die den Ruf haben, ihre Kosten im Griff zu halten. Tech-Unternehmen, die ihr Unternehmen in den aktuellen Krisenzeiten diszipliniert führen, haben deshalb sehr gute Aussichten auf langfristiges Überleben."
Kaum ein Unternehmen illustriert, wie sehr mangelhafte Kostenkontrolle die Investoren abschrecken kann, so gut wie Mark Zuckerberg's Meta-Konzern. Nach Jahren des Einstellungsrausches war es die Facebook-Mutter, die im Oktober die Kündigungssaison im Silicon Valley eröffnete und 11.000 Mitarbeiter - 13 Prozent der Belegschaft - auf die Strasse setzte. Dafür machte Zuckerberg einerseits den schwachen Werbemarkt - immerhin Metas Kerngeschäft - verantwortlich.
Doch vieles spricht dafür, dass Meta in einem anderen Strategiefeld zu optimistisch war: Dem Metaverse, das bislang hohe Investitionssummen verschlingt, ohne nennenswert zum Umsatzwachstum von Meta beizutragen. Seit Jahresbeginn sammelte sich in der Sparte Reality Labs, in der am Metaverse gearbeitet wird, ein Fehlbetrag von 9,4 Milliarden Dollar an, bei einem Umsatz von gerade einmal 1,4 Milliarden Dollar.
Nicht alle Prognosen der Corona-Zeit bestätigen sich
Dahinter steckt die Hoffnung, dass Networking und soziale Interaktion in Zukunft vor allem in digitalen Spaces stattfinden. Eine Hoffnung, die während der Corona-Pandemie noch nachvollziehbar erschien, sich in der Realität aber nicht materialisiert - und auch hinter den aus den Ruder laufenden Ausgaben bei anderen Konzernen steckt. "Es wird immer deutlicher, dass die CEOs die Folgen der Pandemiebranche überschätzt haben", sagt Strategie-Experte Dries Faems. "Im Silicon Valley war man der festen Überzeugung, dass Corona uns in ein neues digitales Zeitalter geführt hat, in dem sich jeder innerhalb von 15 Minuten Lebensmittel nach Hause liefern lassen will, jeder seine Kleidung und Möbel online kauft und jeder freiwillig Stunden auf sozialen Plattformen verbringt."
Stattdessen kehrten die Menschen zu alten Gewohnheiten zurück, nicht jeder Aspekt ihres Lebens sei vollständig digitalisiert. "Infolgedessen haben die Technologieunternehmen zu viel in Infrastruktur und Personal investiert, das sie eigentlich gar nicht brauchen." Immerhin: Mittlerweile hat Zuckerberg sogar öffentlich eingeräumt, die langfristigen Auswirkungen der Pandemie überschätzt zu haben.
Auch andere Tech-Unternehmen haben mit hohen Kosten für neue Geschäftsfelder zu kämpfen, etwa Amazon. Für physische Läden, Gesundheitsdienste oder den Lautsprecher-Dienst Alexa, der bisher kaum Gewinne abwirft, verbrennt das Unternehmen Milliarden. So kündigte auch Amazon-Chef Andy Jassy bei der Veröffentlichung der Quartalszahlen an, den "Gürtel künftig enger schnallen" zu wollen - und strich 10.000 Stellen. Stefan Gröner warnt jedoch, in einen generellen Abgesang auf die Tech-Branche einzusteigen. Nicht jedes Geschäftsmodell aus dem Silicon-Valley stehe auf so wackligen Füssen wie Meta, manche Kursentwicklung sei auch eine Übertreibung inmitten eines schwierigen Marktumfeldes. Bei vielen Tech-Grössen seien die Geschäftsmodelle vollständig intakt, viele von ihnen seien noch dazu breit diversifiziert. "Apple, Amazon, Alphabet und Microsoft sind kerngesunde Firmen, die zusätzlich zu ihrem Kerngeschäft mit margenstarken Wachstumsbereichen wie Cloud abgesichert sind", so Gröner. "Ich bin mir sicher, dass sie gestärkt aus der Krise hervorgehen werden."
Apple könnte Krisen-Gewinner werden
Für Strategie-Experte Dries Faems könnte Apple, das mit dem iCar oder einer Augmented Reality-Brille auch zahlreiche Wetten auf die Zukunft in der Produktpipeline hat, sogar von der Krise der Konkurrenten profitieren. "Sie besitzen die Hardware und die Plattform, die von der reichsten Schicht der Weltbevölkerung genutzt wird und ihre neuen Datenschutzrichtlinien behindern die Fähigkeit anderer Technologieunternehmen, ihre Geschäftsmodelle zu monetarisieren", so Faems. "Die einzige Herausforderung für Apple ist seine starke Abhängigkeit von China, was unter den derzeitigen makroökonomischen Bedingungen nicht gerade ein Vorteil ist." Anders als mancher Konkurrent hat Apple bislang auch auf Entlassungen verzichtet.
Und noch eines fällt auf: Die Entlassungen im Silicon Valley fallen in eine Phase, in der sich der gesamte US-Arbeitsmarkt abkühlt – die Unternehmen bewegen sich anders als in früheren Abwärtsphasen zyklisch zum Gesamtmarkt. Das könnte wiederum ein Indikator dafür sein, dass es der Tech-Branche immer weniger gelingt, sich vom Gesamtmarkt abzukoppeln und die Unternehmen nach Jahren immer neuer Wachstumsfantasien in ein neues Zeitalter eintreten, in dem die traditionelle Währung an der Börse zählt: Gewinne und Dividenden. Das wiederum wäre, mit Blick auf die Börsengeschichte, eine gute Nachricht für Aktionäre von Amazon, Meta und Co: Entlassungen haben die Aktienkurse in der Old Economy fast immer beflügelt.
Verwendete Quellen:
- Quartalsberichte der sechs grössten Tech-Firmen
- CNBC: Facebook and Google face skeptics on Wall Street this week amid digital ads collapse
- Finanzen.net: Dax40 Marktkapitalisierung
- Tech.co: Tech Companies That Have Made Layoffs in 2022
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