Das grösste Druckmittel der Lokführer ist eine Form des Arbeitskampfes mit langer Tradition: der Streik. Zeit, einmal zu fragen: Ein Streik, was ist das eigentlich?
Ein Streik ist eine kollektive Arbeitsniederlegung einer grösseren Anzahl von Mitarbeitern eines Unternehmens oder sogar einer ganzen Branche. Das Recht auf Streik ist im Grundgesetz verankert, Artikel 9 Absatz 3 gewährt das "Recht zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ... für jedermann und für alle Berufe". Für einen rechtmässigen Streik müssen allerdings einige Kriterien erfüllt sein.
So darf nur für ein über einen Tarifvertrag regelbares Ziel gestreikt werden, und auch nur, wenn ein geltender Tarifvertrag ausgelaufen ist - erst dann gilt die so genannte Friedenspflicht nicht mehr. Zudem muss der Streik von einer Gewerkschaft organisiert sein - sonst ist es ein "wilder Streik", der einen Bruch des Arbeitsvertrages darstellt - und als letztes Mittel des Arbeitskampfes eingesetzt werden; andere Möglichkeiten der Einigung inklusive Schlichtung müssen also ausgeschöpft sein. Es ist den Arbeitnehmern allerdings erlaubt, während der Verhandlung durch kurzzeitige Arbeitsniederlegungen (Warnstreiks) Druck auf die Arbeitgeber auszuüben. Ein Punkt, auf den in der Rechtssprechung ebenfalls Wert gelegt wird, ist die Verhältnismässigkeit eines Streiks. So musste beispielsweise beim Streik des Marburger Bundes im Jahr 2006 die ärztliche Versorgung der Patienten durch Notdienste sichergestellt sein.
Wie bereits erwähnt, können Gewerkschaften erst nach Ablauf der Friedenspflicht einen Streik in die Wege leiten, also wenn der geltende Tarifvertrag ausgelaufen ist und die Verhandlungen über einen neuen Abschluss offiziell gescheitert sind. In einer Urabstimmung befragt die Gewerkschaft dann ihre Mitglieder, von denen 75% für einen Streik stimmen müssen. Damit stellen die Gewerkschaften sicher, dass die Mehrheit ihre Linie gutheisst und unterstützt - immerhin haben die Arbeitnehmer während der Streikteilnahme keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung, was von den Gewerkschaften durch Streikgeld auch nur teilweise aufgefangen werden kann.
Vor den Toren eines bestreikten Betriebes werden so genannte Streikposten aufgestellt, die einerseits als Symbol des Streiks dienen sollen und andererseits arbeitswillige Mitarbeiter (die als "Streikbrecher" bezeichnet werden) von der Arbeit abhalten sollen. Letzteres Vorgehen ist allerdings nicht mehr im Streikrecht verankert und kann im Extremfall als Nötigung geahndet werden.
Ist der Streik schliesslich erfolgreich oder kommt es aus anderen Gründen zu einem Tarifabschluss, ist eine zweite Urabstimmung unter den Gewerkschaftsmitgliedern über die getroffenen Vereinbarungen notwendig. Stimmen hierbei mindestens 25% dafür, ist die Tarifvereinbarung angenommen.
Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie sich Streiks historisch entwickelten.
Streiks als Mittel zur Durchsetzung von Forderungen wurden schon von Arbeitern im späten Mittelalter angewandt, wenn auch nicht unter diesem Namen. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts setzte sich dieser Terminus in Deutschland durch, basierend auf dem englischen Wort strike, das auf der Insel schon knapp 100 Jahre zuvor verwendet wurde.
Als erster Arbeitskampf in Deutschland gilt der Streik der Gürtlergesellen in Breslau (im heutigen Polen) - so verzeichnet es beispielsweise die Gewerkschaft ver.di. Die Zahl der Arbeitsniederlegungen stieg in der Folgezeit rasant an. Man nimmt an, dass es in deutschen Städten im 18. Jahrhundert zu mindestens 500 Streiks kam.
In den Revolutionsjahren 1848/49 wurde Deutschland von einigen Streiks erfasst, die aber noch keine grosse Wirkung über den jeweils bestreikten Betrieb hinaus hatten. Erst knapp 20 Jahre später wurde aus sporadischen Vorfällen ein Massenphänomen. Begünstigt durch die Aufhebung der Koalitionsverbote im Jahr 1869 (wodurch Streiks eine gewisse rechtliche Grundlage bekamen) und unterstützt durch kirchliche und soziale Organisationen machten sich die Arbeiter daran, ihr Stück vom Kuchen des Wirtschaftsaufschwungs einzufordern. Allein zwischen 1869 und 1874 sind 1250 Streiks mit bis zu 300.000 Teilnehmern bekannt.
Zumeist ging es dabei um Themen wie Beschränkung der Arbeitszeit, um die Einführung von Pausen und natürlich um angemessenen Lohn für die im Zeitalter der Industrialisierung stark gestiegenen Lebenshaltungskosten. Doch auch damals schon standen "moderne" Forderungen wie betriebliche Mitbestimmung auf der Agenda.
