Alle reden vom Bitcoin. Doch die bis heute grösste Komplementärwährung der Welt ist der WIR-Franken. 1934 als Wirtschaftsring-Genossenschaft gegründet, nutzen ihn kleine und mittlere Unternehmen in der ganzen Schweiz bis heute. swissinfo.ch hat mit einigen gesprochen. "Unsere Währung fordert, dass man miteinander spricht", sagt einer.

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Der Höhenflug des Bitcoins ist vorbei. Wenn es nicht die Blase ist, die gerade platzt, so doch der Traum vieler Glücksritter vom schnellen Reichtum.

Mit Bitcoin hat der WIR-Franken eines gemeinsam: Es gibt die Währung nur als Wert, als soziale Technologie. Obwohl er physisch nicht existiert, hat er aber nur in der Realwirtschaft Bedeutung, denn die Währung mit dem Buchstaben-Code CHW ist immer 1:1 an den Schweizer Franken gebunden.

Spekulation ist somit unmöglich, und deshalb haben die WIR-Teilnehmer (die Unternehmen, die sich am Währungssystem beteiligen) immer etwa dasselbe Interesse: Investitionen in neue Aufträge, neue Mittagessen, neue Hotelnächte. "Das Geld, das jeder loswerden will" ist ein geflügeltes Wort unter den Leuten, die WIR-Franken haben.

Der Architekt

Rolf Stalders Architekturbüro mit 30 Mitarbeitenden befindet sich in einem Basler Stadtrandquartier.

Seit etwa 20 Jahren setzt er auf WIR-Franken: "Die Baubranche ist einer der Hauptumsatzträger von WIR. Daneben sind auch Gastronomie und Hotellerie sehr WIR-bezogen. Einige Hotelprojekte, die wir realisierten, brachten wir wiederum mit der WIR-Bank zusammen.

Der Hotelier nimmt seine Hypothek in WIR auf und kann sie amortisieren, indem er Zimmer für WIR anbietet. Zimmer in WIR sind gerade in Basel attraktiv, weil die grösste Baumesse der Schweiz dort stattfindet, und damit schliesst sich der Kreis zu einer anderen WIR-Branche.

Mit dem Restaurant, das ich noch besitze, ist das ähnlich: Die Gäste können mit WIR bezahlen, die ich wiederum in der Baubranche umsetze."

Der Solar-Spezialist

Willy Langenegger ist Solarunternehmer in der äussersten Ostschweiz. Seine Firma berät und installiert Photovoltaik-Anlagen für Unternehmen und Privatpersonen.

"Als Fünfzehnjähriger hörte ich zum ersten Mal von WIR. Ich dachte, etwas, was alle loswerden wollen, ist interessant. Da kann man was machen. Dann absolvierte ich eine Maurerlehre und arbeitete mehrere Jahre in der Finanzbranche im Aussendienst. Vor etwa neun Jahren habe ich dann die Swiss Photovoltaik GmbH gegründet."

Die "Autoverschönerer"

Carpolish and Cleaning hat sich in einem grossen Pneuhaus in einer Berner Kleinstadt eingemietet. Das kleine Fahrzeugaufbereitungs-Unternehmen von Nadine Meyer und ihrem Partner Philippe Amrhein startete erst 2017.

"Viele wissen nicht, wie sie ihre WIR loswerden. Klar, weil man mit WIR nicht spekulieren kann, ist es immer ein Loswerden. Aber wenn man sich bemüht, kann man die WIR wirklich brauchen.

Wir essen jeden Tag mit WIR, zahlen unsere Miete mit 100% WIR. Unsere Getränke kaufen wir logischerweise nicht im Denner, sondern im Getränkemarkt, der WIR nimmt.

Ich gehe raus und schreie: 'Ich nehme WIR!' Da wir der einzige Fahrzeugaufbereiter sind, der WIR nimmt, gibt uns das einen Vorteil. Sorge ich mich um unsere Liquidität, nehme ich natürlich nur einen Anteil und nicht 100%. WIR fordert, dass man miteinander spricht.

Jeder versteht, wenn man nicht 100% nehmen kann, weil liquide Schweizer Franken gebraucht werden."

Rückläufiger Umsatz mit WIR

Der Handel mit WIR-Franken ist verboten, trotzdem gibt es Händler, die WIR-Franken zu einem schlechten Kurs gegen Schweizer Franken eintauschen. Die Folgen für diese sind ein Ausschluss aus der Komplementärwährung sowie Konventionalstrafen.

Wenn Unternehmen diese Schwarzmarkt-Angebote nutzen, steckt oft Not dahinter: fehlende Liquidität in Schweizer Franken.

