Fünfzehn Staaten mit insgesamt 2,2 Milliarden Menschen und einem Drittel der Weltwirtschaftsleistung: Das neue Freihandelsabkommen im asiatischen Raum hat es in sich. Vor allem China kann damit seinen Einfluss massiv ausbauen. Was bedeutet das für Europa und die USA?

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Ein Handelsabkommen für 15 Staaten mit 2,2 Milliarden Menschen: China hat mit einem neuen Wirtschaftspakt für Asien und angrenzende Länder für Freude in der Region und gemischte Gefühle im Rest der Welt gesorgt. Zu den Verlierern gehören vor allem die USA. Auch für Europa sei das Abkommen ein "Weckruf", sagt Expertin Lisandra Flach vom ifo-Institut.

Bei einem virtuellen Gipfel der südostasiatischen Staatengemeinschaft Asean unterzeichneten die Teilnehmer die Urkunde und hielten ihre Unterschrift vor die Webcam: Mit der am 15. November unterschriebenen "Regional Com­pre­hensive Economic Partnership" (RCEP) ist die grösste Freihandelszone der Welt entstanden. Mitglieder sind neben China die schon zuvor im Asean-Pakt zusammengeschlossenen Staaten Vietnam, Singapur, Indonesien, Malaysia, Thailand, Philippinen, Myanmar, Brunei, Laos und Kambodscha. Zudem sind die grossen Volkswirtschaften Japan, Australien, Südkorea und Neuseeland beteiligt – mit China sind das insgesamt 15 Staaten.

Das 500 Seiten dicke Vertragswerk regelt den Umgang der Unterzeichner mit Handel, Dienstleistungen, Investitionen, Telekommunikation und Urheberrechten. Dass es zu Ende verhandelt und unterzeichnet werden konnte, während die Weltwirtschaft von Corona stark gebremst wird und die von Donald Trump regierten USA einen Handelskrieg gegen China führen, sehen viele Beobachter als grossen diplomatischen Erfolg der chinesischen Führung – zumal mit Japan und Australien wichtige Verbündete der Amerikaner zum China-Pakt gehören. So wirkt das Abkommen einerseits protektionistisch-nationalistischen Tendenzen à la "America first" entgegen und festigt andererseits Chinas Rolle in der Region.

1,4 Milliarden Inder sind nicht dabei

Kleiner Wermutstropfen für Peking: Indien mit seiner Bevölkerung von knapp 1,4 Milliarden Menschen hatte schon 2019 die Beitrittsverhandlungen verlassen. Das Land hatte als Folge niedriger Zölle eine Flut chinesischer Billigwaren befürchtet – und dadurch eine Schädigung der eigenen Wirtschaft.

Die Unterzeichner des Paktes dagegen hoffen auf eine Öffnung des chinesischen Marktes für ihre eigenen Produkte. Für nicht dem Bündnis angehörende Staaten könnte deshalb der Markzugang in der neuen Freihandelszone schwerer werden, meint Clemens Fuest, Präsident des Münchner ifo-Institutes. Die Gefahr drohe, "dass europäische Exportprodukte durch Erzeugnisse aus der neuen Freihandelszone ersetzt" würden.

Auch die Volkswirtschaftlerin Lisandra Flach vom selben Wirtschaftsinstitut betont auf Anfrage unserer Redaktion: Hauptprofiteur des neuen Abkommens ist China. Zwar könne der Handelsvertrag die Wirtschaftsleistungen aller beteiligten Länder erhöhen, die Beziehungen zwischen China, Japan und Südkorea vertiefen und insgesamt "den asiatischen Block konsolidieren" – allesamt "gute Nachrichten für die Region". Aber auch die "Abhängigkeit der beteiligten asiatischen Länder von China" werde zunehmen, da China "ganz klar" die Region anführe. Und nicht nur das: Strategisch komme hinzu, "dass das Abkommen es China erleichtern wird, Regeln und Standards zu setzen" – das Land kann auf diese Weise seinen Einfluss zementieren.

China dominiert – und wird "eingehegt"

Andere Experten halten dagegen, China habe auch schon vor dem Abkommen den Handel in Ostasien dominiert. Mithilfe der verbindlichen Regelsetzung durch RCEP werde die Volksrepublik nun gleichzeitig auch "eingehegt", sagte etwa der Wirtschaftsexperte Hanns Günter Hilpert der "Tagesschau".

Eine Handelsmacht ist der neue Block alleine schon wegen seiner Bevölkerungszahl: Obwohl Indien fehlt, leben 2,2 Milliarden Menschen, also knapp 29 Prozent der Weltbevölkerung, in den zusammengeschlossenen Ländern, die – wenn auch erst im Lauf der nächsten zwanzig Jahre – Zölle innerhalb des Vertragsgebietes abbauen und Handelsbeschränkungen beenden wollen. Die beteiligten Staaten erzeugen 30 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung und wickeln 28 Prozent des Welthandels ab. Singapurs Handelsministerium gab bekannt, die Zölle von mindestens 92 Prozent der im RCEP-Raum gehandelten Waren sollen beseitigt werden – während sie für alle nicht dem Vertrag angehörenden Staaten bleiben.

Probleme könnten so beispielsweise für die deutsche Autoindustrie entstehen: Während Produzenten und Zulieferer aus Japan und Korea mit leichterem Zugang zu den stark wachsenden Märkten in Asien rechnen dürfen, könnten die Hersteller hierzulande ins Hintertreffen geraten. Schon empfiehlt der Autoexperte Ferdinand Dudenhöfer im "Spiegel", die deutschen Hersteller müssten ihre Standorte in Asien weiter ausbauen und stattdessen die Produktion in Deutschland einschränken.

"Wettbewerbsdruck wird sich erhöhen"

Deshalb sieht Volkswissenschaftlerin Flach im Abschluss des RCEP-Vertrages einen "Weckruf an Europa": Die EU sollte nun "die Handelsgespräche mit den USA wiederbeleben und auch mit weiteren Ländern Handelsabkommen abschliessen." Kandidaten für Verhandlungen über neue Abkommen könnten etwa Indien und die neue US-Regierung sein.

Die Bedeutung des asiatischen Paktes sollte indes auch nicht überschätzt werden: Viele Handelsbarrieren zwischen den Teilnehmerstaaten bleiben bestehen – vor allem im Bereich von Landwirtschaft und Dienstleistungen.

Zudem weist das Abkommen einige Lücken auf: Umweltgesetzgebung etwa kommt in dem Dokument zu kurz, auch für Menschen- und Arbeitsrechte war kaum Platz. In diesen Bereichen zeigt der Vertrag eindeutig die Handschrift Chinas.

Über die Expertin: Lisandra Flach ist Professorin für Volkswirtschaftslehre an der Universität München. Sie leitet ausserdem das Zentrum für Aussenwirtschaft am Münchner ifo-Institut.

Verwendete Quelle:

  • Pressemeldung des ifo-Instituts München, 17.11.2020
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