Grossangelegte Freihandelsabkommen legen dem Privatsektor den roten Teppich aus und schränken die Möglichkeiten der Staaten ein, in ihrem Interesse zu regulieren. Die Welthandelsorganisation (WTO) wird zunehmend marginalisiert. Die Fäden ziehen die USA.

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Um dem wachsenden Einfluss Chinas entgegenzutreten, schloss sich Washington 2010 der so genannte P4 an. Ein Freihandelsabkommen, das fünf Jahre zuvor von vier Ländern des pazifischen Raums (Singapur, Brunei, Neuseeland und Chile) gegründet worden war.

Damit war der Weg frei zu den Verhandlungen der Transpazifischen Partnerschaft (TPP), bei der mittlerweile elf asiatisch-pazifische Länder mitmachen, mit China und Indien als grossen Abwesenden.

Die transpazifischen Partner erwirtschaften 40% des Welteinkommens. Im Oktober 2015 sind die unter grösster Geheimniskrämerei geführten Verhandlungen abgeschlossen worden.

TPP behauptet, als Modell-"Handelsvertrag" des 3. Jahrtausends zu gelten, der sich nicht mehr bloss um den Austausch von Gütern und Dienstleistungen dreht, sondern ganz neue Regeln definiert.

Ein einziger arbeitsrechtlicher Streitfall bis heute geregelt

Präsident Barack Obama hofft, dass der Kongress TPP dieses Jahr, also noch vor Ende seiner Präsidentschaft ratifiziert.

Das ist keineswegs sicher, denn eine Mehrheit der Demokraten steht dem Abkommen kritisch gegenüber, sie befürchten den Verlust von Arbeitsplätzen bzw. deren Verlagerung nach Asien, wo Arbeitskraft billiger, Sozial- und Umweltstandards weniger ausgebaut sind.

Um diesen Argumenten den Wind aus den Segeln zu nehmen, konnten die USA im Vertrag ein Kapitel über Arbeitsstandards unterbringen, das so weit geht, wie noch keines in einem amerikanischen Freihandelsvertrag.

Danach sind alle Vertragsstaaten verpflichtet, Gesetze über Mindestlöhne, Arbeitszeiten und -sicherheit einzuführen, den Gewerkschaftsschutz in Wirtschaftssonderzonen zu wahren und keinen Handel mit Produkten "aufkommen zu lassen" (sic), die aus Zwangsarbeit stammen.

Zusätzlich hat die US-Administration parallele Abkommen mit Malaysia, Vietnam und Brunei verhandelt, in denen es namentlich um Fragen der Zwangsarbeit und der Wanderarbeit geht.

Auf dem Papier ist das zwar ein Fortschritt, doch drohen diese Abschnitte toter Buchstabe zu bleiben. Zwar sind die (amerikanischen) Handelsverträge die einzigen Abkommen, in denen Arbeitsnormen in Verbindung mit bindenden Regeln, sprich Sanktionen, festgeschrieben sind.

Deren Umsetzung bleibt allerdings unbefriedigend, bis zum heutigen Tag wurde erst ein einziger Streitfall vor Gericht gebracht.

TTIP: schwierige Verhandlungen

2013 ging die Europäische Union auf die USA zu, um das Transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP) zu verhandeln.

Die Verhandlungen gestalten sich schwierig, weil die öffentliche Meinung in Europa heftig gegen verschiedene Bestimmungen opponiert, namentlich den Streitschlichtungs-Mechanismus zwischen Investoren und Staaten (ISDS).

Es wird zudem befürchtet, dass TTIP zu einer Verwässerung von Sozial- und Umweltstandards führt, die in der EU besser ausgebaut sind als in den USA (gentechnisch veränderte Organismen, Hormone im Fleisch, Chlorhühnchen, etc.), dass Arbeitsplätze verloren gehen, die Landwirtschaft und der Service public unter Druck geraten.

Die Schweiz unter Druck durch TISA und CETA

Im Klartext: Die USA sind daran, die Regeln des Welthandels mit ihrer geballten Verhandlungsmacht umzuschreiben.

