Deutsche Start-ups konnten im ersten Halbjahr 2018 deutlich mehr Geld von Investoren einsammeln. Gut 2,4 Milliarden Euro flossen in junge Firmen – ein Wachstum von mehr als 13 Prozent. Wir haben mit dem Investor Frank Thelen über die deutsche Gründerszene gesprochen und darüber, wie der "Höhle der Löwen"-Investor Entscheidungen in der Show und in der realen Welt trifft.
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Frank Thelen: Die Gründerszene in Deutschland entwickelt sich sehr gut. Sie wächst. Doch hebt man das Ganze auf die globale Ebene, dann zeigt sich: Deutschland ist weit abgeschlagen – insbesondere in Bezug auf die USA und China. Das zeigt sich schon allein an den Grössen der Fonds, aus denen Kapital für Investments fliesst. Der grösste Venture Capital Fonds in Europa, Atomico, ist 800 Millionen Dollar schwer, der internationale Vision Fonds 100 Milliarden.
Wonach bewerten Sie Start-ups? Was braucht es, um als Gründer erfolgreich zu sein?
Ich investiere in tiefgreifende Technologien. Dafür braucht es ein Gründerteam, das in der jeweiligen Technologie herausragt. Das kann eines sein, das aus Pionieren im Quantencomputer-Bereich und starken Vertrieblern und Marketingexperten besteht. Oder es handelt sich um ein Start-up mit Erfindern, die bei "Jugend forscht" gewonnen und die im Alter von 16 Jahren ihr erstes Flugzeug gebaut und geflogen haben.
Ich suche also nach einem unfassbar starken Gründerteam mit einer Technologie oder mit einem Produkt, das in der Zukunft weltweit relevant werden kann.
Die Suche danach ist sicher nicht so einfach …
Diese Kombination ist natürlich schwer zu finden. Aber wir haben bereits zwei Investments in diesem Bereich getätigt. Das eine ist Lilium Aviation, ein Start-up aus München, das die Mobilität mit Flugtaxis revolutionieren will. Das andere ist Neufund, das die Finanzierung von Unternehmen mit Blockchain-Technologie verändern will. Demnächst wollen wir ein Invest im Energiebereich tätigen.
Sie investieren allerdings nicht nur im technologischen Bereich. Bei "Die Höhle der Löwen" (DHDL) hat es Ihnen offenbar der Food-Sektor angetan. Gehen Sie da bei Ihren Überlegungen gleich vor?
Was den Gründer an sich betrifft, ja. Allerdings ist der Anspruch im Food-Bereich ein ganz anderer. Ich muss wissen, ob der Gründer authentisch hinter seinem Produkt steht. So wie ein Stefan von Ankerkraut, der in Afrika grossgeworden ist und die Gewürze kennt, die er verkauft.
Ausserdem sollten die Produkte hochwertig und am besten noch gesund sein. Sie sollten zudem schon auf dem Markt sein, so kann ich sehen, ob wir da auch eine gute Skalierung mit Partnern hinbekommen. Im nächsten Jahr planen wir 100 Millionen Euro Umsatz im Food-Bereich.
Was sind bei Ihnen No-Gos? Wann investieren Sie nicht?
Wenn ich merke, dass der Gründer nur das schnelle Geld verdienen will und auch nicht aus dem Bereich kommt, in dem er ein Investment sucht.
Was oder wen wünschen Sie sich für die deutsche Gründerszene?
Ich persönlich wünsche mir Technologie-Gründer, die auch das Marketing-Gen in sich tragen. Das heisst, sie sollten nicht nur die künstliche Intelligenz oder Blockchain entwickeln, sondern – und ich weiss, das ist sehr schwer – auch die Geschichten dazu erzählen können. Ich wünsche mir Menschen, die das Team und Investoren begeistern können. Die Kombination aus Technologie und Kommunikation – das ist das, was ich mir wünsche.
An wen speziell denken Sie da?
