In der Stadt Zug brach es aus. Doch das Fieber der Kryptowährungen hat nun auch das Tessin erfasst. Die Gemeinde Chiasso wird ab Januar Steuerzahlungen in Bitcoin in geringem Umfang akzeptieren.
Chiasso will eine "CryptoPolis" werden und Start-Up-Unternehmen aus Norditalien anziehen. Ein parlamentarischer Vorstoss fordert zudem, dass der Kanton dem Beispiel der Grenzgemeinde folgt.
Ab Januar 2018 kann ein kleiner Betrag der Gemeindesteuern in Chiasso in Bitcoin bezahlt werden. Akzeptiert werden Beträge im Wert von umgerechnet 250 Franken.
Das sind 50 Franken mehr als in der Stadt Zug, die im Juli 2016 als erste Schweizer Gemeinde bekannt gab, die Kryptowährung Bitcoin zu akzeptieren. In beiden Städten beziehungsweise Kantonen geht die Neuerung weit über eine symbolische Geste hinaus.
CrytoValley und CryptoPolis
Zug ist seit einiger Zeit für die vorteilhafte Besteuerung von Unternehmungen bekannt. Der Kanton hat aus diesem Grund einen Ruf als Steuerparadies.
Doch damit soll Schluss sein. Zug will sich lieber einen Ruf im Bereich der digitalen Kryptowährungen schaffen und dadurch zur Avantgarde zählen.
Chiasso verfolgt ähnliche Ziele. Im Oktober wurde der Verein CryptoPolis ("Krypto-Stadt") gegründet. Zirka zehn Start-Up-Unternehmen sind in der Tessiner Grenzgemeinde bereits in diesem Sektor tätig. Und es sollen möglichst noch mehr werden.
Konkret bedeutet dies, auf neue Unternehmen zu setzen, die ein Angebot haben, um Transaktionen in Kryptowährungen durchzuführen.
Andere Unternehmen wollen im Markt mit so genannten "smart contracts" reüssieren, etwa mit Versicherungspolicen, die automatisch ausbezahlt werden, wenn es zum Ereignisfall, sprich Versicherungsfall kommt. Man denke etwa an Erstattungen bei Flugzeug- oder Zugverspätungen.
Kantonaler Vorstoss
Die Stadt Chiasso ist überzeugt, mit ihrer Initiative keinerlei Risiko einzugehen. Sobald Bitcoins einkassiert werden, werden diese sofort in Schweizer Franken getauscht.
Die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) handhaben diesen Automatismus sehr ähnlich. Sie verkaufen Bitcoins an ihren Automaten, und sie erwerben sie im gleichen Moment, in dem sie diese verkaufen. Die SBB verkaufen Bitcoins, akzeptieren diese umgekehrt allerdings nicht als Zahlungsmittel.
Eine Gruppe von kantonalen Parlamentariern im Tessiner Grossen Rat verlangt nun, dass Bitcoins auch in der Kantonsverwaltung als Zahlungsmittel eingesetzt werden können.
Erstunterzeichner der entsprechenden Motion ist der Steuerberater und Lehrer Paolo Pamini von der Fraktion "Die Rechten". Vorgeschlagen wird, ein Pilotprojekt im Justiz- und Innendepartement durchzuführen, weil dieses eine sehr hohe Anzahl an Rechnungen ausstellt.
Man denke etwa an Motorfahrzeugsteuern, Gebühren für Reisepässe oder Aufenthaltsbewilligungen.
"Eine kleine Geste, die wenig kostet"
Die Motionäre sind überzeugt, dass der Kanton mit dieser Geste aufzeigen könnte, dass er in das Potential von FinTech (Finanztechnologie) glaubt. Zudem könne der Kanton "dabei auch ein wenig Gewinn machen".
Genau dies stellt Sergio Rossi, Professor für Makroökonomie und Geldpolitik an der Universität Freiburg, in Frage. Mehr noch: Er sieht darin ein grosses Problem. Seiner Meinung nach könnte gerade die öffentliche Hand verleitet sein, Kryptowährungen zu behalten und nicht sofort zu tauschen, "doch die Tendenz einer Aufwertung der Bitcoins könnte von einem Moment auf den anderen zu Ende sein".
