• Samuel Bankman-Fried galt als Star der Krypto-Szene.
  • Nun sitzt er im Gefängnis und wartet auf seine Auslieferung.
  • Sein Fall könnte den Jahrhundertbetrug von Bernie Madoff in den Schatten stellen.

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Das Leben als Krypto-Milliardär kann abwechslungsreich sein: Noch am 30. November durfte Samuel Bankman-Fried, gefallener Kryptoheld und Gründer der insolventen Handelsplattform FTX, auf der Bühne des DealBook-Summit seine Version vom grössten Krypto-Crash der Geschichte erzählen. Der Summit ist ein von der New York Times ausgerichtetes Panel für Entscheider aus Politik und Wirtschaft: US-Finanzministerin Janet Yellen war zu Gast, Meta-Chef Mark Zuckerberg und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj.

Inmitten dieser illustren Runde schaltete sich SBF, wie er in der Krypto-Welt genannt wird, eine Stunde lang aus seinem Domizil aus den Bahamas zu, vermutlich auf Anraten seiner Anwälte, um sich vor einem unmittelbaren Zugriff der US-Behörden zu schützen.

SBF wirkte zerzaust, immer wieder zitterte er: Vor der Kamera präsentierte sich ein Mann, der die Übersicht über sein rasant wachsendes Krypto-Universum verloren hatte und Stück für Stück über das eigene Unvermögen gestolpert war.

Zwar bohrte sein Interviewpartner, der Finanzjournalist Ross Sorkin, hin und wieder nach ("Entweder du bist ein junger Mann, der eine Serie von schrecklichen Entscheidungen traf. Oder du hast einen massiven Betrug begangen, das hier ist ein Ponzi-Scheme. Was ist passiert?"). Doch SBF konnte seine Punkte machen. Nach einer Stunde bekam der 30-Jährige vom überwiegend gut informierten Publikum für die Einlassungen Applaus.

Am Montagabend klickten die Handschellen

Und keine zwei Wochen später Besuch von der Polizei. Am Montagabend wurde Bankman-Fried auf Ersuchen der US-Regierung auf seinem Wohnsitz, unweit der Bahamas-Hauptstadt Nassau, festgenommen. Bilder des Zugriffs zeigen, wie der 30-Jährige in Handschellen aus seinem Haus geführt und in einen schwarzen Van gebracht wird. Zuvor hatte die US-Börsenaufsicht SEC Bankman-Fried wegen Betrugs angeklagt und bei den bahamaischen Behörden um Auslieferung gebeten.

Der Vorwurf: SBF soll Investoren mit falschen Versprechungen in die Irre geführt und deren Gelder veruntreut haben. "Wir behaupten, dass Sam Bankman-Fried ein Kartenhaus auf einem Fundament der Täuschung gebaut hat", sagte SEC-Chef Gary Gensler.

Insgesamt geht es um mehr als 1,8 Milliarden US-Dollar, rund 1,1 Milliarden davon aus den USA - Summen also, bei denen die amerikanischen Behörden für gewöhnlich wenig Spass verstehen. Damian Williams, Staatsanwalt des US-Staats New York, sprach gar vom "grössten finanziellen Betrugsfall in der Geschichte der Vereinigten Staaten" und stellte den Zusammenbruch von FTX damit eine Stufe höher als den Skandal um Bernie Madoff, der bisher den unrühmlichen Titel des Jahrhundertbetrügers führte.

Madoff wurde für sein Schneeballsystem zu insgesamt 150 Jahren Haft verurteilt. Es ist ein Vorgeschmack darauf, was dem Jungstar möglicherweise blüht.

Unvermögen oder ein gigantischer Betrug?