Fast bei allen Aufträgen, bei denen WIR im Spiel sind, wird nur ein WIR-Anteil genommen. Das ist ein Grund, warum der Umsatz in WIR-Franken rückläufig ist. Betrug der Gesamtumsatz in den 1990er-Jahren noch 2,5 Milliarden Franken, halbierte er sich bis 2016 auf 1,28 Milliarden.

Der Umsatz ist aber nur ein Indikator für den Erfolg des Systems. Er ist auch nicht entscheidend für die Zufriedenheit von WIR-Teilnehmern, sagt Solarunternehmer Langenegger: "Für mich bedeuten WIR vor allem neue Kontakte. Die einen sind bei Rotary, die anderen bei den Lions und die dritten sind 'WIRler'. Wir montieren Photovoltaik-Anlagen. Die meisten brauchen so eine nur ein Mal, weil sie nur ein Dach haben. Wir haben unter dem Strich einen WIR-Anteil von etwa zwei Prozent. Es geht für mich bei WIR vor allem um die Öffnung."

Unternehmerische Solidarität

Für Rolf Stalder, den Architekten aus Basel, geht auch der Netzwerkaspekt über den reinen Geschäftsvorteil hinaus. Er skizziert eine unternehmerische Solidarität in der Region und der gesamten Schweiz.

"Der Wille zur Unterstützung der lokalen Wirtschaft muss vorhanden sein. Auf der anderen Seite der Grenze kann man WIR ja nicht absetzen. Man muss den Ursprung anschauen: Die Wirtschaftsring-Genossenschaft entstand 1934 während der Wirtschaftskrise.

Man unterstützte einander. Der Maler hat beim Plattenleger zuhause gemalt, der Plattenleger half umgekehrt. Ich finde die gegenseitige Unterstützung in der Region wichtig.

Bei den grossen Internetshops weiss man ja nicht mehr, woher Produkte tatsächlich geliefert werden. Die globale Entwicklung birgt für ein Konzept wie WIR Risiken. Wenn das Netzwerk eine kritische Grösse unterschreiten würde, würde es zusammenklappen. Aber ich glaube, dass WIR Bestand hat."

Auch Kreative interessiert

Das Netzwerk ist am dichtesten in der Baubranche und in der Gastronomie. WIR-Teilnehmer finden sich aber in fast allen Sparten des klassischen Gewerbes.

Zudem beobachtet Stalder eine Erneuerung durch Unternehmen aus der Kreativwirtschaft: "In unserer WIR-Gruppe Nordwestschweiz – einem Verband für besonders aktive WIR-Teilnehmer – haben wir eine Zunahme von jungen Leuten. In der Vergangenheit war die Überalterung ein Problem. Früher war es der Zimmermann, der Quartierladen. Jetzt treten viele Werbeagenturen, Kommunikationsfirmen und Social-Media-Berater ein."

Amrhein, der Fahrzeugaufbereiter, richtete in Zusammenarbeit mit der WIR-Bank den ersten Webshop ein, in dem man 10% der Bezahlung in WIR entrichten kann. Er gehört dem traditionellen Gewerbe an, aber verschränkt sich nicht vor dem 21. Jahrhundert.

Amrhein ist ein WIR-Enthusiast, isst jeden Tag im Restaurant mit 100% WIR, nennt einen Wohnungskauf mit 100% als langfristiges Ziel – und: "Jetzt gehen wir immerhin noch eine Woche in den Urlaub – auch da zahlen wir mit WIR. Wir reisen zwar ins Ausland, aber unser Schweizer Reisebüro nimmt WIR."

Miteinander reden

Im letzten Jahr sind einige grosse Unternehmen aus der Komplementärwährung ausgetreten. Im November 2016 präsentierte die WIR-Bank einen neuen Vertrag. Alle WIR-Teilnehmer sollen in einer öffentlichen Liste erscheinen.

Trotz zahlreicher Kritik wurde der Verwaltungsrat der WIR-Bank an der Generalversammlung 2017 bestätigt. Die Bank wies für 2016 einen soliden Gewinn aus.

Bitcoins sind dezentral organisiert – und vor allem anonym. Basis für den WIR-Franken ist der persönliche Kontakt. In der Realwirtschaft gehört menschliches Versagen zum Alltag, dafür ist aber auch Vertrauen möglich.

Philippe Amrhein, Willy Langenegger und Rolf Stalder vertrauen auf die WIR-Bank und WIR. Solange das genug Leute tun, die auch miteinander sprechen, funktioniert das System.  © swissinfo.ch

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