Grosse Schwankungen
Ganz unabhängig vom Verhalten des Staates ist der Preis von Bitcoins hohen Schwankungen unterworfen. "Es besteht das Risiko hoher Verluste, für die der Steuerzahler am Ende einstehen müsste", betont Rossi. Dies könnte sogar dazu führen, dass die öffentliche Hand ihre Ausgaben zurückfahren oder die Steuern erhöhen müsste.
Für Paolo Pamini ist der stark schwankende Wechselkurs zurzeit der einzige Mangel beziehungsweise Defekt des Bitcoins. Investoren müssten sich im Klaren sein, "dass jederzeit ein Preisverfall möglich ist". Doch Pamini ist überzeugt, dass es sich trotzdem um eine sichere Währung handelt: "Ich glaube, dass es ein grosses Potential gibt. Handelsbanken und Zentralbanken sehen dies inzwischen auch so."
Sergio Rossi bestätigt, dass das Interesse an Kryptowährungen im Moment sehr gross ist. Gleichwohl warnt er: "Bis anhin handelt es sich bei Bitcoin um ein Finanzinstrument, nicht um eine wirkliche Währung." Erst wenn Bitcoins in das offizielle Bankensystem und den Interbankenhandel integriert seien, könne man von einer eigentlichen Währung sprechen. Solange dies nicht der Fall sei, sollte der Staat laut Rossi lieber die Hände davonlassen.
Eine unbegrenzte Geldmenge
Zur Charakteristik von Bitcoin gehört, dass es eine maximale Anzahl von Einheiten gibt. Heute sind dies rund 17 Millionen. Der Wert errechnet sich in Bruchteilen dieser Gesamtmenge. "Die Obergrenze der Emissionen ist die wahre Innovation dieser Technologie, aber sie ist auch eine wirtschaftliche und philosophische Herausforderung", meint Pamini. Die Situation sei durchaus vergleichbar mit den Zeiten der Gross- und Urgrosseltern, das heisst bevor die Zentral- und Handelsbanken die in Umlauf befindliche Geldmenge systematisch erhöht hätten.
Kaufkraft, Theorie und Wirklichkeit
"Tatsächlich haben die Zentralbanken Milliarden von Franken, Euro und US-Dollar emittiert, und wer diese Währungen besitzt, kann unter Umständen Kaufkraftverluste verzeichnen, weil die Preise steigen oder eine grössere Geldmenge in Umlauf gelangt ist", sagt Wirtschaftsprofessor Rossi.
"Nicht notwendigerweise stellt Bitcoin eine Lösung für dieses Problem dar. Wenn die Zahl meiner Bitcoins ausläuft, kann ich eine neue Kryptowährung erfinden. Für die Summe aller Kryptowährungen gibt es eben keine Obergrenze. Theoretisch schützt also eine Krypotwährung die Kaufkraft, doch die Realität könnte ganz anders sein", argumentiert Rossi.
Eine Zukunft ohne nationale Währungen?
Die Befürworter der Kryptowährungen begrüssen gerade den Umstand, dass es keine Zentralbank mehr braucht. Aber wäre dies tatsächlich positiv? "Ein offizielles Bankensystem ist wichtig, um die Depots zu schützen. Im Bitcoin-System und bei anderen Kryptowährungen fehlt eine Bank als Intermediär zwischen Käufer und Verkäufer", meint Sergio Rossi.
Der Umstand, dass Bitcoin nicht bei einer Nationalbank verankert ist und von Privaten geschöpft wird, könnte die Behörden dazu bringen, Bitcoins möglicherweise als illegal einzustufen. Und das könnte zu einem Problem für die Finanz- und Preisstabilität werden. Falls Bitcoins verboten würden, könnte der Wert unmittelbar auf null absacken. Wer Bitcoin dann tauschen wolle, hätte wohl alles verloren.
© swissinfo.ch
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