Nach langer Diskussion ist die China-Strategie der Bundesregierung nun beschlossen. Deutschland betont darin, dass es selbstbewusster gegenüber China auftreten und wirtschaftliche Abhängigkeiten reduzieren will. Doch kann dies so einfach gelingen?

Eine Analyse
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Bis zur Vorstellung dieses Papiers dauerte es 83 Wochen. So lange beharkten sich vor allem Aussenministerium und Kanzleramt. Annalena Baerbocks Haus stand dabei für die härtere Linie: "China hat sich verändert - und deswegen muss sich auch unsere China-Politik verändern", sagte die Aussenministerin nach Angaben von tagesschau.de bei der Vorstellung der Strategie.

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Ziel Chinas sei es in den letzten Jahren vermehrt, die "regelbasierte internationale Ordnung umzugestalten". Und so spricht die "China-Strategie" der Bundesregierung die Menschenrechtsverletzungen in China ebenso an wie die Bedrohung von Taiwan durch China.

"China ist Deutschlands wichtigster Handelspartner im Warenhandel", sagt Jürgen Matthes vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln. Zwar seien bei Dienstleistungen die Wirtschaftsbeziehungen zu den USA noch wichtiger und nur etwa drei Prozent der Arbeitsplätze in Deutschland von China abhängig.

Doch sei vor allem die Bilanz des Warenhandels mit China sehr unausgeglichen, erklärt Matthes. Diese liegt tief im negativen Bereich. Dies bedeutet, dass die Importe aus China nach Deutschland die deutschen Exporte nach China weit überwiegen. So lag das Defizit im Jahr 2022 bei immerhin 84 Milliarden Euro, erklärt Matthes.

Experte: De-Risking ist die richtige Strategie

Mit Blick auf die deutsche Wirtschaft hat sich die Bundesregierung in ihrer Strategie nun nicht auf das De-Coupling, sondern das De-Risking festgelegt. Also keine Entkopplung, sondern Risikominimierung. Die Abhängigkeiten bei Schlüsseltechnologien und Rohstoffen sollen verringert werden. Dabei beklagt die Bundesregierung einen oftmals erschwerten Zugang für ausländische Unternehmen zum chinesischen Markt. Zudem gebe es für deutsche Firmen Investitionsbeschränkungen, oder sie seien von öffentlichen Ausschreibungen ausgeschlossen.

Die Strategie der Risikominimierung hält auch Jürgen Matthes für die Richtige. Schwierig sei allerdings, dass ein solcher Prozess sich zeitlich in die Länge ziehen würde. Zudem drohe die Gefahr, dass "De-Risking nur eine Floskel bleibt und nicht ausreichend definiert wird", sagt der Kölner Wirtschaftsforscher. Denn es sei nicht sicherzustellen, dass Unternehmen, die hier vorwiegend in der Pflicht seien, diese Aufgabe auch durchweg umsetzen wollten und könnten. Matthes fordert deswegen eine "klare Bestandsaufnahme wirklich kritischer Abhängigkeiten" und eine Kontrolle, ob diese auch tatsächlich abgebaut würden. Dies sei nach eigener Analyse bislang nicht der Fall.

Wie dieses "De-Risking" praktisch stattfinden soll, dazu wird die "China-Strategie" der Bundesregierung nicht allzu konkret. Eine Warnung bekommen die deutschen Unternehmen für ihre Geschäftstätigkeiten in China jedoch mit auf den Weg: Der deutsche Staat springt nicht unbegrenzt ein, wenn deutsche Unternehmen in China investieren und diese Gelder plötzlich weg sein sollten. Die sogenannten Investitionsgarantien für Unternehmen seien auf drei Milliarden Euro beschränkt, erklärt die Bundesregierung in ihrer "China-Strategie" ausdrücklich.

Risikominimierung würde lange dauern und müsste kontrolliert werden

Wie bedrohlich eine solche Risikominimierung für deutsche Unternehmen wirklich sein würde, könne noch gar nicht abgeschätzt werden, erklärt Jürgen Matthes. Denn die Situation sei für jedes Unternehmen unterschiedlich. Hersteller und Zulieferer stünden vor jeweils anderen Herausforderungen.

Zwar seien in der Vergangenheit hohe Gewinne für die deutsche Wirtschaft in China erzielt worden. Doch seien deutsche Unternehmen, und hier besonders die Autohersteller, auch in anderen Regionen erfolgreich. "Ob daher ein Verzicht auf China, wenn er allmählich stattfinden würde, wirklich die Existenz der Unternehmen gefährden würde, ist nicht ausgemacht", sagt Matthes.

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Derzeit vollziehe sich zudem noch eine ganz andere Entwicklung: Chinas Wirtschaft laufe aktuell nicht mehr so gut wie in den vergangenen Jahren. Die Geschäftsbeziehungen seien durch chinesische politische Einflussnahme immer schwieriger geworden. Nicht zuletzt hätten deutsche Autohersteller grosse Probleme mit der chinesischen Konkurrenz bei Elektroautos. Wenn auf all diesen Gebieten keine Veränderungen einträten, würde die Bedeutung Chinas für die Hersteller als Absatzmarkt nach und nach immer geringer werden, erklärt Matthes.

Auf einem Feld ist Deutschland gegenüber China gegenwärtig im Nachteil, sagt Matthes: bei einzelnen Produkten, die Deutschland derzeit in hohem Masse aus dem asiatischen Land importiert. "Das gilt vor allem für Rohstoffe wie etwa Seltene Erden, die gerade auch für die Energiewende dringend gebraucht werden. Hier bestehen starke Abhängigkeiten, die China im Fall eines geopolitischen Konflikts Erpressungsmöglichkeiten bieten."

Über den Experten: Jürgen Matthes ist Leiter des Clusters Globale und regionale Märkte des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln.
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