Auch wenn zu diesem Zeitpunkt einiges unklar ist und die Unschuldsvermutung gilt: Mit der US-Staatsanwaltschaft, der Börsenaufsicht SEC und der CFTC, die für die Regulierung der Futures- und Optionsmärkte zuständig ist, werden gleich drei Behörden in den kommenden Monaten zu rekonstruieren versuchen, ob hinter dem Zusammenbruch des Krypto-Universums tatsächlich das Unvermögen einer kleinen, verschworenen und heillos überforderten Truppe stand oder schlicht ein unfassbares Mass an krimineller Energie.

Auch die Finanzwelt wird Antworten auf die Frage verlangen, wie es Bankman-Fried jahrelang gelungen war, ausgebuffte Investoren, Prominente und hochrangige Politiker zu blenden und dazu zu bringen, ihre Portemonnaies zu öffnen. Sein öffentliches Gebaren, das sich vom grossspurigen Auftritt anderer Grössen aus der Krypto-Welt unterschied, mag dabei eine Rolle gespielt haben.

Schon als junger Trader war SBF anders

Bankman-Fried, der 1992 als Sohn der Stanford-Juristen Joseph Bankman und Barbara Fried geboren wurde, studierte von 2010 bis 2014 Physik an der US-Eliteuniversität MIT. Nach seinem Abschluss heuerte er bei Jane Street an, einem der renommiertesten Handelshäuser der Welt, das Einsteigern bis zu 450.000 US-Dollar im Jahr bietet. Die Trader aus Lower Manhattan verdienen ihr Geld mit komplexen Handelsstrategien und haben den Ruf, die klügsten Köpfe der Branche anzuziehen.

Gleichzeitig soll es dort weniger steif als bei anderen Handelshäusern zugehen: So berichteten ehemalige Kollegen, dass SBF schon als junger Trader regelmässig in Shorts und Sandalen im Trading-Raum aufschlug.

Jane Street spielt deshalb eine Rolle im FTX-Skandal, weil sich fast das gesamte Führungsteam von Bankman-Frieds verschiedenen Unternehmungen aus ehemaligen Finanzhändlern dieser Firma rekrutierte. Das betrifft zum einen Alameda Research, einen Krypto-Hedgefonds, den Bankman-Fried 2017 nach seinem Ausscheiden bei Jane Street gründete und der Investorengelder vermehrte, indem er Preisdifferenzen bei Krypto-Geschäften ausnutzte - ein hochriskantes Unterfangen.

Tag und Nacht soll Bankman-Frieds Truppe digitale Krypto-Tokens zwischen den USA und Japan hin- und hergeschoben haben, weil Krypto-Währungen in Asien eine Weile zu höheren Preisen gehandelt wurden als in den USA. Es gab sogar einen eigenen Namen für das Prinzip: Die Kimchi-Prämie, benannt nach dem für Korea typischen eingelegten Kohl.

Krypto-Börse FTX wuchs rasant

Zwei Jahre nach der Gründung von Alameda startete Bankman-Fried dann die Krypto-Börse FTX, die ihren Hauptsitz auf den Bahamas hat und damit ihr Kerngeschäft nicht der strengen Regulierung der USA unterwerfen musste. FTX wuchs rasant und verzeichnete zwei Jahre nach der Gründung bereits ein Handelsvolumen von zehn Milliarden US-Dollar. Dabei vernachlässigte Bankman-Fried grundlegende Gesetze der Finanzbranche, etwa das Einziehen einer "Chinese Wall", also einer Brandmauer, zwischen seiner Handelsfirma und dem Hedgefonds Alameda.

Die enge Verflechtung beider Unternehmen, also die verbotene Umleitung von Kundenvermögen in Milliardenhöhe, die Alameda für Spekulationen einsetzte, führte im November schliesslich zu einer Panik und dem Abzug von Kundengeldern, was letztlich den Untergang des Krypto-Imperiums bedeutete.