Die Schweiz ist bei keinem der Verträge mit von der Partie, wobei der Bundesrat je nach Ausgang der Verhandlungen ernsthaft erwägt, sich TTIP anzuschliessen.

Aktiv ist die Schweiz dagegen beim Dienstleistungsabkommen TISA, das 23 Mitglieder ausserhalb des WTO-Rahmens verhandeln. TISA enthält Bestimmungen, wie sie noch kein Schweizer Handelsvertrag je enthalten hat.

Erwähnung verdienen vor allem jene hybride Liste, die beschreibt, für welche Dienstleistungen offener Marktzugang bzw. ein nationaler Vorrang gilt, und die Sperr- und Stillhalteklauseln, welche die Möglichkeiten der Staaten regulierend einzugreifen, drastisch einschränkt und öffentliche Dienstleistungen bedroht.

Kanada könnte Schweiz zu Konzessionen zwingen

An einer anderen Front könnte die Schweiz durch Kanada gezwungen werden, grössere Konzessionen einzugehen. Der Freihandelsvertrag mit Ottawa könnte nach den Vorgaben von CETA, dem Vertrag zwischen der EU und Kanada, überarbeitet werden.

Negativliste und Sperr- und Stilllhalteklausel gehören dazu, aber auch eine sehr breit gefasste Definition dessen, was Investitionen sind, auch reine Finanzspekulation zählt dazu.

Der Streitschlichtungsmechanismus zwischen Investoren und Staaten (ISDS) soll auch für Finanzdienstleister gelten und sich sogar auf Investitionen erstrecken, die noch gar nicht getätigt wurden.

Zur Erinnerung: Die Schweiz kennt diesen Mechanismus bis jetzt nur im bilateralen Rahmen mit sich entwickelnden Ländern. Im Gegensatz zu den meisten anderen Industrieländern ist sie – soweit man es weiss – bis heute noch nie vor die Schlichtungsstelle gezogen worden.

USA könnten der WTO den Rücken kehren

Diese neuen Abkommen geben der Weltwirtschaft neue Regeln, die nicht mehr viel mit dem herkömmlichen Handel von Gütern und Dienstleistungen zu tun haben. Denn sie liberalisieren und deregulieren gezielt auch jene Bereiche der Wirtschaft, die bis anhin davon weitgehend ausgeklammert blieben.

Macht die Schweiz bei TTIP mit, wird sie ihre Landwirtschaftspolitik aufgeben müssen, die nicht mit den TTIP-Bestimmungen vereinbar ist. Und sie riskiert, dass ihre heutigen Sozial- und Umweltstandards nach unten angepasst werden.

Werden diese Abkommen in Kraft gesetzt, dann verlieren die USA ihr Interesse an der multilateralen WTO gänzlich. Es ist kein Zufall, dass die USA die TPP-Verhandlungen noch vor der WTO-Ministerkonferenz in Nairobi abschliessen wollten.

Dort versuchten sie, die Doha-Runde, welche die Regeln des internationalen Handels auch im Interesse der Länder des Südens auszugestalten sollen, ein für alle Mal zu beerdigen.

Interesse an multilateralem Handelssystem

Als kleines Land, das keiner politischen Union angehört, hat die Schweiz ein Interesse an einem soliden multilateralen Handelssystem, wo es seine Interessen einbringen kann.

Früher oder später riskiert die Schweiz, im von den USA diktierten neuen System mitmachen zu müssen. Es sei denn, sie gebe ein starkes Zeichen, das TISA nichts für sie ist.

Zur Erinnerung: Die sogenannte Negativliste bezeichnet alle Dienstleistungsbereiche, die liberalisiert werden, heute und in Zukunft. Ausser sie würden explizit ausgenommen, selbst wenn es sie heute noch gar nicht gibt.

Die Sperr- und Stillhalteklauseln legen fest, dass ein Land niemals auf eine einst beschlossene Liberalisierung bzw. Deregulierung zurückkommen darf, nachdem der Vertrag Gültigkeit erlangt hat.

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