Ein aus dem Zusammenhang gerissenes Zitat sorgt für neuen Zündstoff in der Debatte um die finanzielle Rettung Griechenlands. Wäre eine Pleite Griechenlands und ein Ausscheiden aus der Eurozone tatsächlich mit dem Ende der europäischen Währung gleichzusetzen? Würde eine Kettenreaktion folgen, die Spanien und Italien in Bedrängnis bringt? Wir haben mit Experten über die möglichen Folgen des Grexit gesprochen.
Zwei Prozent. So gross – oder klein – ist der Anteil Griechenlands an der Eurozone. Dennoch ist es auch in fünf Jahren und mit fast 240 Milliarden Hilfsgeldern nicht gelungen, das krisengebeutelte Land aus der Misere zu führen.
Im Gegenteil: Seit Beginn der Hilfsmassnahmen ist die hellenische Wirtschaft um 25 Prozent eingebrochen, die Arbeitslosigkeit von 12 auf 27 Prozent gestiegen. Mehr als eine Million der insgesamt sechs Millionen erwerbsfähigen Bevölkerung sind ohne Job. Die noch ausstehende Hilfsgeld-Tranche über 7,2 Milliarden ist Gegenstand monatelanger Diskussionen um die daran geknüpfte Bedingung, Strukturreformen umzusetzen, die das Land endlich wieder zu Wachstum und Wohlstand führen sollen. Dabei drängt die Zeit. Denn Ende Juni läuft das Hilfsprogramm aus, Zahlungen in Milliardenhöhe stehen an. Die Gefahr eines griechischen Ausstiegs, also eines Grexit, wächst mit jedem Tag ohne Einigung. Über dessen Folgen streiten sich die Beteiligten.
In einem Interview mit der italienischen Tageszeitung Corriere della Sera wurde Premier Alexis Tsipras gefragt, ob die Pleite Griechenlands einem Bankrott der Eurozone gleichkäme: "Ich glaube, das ist offensichtlich. Es wäre der Anfang des Endes der Eurozone", so die Antwort des Regierungschefs. Tsipras‘ Erklärung klingt plausibel: "Wenn Europas politische Elite nicht in der Lage ist, ein Problem wie Griechenland zu lösen, das nur zwei Prozent der Wirtschaft in der Eurozone ausmacht, wie werden die Märkte dann auf Länder mit viel grösseren Problemen, wie Spanien und Italien, reagieren?"
Eine Warnung, die Professor Rudolf Hickel vom Institut Arbeit und Wirtschaft an der Universität Bremen zumindest nicht für unbegründet hält: "Ein Grexit würde das System erschüttern und zu einer massiven Abwertung der Eurozone führen", fürchtet Hickel. "Wenn das erste Land ausbricht, wäre das der Beweis, dass das System nicht hält", sagt er im Interview mit unserem Portal. Dies würde auch an den übrigen Ländern nicht spurlos vorbeiziehen. Tsipras‘ Annahme, dass die Märkte sich nach dem Ausstieg Griechenlands gleich ein neues "Opfer" suchen würden, stützt Hickel aber nicht: "Tsipras folgt der alten Vorstellung, dass es bei einem Ausstieg zu einer neuen Spekulationswelle kommen würde. Das glaube ich nicht."
Auch Friedrich Heinemann vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim glaubt nicht an eine Kettenreaktion in der Eurozone: "Vorerst rechne ich nicht mit solchen Ansteckungseffekten", stellt der Wissenschaftler klar. "Mit dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) und vor allem den Anleihekaufprogrammen der Europäischen Zentralbank (EZB) sind heute glaubwürdige Instrumente verfügbar, auch Länder wie Spanien oder Italien zu schützen." Zwar ist Italiens Staatsverschuldung gefährlich hoch, auch Spanien liegt deutlich über den von der EU festgelegten Verschuldungswerten. Jedoch: Beide seien aufgrund ihrer Reformkurse nicht mit Griechenland zu vergleichen.
Auch deshalb würde die Europäische Zentralbank nach Auffassung von Heinemann nicht zögern, sie zu unterstützen. Denn anders als bei Griechenland liegen die Zinsen für beide Staaten trotz ihrer relativ hohen Schulden auf "historischen Tiefständen", so Heinemann. "Die Kapitalmärkte teilen Tsipras‘ Einschätzung in keiner Weise", betont der Wirtschaftsexperte. Deshalb hält Heinemann die Folgen eines Grexit für verkraftbar. Ein griechischer Euroausstieg sei "kein grosses Risiko für das Überleben des Euro".
An einen Zusammenbruch der Gemeinschaftswährung glaubt auch Hickel nicht. Wohl aber warnt er vor den geopolitischen Folgen, die der Ausstieg Hellas‘ mit sich brächte. "Griechenland wäre gezwungen, seine Geschäfte mit Russland und China zu intensivieren", erläutert er. Denn durch die massive Abwertung der Drachme, die Athen wieder einführen müsste, könnte das Land am Export mit der Europäischen Union kaum etwas verdienen. Gleichzeitig würden die Schulden durch die Inflation stark ansteigen – die Verarmung des Landes würde rapide voranschreiten: "Damit hätten wir ein armes, instabiles Land direkt an der Grenze zu der Türkei", so Hickel. Auch deshalb glaubt der Wirtschaftsprofessor nicht an einen Grexit: "Dazu wird es nicht kommen. Das wäre für das Gefüge der Eurozone und der gesamten EU katastrophal."
Heinemann hält die Gefahren einer Aufweichung der Bedingungen – also Kredite gegen Reformen – hingegen für grösser: "Griechenland neue Kredite ohne glaubwürdige Reformen zu geben, könnte die Unterstützung für den Euro in Ländern wie Finnland, den Niederlanden, Slowenien und auch in Deutschland gefährden."
Doch die Fronten sind verhärteter denn je: Griechenland fordert ein Eingeständnis der Institutionen, also der Union, der EZB und des Internationalen Währungsfonds, dass die harte Sparpolitik das falsche Rezept sei. Das hat der IWF bereits 2013 in einer Studie eingestanden: Demnach hätten 100 Euro Ausgabenkürzungen zu einem bis zu zweieinhalbfachen Produktionsverlust geführt. Auf einem anderen Blatt steht, dass Griechenlands Rentensystem auch für andere EU-Länder kaum finanzierbar wäre - Reformen hält auch der IWF in diesem Bereich für unumgänglich, um das Land wieder in die richtigen Bahnen zu lenken.
In Tsipras‘ jüngsten Reformvorschlägen waren diese jedoch nicht enthalten. Zudem kommen noch immer die reichsten Hellenen mit Alibisteuersätzen davon, die milliardenschweren Reeder bleiben weiter steuerfrei. Dafür kann Tsipras kein Verständnis erwarten. Weder in Brüssel, noch in Athen. Ob das der richtige Weg ist, um Griechenlands Pleite zu verhindern? Die Diskussionen sind noch lange nicht beendet. Doch selbst wenn die Rettung misslingen sollte, dürfte ein Ende der Eurozone äusserst unwahrscheinlich sein.
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