Es gibt die sogenannten Poster Childs wie
Aber wir haben einen Daniel Wiegand von Lilium Aviation, der ein unfassbar starker Gründer ist. Der Mann kann kommunizieren und ist einer der intelligentesten Techniker, die wir haben. Von solchen Gründern sollte es mehr geben. Und sie brauchen ihre Chance, bedeutende Unternehmen aufzubauen. Das heisst: Bei zehn Millionen Euro Invest darf dann auch nicht Schluss sein. Wir müssen auch mal eine Milliarde in die Hand nehmen.
Brauchen Sie eigentlich Ihren Spickzettel noch, den Sie in der "Höhle der Löwen" dabei haben?
Ja und nein. Ich habe meine Themen immer auf dem Schirm. Doch nach dem zehnten Pitch am Tag ist es meist sehr spät und dann hilft er mir schon. Das ist auch nur bei der "Höhle der Löwen" so, weil ich dort in einer unfassbaren Geschwindigkeit extrem viel Geld auf den Tisch lege. Da ist es wichtig, dass ich noch mal auf den Zettel schaue und überprüfe, ob ich alle wichtigen Fragen gestellt habe.
Worin liegt der Unterschied zwischen der TV-Show und dem freien Markt?
Das sind zwei völlig verschiedene Welten. Bei der "Höhle der Löwen" stehen für mich Consumer-Produkte im Fokus. Das liegt auch an der Vermarktung der Show, die drei Millionen Zuschauer hat. Das kann die Unternehmen und ihre Produkte pushen. Und es sind gute Deals, die wir als "Löwen" in der Sendung machen. Aber Quantencomputer oder künstliche Intelligenz kann man dort nicht unterbringen. Da muss man realistisch sein.
Wie wichtig ist Ihnen der Umgang auf Augenhöhe in beiden Welten?
Ich versuche immer, allen Menschen auf Augenhöhe zu begegnen und ich lege grossen Wert auf Sachlichkeit. Mir geht es nicht darum, das Sagen zu haben, weil ich bekannt bin und Geld habe. Natürlich muss einer am Ende des Tages eine Entscheidung treffen, wenn im Team zu kontrovers diskutiert wird. Bei Freigeist Capital, unserer Investmentgesellschaft, sind wir alle Partner. Das heisst, alle sind gleichberechtigt und entscheiden im Team. Genauso gehe ich auch mit meinen Gründern um.
Wie gehen Sie DHDL-Invests an und wie sonst? Pokern Sie?
Ich würde es niemals pokern nennen. Ich bin sehr straight bei dem, was ich tue. Ich hab ganz klare Vorstellungen: Ich brauche mindestens 20 Prozent und investiere bislang nicht mehr als eine Million in ein Unternehmen. Das funktioniert.
Wie hoch ist Ihre Erfolgsquote bei der "Höhle des Löwen"?
Erstaunlich hoch. Das wird sich sicher noch ändern. Wir haben bisher mit Crispy Wallet nur ein einziges Unternehmen verloren. Unfassbarerweise sind alle anderen bis heute am Leben, einige davon sehr erfolgreich. Als Investor muss man sich darauf einstellen, dass zwei bis drei von zehn Investments scheitern. Aktuell geht es all unseren DHDL-Investments gut, aber es wäre schon sehr untypisch, wenn alle, wirklich alle überleben würden.
Und wie unterscheidet sich das von den Investments, die Sie sonst tätigen?
Auch da haben wir eine sehr hohe Erfolgsquote. Das liegt sicher daran, dass wir die Unternehmen vorher sehr stark prüfen und wirklich sehr intensiv mit ihnen arbeiten. Die Reihe an Exits (Anm.d.Red: Mit Exit ist hier ein Verkauf gemeint.) an Microsoft, Springer und Daimler waren schon sehr, sehr gut. Wir haben da auch Unternehmen verloren, aber erstaunlich wenige.
Welche Gründer bringen Sie auf die Palme? Was können Sie bei DHDL mittlerweile nicht mehr hören?
Wenn jemand gründet, um zu gründen. Wenn derjenige meint, sich selbstständig zu machen, um mehr Freizeit zu haben. Das hat mir tatsächlich schon mal jemand gesagt. Das ist ein Schlag ins Gesicht für jeden, der für sein eigenes Unternehmen hart gearbeitet hat. Solche Aussagen machen mich sauer.
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