Wiesbaden/Berlin - Verunsicherte Verbraucher, kriselnde Industrie, sinkende Exporte: Die deutsche Wirtschaft ist 2024 das zweite Jahr in Folge geschrumpft und steckt damit so lange in der Rezession wie seit mehr als 20 Jahren nicht. Das Bruttoinlandsprodukt sank 2024 um 0,2 Prozent zum Vorjahr, wie das Statistische Bundesamt schätzt. Damit hinkt die deutsche Wirtschaft international hinterher - und ein deutlicher Aufschwung ist nicht in Sicht.

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Ins neue Jahr geht Europas grösste Volkswirtschaft ohne Rückenwind. Auch im Schlussquartal 2024 dürfte die deutsche Wirtschaft leicht geschrumpft sein, wie die Statistiker schätzen. Zudem droht mit den Zollplänen des designierten US-Präsidenten Donald Trump heftiger Gegenwind für den Export. Ökonomen fordern ein schnelles Gegensteuern der Politik nach der anstehenden Bundestagswahl, um ein weiteres Abwandern von Industrieproduktion zu verhindern.

"Längste Stagnationsphase der Nachkriegsgeschichte"

Schon 2023 war das Bruttoinlandsprodukt um 0,3 Prozent zurückgegangen. "Die deutsche Wirtschaft dürfte sich auch in diesem Jahr kaum aus der Stagnation befreien, sollte es nicht bald gelingen, mit wirtschaftspolitischen Reformen die Standortprobleme in den Griff zu bekommen", meint Timo Wollmershäuser, Konjunkturchef beim Ifo-Institut. 2024 sei das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt nur wenig höher als 2019 vor der Corona-Pandemie. "Deutschland durchläuft die mit Abstand längste Stagnationsphase der Nachkriegsgeschichte."

Hoffen auf Reformen

Zwar hoffen Wirtschaftsverbände auf einen Politikwechsel nach der Wahl am 23. Februar. Doch allein mit den Koalitionsverhandlungen dürften Monate vergehen. "Positive wirtschaftliche Impulse einer neuen Bundesregierung würden wohl frühestens im Jahr 2026 voll zum Tragen kommen", sagt Ökonom Nils Jannsen vom Kiel Institut für Weltwirtschaft.

Export
Die deutsche Wirtschaft leidet unter einer Wachstumsschwäche, der Aussenhandel lahmt. (Archivbild) © dpa / Christian Charisius/dpa

Trumps Zollpläne als Damoklesschwert

Mit Donald Trump drohen zudem Handelskonflikte. Sollte er wie angekündigt hohe Zölle auf Importe erheben, würde das die Exportnation Deutschland wohl besonders schwer treffen und viele Jobs kosten. Kein anderer G7-Industriestaat hänge so stark am Export wie Deutschland, sagt Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der VP Bank. "Dem Aussenhandel könnten mit neuen US-Strafzöllen auch im Jahr 2025 der Wind hart ins Gesicht blasen."

Die Bundesbank hat ihre Prognose für die deutsche Wirtschaft bereits gesenkt und rechnet für 2025 nur mit einem Mini-Wachstum von 0,2 Prozent. Der Sachverständigenrat ("Wirtschaftsweise") erwartet ein Plus von 0,4 Prozent.

Verbände alarmiert

Teile der Wirtschaft sehen Deutschland wieder als "kranken Mann Europas" und vergleichen die Lage mit 2002 und 2003, als die Wirtschaft ebenfalls zwei Jahre in Folge schrumpfte. Die Antwort war damals die unter SPD-Kanzler Gerhard Schröder eingeführte Agenda 2010 mit Reformen an Sozialstaat und Arbeitsmarkt. Heute pocht die Wirtschaft auf Bürokratieabbau, Steuerentlastungen, niedrigere Energiekosten und mehr Tempo bei Infrastrukturprojekten.

Arbeitsmarkt noch stabil

Anders als nach der Jahrtausendwende ist der Arbeitsmarkt weitgehend stabil - 2024 stieg die Zahl der Beschäftigten auf den Rekord von 46,1 Millionen. Neue Jobs entstanden aber vor allem in staatlich dominierten Sektoren wie Gesundheit, Erziehung und Öffentlicher Dienst, während am Bau und in der Industrie Arbeitsplätze verloren gehen. In Sorge um ihre Jobs scheuen viele Menschen trotz gestiegener Reallöhne grössere Ausgaben. Die ohnehin hohe Sparquote ist 2024 nochmals deutlich auf 11,6 Prozent gestiegen.

Deutsche Schwächen

Die Liste der Probleme ist lang. "Im Vergleich zu anderen Standorten weltweit sind die Belastungen der Unternehmen durch Steuern, Bürokratie und Energiekosten hoch, die Erneuerung der Digital-, Energie- und Verkehrsinfrastruktur kommt langsamer voran und der Fachkräftemangel ist ausgeprägter", sagt Ifo-Experte Wollmershäuser. Die Industrie habe an Wettbewerbsfähigkeit verloren. Dazu kommt, dass China etwa im Autobau aufgeholt hat und auf dem Weltmarkt zum ernsten Konkurrenten geworden ist.

Deutschland in der Rezession
Die deutsche Wirtschaft steckt in der Rezession, das Baugewerbe schwächelt © dpa / Rolf Vennenbernd/dpa

Deutschland habe sich mit dem Schrumpfen 2024 weitgehend von der Weltwirtschaft abgekoppelt, sagt IfW-Ökonom Jannsen. "Im übrigen Euroraum dürfte das Bruttoinlandsprodukt um rund 1 Prozent gestiegen sein, in den USA wohl sogar um fast 3 Prozent."

Kriselnde Industrie

Im vergangenen Jahr schlug vor allem die Krise der deutschen Industrie durch. Dort schrumpfte die Bruttowertschöpfung kräftig um 3,0 Prozent. Wichtige Branchen wie der Maschinen- und Autobau produzierten deutlich weniger, in der energieintensiven Chemie und Metallindustrie blieb die Fertigung auf niedrigem Niveau. Die Investitionen in Ausrüstungen wie Maschinen, Geräte und Fahrzeuge sanken kräftig, das Baugewerbe litt unter der Krise im Wohnungsbau.

Auch der Aussenhandel schwächelte. Die Exporte von Waren und Dienstleistungen, insbesondere Maschinen und Autos, schrumpften laut Statistik um 0,8 Prozent.

Längst belastet die Krise die Verbraucherstimmung. Die privaten Konsumausgaben stiegen 2024 preisbereinigt um nur 0,3 Prozent. Viele Menschen sparen, obwohl die Inflationswelle abgeebbt ist. Doch Verbraucher spüren die gestiegenen Preise beim täglichen Einkauf, etwa von Lebensmitteln.

Staatsdefizit gestiegen

Immerhin: Bei den Staatsfinanzen steht Deutschland vergleichsweise gut da. Der Fiskus gab 2024 zwar erneut mehr Geld aus, als er einnahm. Nach vorläufigen Daten belief sich das Defizit von Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialversicherung auf 113 Milliarden Euro - nach 107,5 Milliarden im Vorjahr. Damit hielt Deutschland aber auch dank der umstrittenen Schuldenbremse erneut die europäische Verschuldungsregel ein, die ein Haushaltsdefizit von 3,0 Prozent gemessen an der Wirtschaftsleistung erlaubt. Deutschland kam nach vorläufigen Berechnungen auf eine Quote von 2,6 Prozent - wie 2023.  © Deutsche Presse-Agentur

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