Die Unternehmen reagierten vorhersehbar - nämlich ablehnend: Sie beklagten mangelndes Pflichtbewusstsein und moralische Verkommenheit, und als Ursache hatten sie das "Strikefiber" ausgemacht. Die Möglichkeiten der Streikabwehr waren auch zahlreicher als heute, wo den Arbeitgebern "nur" das Mittel der Aussperrung übrig bleibt. Damals konnten die Unternehmer Verhandlungen schlicht nicht führen, Streikführer entlassen, Betriebswohnungen kündigen oder Anwerbung von Massen an Streikbrechern. Dementsprechend waren die allermeisten Streiks auch zum Scheitern verurteilt - und dennoch machten sie auf ihre Probleme aufmerksam und setzten damit eine Entwicklung in Gang, deren Ergebnis wir heute in Form von Arbeitnehmerrechten geniessen.
Lesen Sie auf der nächsten Seite, welche spektakulären Streiks die Massen mobilisierten und die Arbeitsbedingungen unterschiedlichster Branchen nachhaltig veränderten.
Man schrieb das Jahr 1957, als sich Metallarbeiter ein Recht erstreikten, das uns heute selbstverständlich erscheint: Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Nach 114 Tagen - dem längsten Streik in über 50 Jahren - hatten 34.000 Metaller in Schleswig-Holstein ihr Ziel erreicht. Der Bundestag verabschiedete als Folge des Tarifabschlusses das "Gesetz zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfalle", dem 1969 das Lohnfortzahlungsgesetz folgte.
Wenn es um die Arbeitsbedingungen von Bandarbeitern geht, fällt häufig der Begriff "Steinkühler-Pause". Diese geht auf Franz Steinkühler zurück, der im Tarifkonflikt 1973 die Verhandlungen für die IG Metall führte. Die Vereinbarungen, deren Teil diese zusätzliche Erholungspause von fünf Minuten pro Arbeitsstunde plus drei Minuten "persönliche Bedürfniszeit" sind, wurden nach knapp dreiwöchigem Streik in Baden-Württemberg durchgesetzt. Sie gilt in dieser Form daher auch nur in diesem Bundesland.
1974 schliesslich griff auch der öffentliche Dienst zum ersten Mal bundesweit zum Mittel des Streiks. Mehr als 200.000 Beschäftige liessen ihren Bus stehen, holten den Müll nicht ab oder blieben ihrem Amtssessel fern. Drei Tage lang wurde so für 15 Prozent mehr Gehalt gekämpft - am Ende wurden es immerhin elf. Auch 1992 und 2006 kam es zu grossen Streiks, von denen hauptsächlich die meterhohen Müllberge in Erinnerung geblieben sind. Mehr Lohn für die Beschäftigen gab es aber auch.
1984 kam es zum grössten Metallerstreik in der Geschichte der Bundesrepublik. 70.000 streikten, weitere 130.000 wurden ausgesperrt. Doch alle Mobilisierung der Massen half nichts, das Ziel von einer 35-Stunden-Woche wurde nicht erreicht - das geschah erst im Jahr 1995. 2003 waren die ominösen 35 Stunden erneut Thema der IG Metall: Es ging um die Einführung der kürzeren Arbeitszeit in der ostdeutschen Metallindustrie. Doch auch hier scheiterten die Verhandlungen zunächst, lediglich in der Stahlindustrie kam es zur stufenweisen Einführung der 35-Stunden-Woche.
2001 streikten die Piloten. Die Vereinigung Cockpit forderte für die Flugkapitäne der Lufthansa einen Gehaltssprung von 35 Prozent. Neben dieser hohen Forderung war vor allem eines an diesem Streik besonders: Erstmals führte eine Berufsgruppe ihre Verhandlungen selbst, ohne die "Hilfe" einer der etablierten Gewerkschaften. Ein Beispiel, das Schule machen sollte: Auch die Ärzte 2006 und die Lokführer 2007 verhandelten (beziehungsweise verhandeln noch, im Fall der Lokführer) selbst. Mit den 35 Prozent wurde es im Übrigen nichts: Man einigte sich auf 30 Prozent Lohnerhöhung für das Jahr 2001, 15 Prozent für 2002 und 12 Prozent für 2003.
Einer der Aufsehen erregendsten Streiks der letzten Jahre war sicherlich der Ärztestreik im Jahr 2006. Im Jahr zuvor war es zu Meinungsverschiedenheiten zwischen der Ärztegewerkschaft Marburger Bund und ver.di, die die nichtärztlichen Krankenhausangestellten vertritt, gekommen. Daraufhin handelte der Marburger Bund die Tarifverträge für Ärzte gesondert aus. Im längsten Ärztestreik in der Geschichte der Bundesrepublik, bei dem bis zu 13.500 Mediziner auf die Strasse gingen, erzielte man eine durchschnittlich um 15 Prozent bessere Bezahlung für Ärzte an Unikliniken. Auch im kommunalen Bereich war man danach erfolgreich: Ein 30-stündiger Verhandlungsmarathon im August des Jahres hatte eine Einigung auf 10-13 Prozent mehr Lohn zur Folge.
Den bislang längsten Streik in der Geschichte der Bundesrepublik können im Übrigen die Herweg-Busbetriebe in Leverkusen für sich reklamieren. 50 Fahrer liessen ab dem 7. Februar 2005 395 Tage lang den Bus stehen und protestierten dagegen, dass sie für die gleiche Tätigkeit 30 Prozent weniger Geld bekamen als ihre Kollegen in der Muttergesellschaft KWS (Kraftverkehr Wupper-Sieg AG). Mit Erfolg: ver.di kommentierte den Abschluss mit den Worten, es sei ein "Tarifvertrag, der seinen Namen auch verdient" geworden.
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