Trotz des offenbar nicht vorhandenen Risikomanagements stand das Who is Who der Finanzbranche Schlange bei FTX, darunter der japanische Grossinvestor Softbank oder der grösste Vermögensverwalter der Welt, Blackrock. Über verschiedene Finanzierungsrunden hinweg investierten namhafte Häuser insgesamt 40 Milliarden Dollar in das Unternehmen und verzichteten offenbar darauf, einen ausführlichen Blick in die Bücher zu werfen oder dem Hauptsitz von FTX auf den Bahamas einen Besuch abzustatten.

In der Rückschau lassen sich die Fahrlässigkeit, das Gottvertrauen und die Bewunderung gegenüber Bankman-Fried seitens renommierter Investoren, am ehesten mit dem FOMO-Phänomen (Fear of Missing Out) erklären, also der Angst von Investoren, eine potenziell günstige Investitionsgelegenheit zu verpassen.

US-Promis und Politiker warben für FTX

Auch die US-Prominenz schmückte sich mit Bankman-Fried: Der Football-Megastar Tom Brady und seine Ex-Frau, das Model Gisele Bündchen, arbeiteten als Botschafter für FTX und sollen 650 Millionen Dollar in das Unternehmen gesteckt haben. Die American Airlines Arena, in der die NBA-Mannschaft Miami Heat spielt, benannte sich in FTX-Arena um. Und das Formel-1-Team von Mercedes Benz rund um Lewis Hamilton wollte das FTX-Logo auf Trikots und Fahrzeuge kleben.

Kurzum: SBF beherrschte die Mechanismen der Aufmerksamkeitsökonomie perfekt und konnte so das provisionsgetriebene Geschäft der Krypto-Börsen, in dem Handelsvolumina über Gedeih und Verderb entscheiden, immer weiter ausbauen.

Vermutlich war es Bankman-Frieds verbalisiertes Desinteresse an Ruhm und Reichtum, das ihn zum Messias der Krypto-Welt und darüber hinaus werden liess. Auf Panels erzählte der 30-Jährige, dass er und seine Geschwister utilitaristisch erzogen worden seien und die Familie schon am Esstisch darüber diskutierte, wie das eigene Handeln zum grösstmöglichen Nutzen für die Menschheit eingesetzt werden könne.

Öffentlich verbreitete SBF die Botschaft, dass er nur so reich werden wolle, um das Geld anschliessend zu spenden. Die Richtung stimmte lange Zeit: In der Spitze schätzte das US-Magazin Forbes SBFs Vermögen auf 26,5 Milliarden Dollar.

SBFs Auftritt war grösstenteils "Fassade"

Als Mitglied von "Giving What We Can" verpflichtete sich der Veganer und Anhänger des effektiven Altruismus, mindestens 10 Prozent seines Einkommens an Wohltätigkeitsorganisationen zu spenden. Bei der letzten Präsidentschaftswahl unterstützte er die Kampagne von Joe Biden mit 5,2 Millionen Dollar.

Und in der Öffentlichkeit galt er nicht nur als Altruist, sondern auch als arbeitsamer und bescheidener Asket, der regelmässig auf seinem Sitzsack geschlafen haben soll. So erzählte er es zumindest. Heute ist klar, dass der bescheidene Auftritt grösstenteils "Fassade" war, wie SBF zuletzt in einem Interview selbst zugegeben hat.

Seine Nächte wird Bankman-Fried in den nächsten Monaten nicht mehr im Büro verbringen. Während er auf seine Auslieferung wartet, verbringt der einstige Börsenstar seine Zeit im einzigen Gefängnis auf den Bahamas, der Justizvollzugsanstalt Fox Hill. Sie gilt als eines der härtesten Gefängnisse der Welt.

Verwendete Quellen:

  • nytimes.com: DealBook Summit
  • efinancialcareers.com: 29-year-old trader's billions attributed to extreme altruism
  • pitchbook.com: FTX Company Profile: Valuation & Investors
  • financialservices.house.gov: Testimony of Sam Bankman-Fried Co-Founder and CEO of FTX
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