Wer bezahlt schon gerne Steuern? In einem funktionierenden Staat sollte diese Frage gar nicht gestellt werden. Ohne solides Steuerwesen keine Demokratie. Und ohne Demokratie keine Steuertransparenz – wenigstens in der Theorie.

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"Steuern sind das Fundament der Demokratie", sagte kürzlich der britische Ökonom Tony Atkinson in einem Interview mit der Berner Tageszeitung "Der Bund" über sein Lieblingsthema: Ungleichheiten.

Die Idee ist ungefähr gleich alt wie das moderne Steuerwesen: 1748 schätzt Montesquieu in seinem Buch "Vom Geist der Gesetze", dass Steuern höher sein könnten, wenn die Leute freier sind, und je unfreier sie seien, umso niedriger müssten die Steuersätze sein.

Ein schönes Beispiel für die Beständigkeit des demokratischen Denkens, das allerdings in die gegenteilige Richtung des populären Zeitgeistes zielt. Zeuge dafür ist ein Witz, der kürzlich auf den sozialen Netzwerken zirkulierte und Ausdruck von Vorurteilen ist, die so alt sind, wie die Staatssteuer:

- Papa, was ist eine Steuererklärung?

- Das Gegenteil eines Schulzeugnisses: Je besser du gearbeitet hast, umso mehr wirst du dafür bestraft.

Globaler Erfolg eines simplen Gekritzels

Sind Steuern Fluch oder Segen? Im Zuge der liberalen Welle der späten 1980er-Jahre haben Steuern eher eine schlechte Presse. Im Trend liegen Steuersenkungen und Steuergeschenke, die auf der Lebensweisheit basieren: "Zu hohe Steuern töten die Steuern." Grafisch umgesetzt ist die Idee mit der berühmten Laffer-Kurve.

Die Geschichte beruht auf einer Episode von 1974. Im Rahmen eines Abendessens mit einem Journalisten und zwei Mitgliedern der republikanischen Partei (Donald Rumsfeld und Dick Cheney) in Washington kritzelt der Ökonom Arthur Laffer eine Kurve in der Form einer Parabel aufs Tischtuch, die bei Null beginnt, in Abhängigkeit von der Höhe der Steuerrate einen Höhepunkt erreicht und wieder sinkt.

"Laffer, der später Wirtschaftsberater von Reagan wird, hat diese Kurve erfunden, um seine Idee der Steuersenkung zu stützen", sagt Bernard Dafflon, Professor für öffentliche Finanzen an der Universität Freiburg, gegenüber swissinfo.ch.

"Die Kurve zeigt, dass man die Steuern bis zu einem gewissen Punkt erhöhen kann, solange die Leute bereit sind, für die Staatsleistungen zu bezahlen. Ab einem bestimmten Niveau senkt sich die Kurve, weil die Leute sagen 'zu viel ist zu viel'. Die Steuer wird konfiskatorisch, und man will sie nicht mehr bezahlen. Deshalb hört man auf zu arbeiten oder arbeitet schwarz."

Besteuern, aber nicht konfiszieren

Pascal Broulis, Finanzminister des Kantons Waadt, hat 2011 ein kleines Buch mit dem Titel "L'Impôt Heureux" (Die glückliche Steuer) publiziert. In seinen schriftlichen Antworten auf die Fragen von swissinfo.ch zur Laffer-Kurve meint er, es sei wichtig, dass die Steuer nie als konfiszierend wahrgenommen werde.

Gestützt auf seine Erfahrungen schätzt er, dass die Mehrwertsteuer nicht höher als 15%, die Einkommenssteuer zwischen 35 und 45%, die Erbschaftssteuer zwischen 5 und 10% und die Vermögenssteuer zwischen 0,5 und 1% sein sollte. Die Diversität des Steuerwesens mache die Stärke des Staates aus. Zahlreiche gemässigte und aufgeteilte Steuern seien besser als einzelne umfangreiche Steuern, die Umgehungsstrategien provozieren könnten.

Was den Zusammenhang zwischen Steuerwesen und Demokratie betrifft, bringt der Politiker der Freisinnigen Partei eine Studie von André Barilari und Thomas Brand zur Sprache. Die beiden französischen Ökonomen weisen eine klare Korrelation zwischen dem Demokratisierungsgrad und einerseits dem Index für menschliche Entwicklung und andererseits dem Gewicht des Steuerwesens nach.

Pauschal kann man sagen, dass arme Diktaturen nur wenig, reiche Demokratien hingegen umfangreiche Steuern erheben. Die beiden Ökonomen seien auch zum Schluss gekommen, sagt Broulis, dass es Grenzen gebe. "Ab einer Höhe von 33% des BIP entspricht eine Steuererhöhung nicht mehr oder höchstens noch marginal demokratischen Fortschritten."

Für Bernard Dafflon ist das Schlüsselwort weniger "die Demokratie" als "die Transparenz": "Wenn Sie ein Budgetsystem haben, bei dem die Steuerzahler direkt sehen, wohin ihr Steuergeld fliesst – und die Schweiz ist diesbezüglich ein gutes Beispiel –, können Sie den Zusammenhang zwischen Leistung und Kosten herstellen und sind eher bereit zu bezahlen." Anders gesagt, schliesst der Professor: "ich kann mit der Laffer-Kurve nichts anfangen".

Moralisch oder amoralisch

Wenn der Staat seine Aufgaben korrekt und transparent verrichtet, sind die Bürgerinnen und Bürger glücklich, Steuern zu bezahlen. Diese These stützt auch Pascal Broulis in seinem Buch. Obwohl sie meistens für Privatpersonen verwendet wird, gilt sie gleichermassen für Unternehmen, deren Steuer-Akrobatik regelmässig in den Medien zur Sprache kommt.

"Ich glaube, dass sie die Notwendigkeit, ihre Steuern zu bezahlen, nachvollziehen können", schreibt der Waadtländer Schatzmeister. "Für ihre Prosperität sind sie auf effiziente Verwaltungen, funktionierendes Transportwesen, Sicherheit, gut ausgebildete Arbeitskräfte usw. angewiesen."

"Deshalb sind sie interessiert an einem Staat, der seine Aufgaben so gut wie möglich wahrnimmt", sagt Broulis, "an einem Staat, der seinerseits nicht vergisst, dass sich der Beitrag eines Unternehmens zur wirtschaftlichen Dynamik nicht auf die Steuern beschränkt, die diese bezahlt, sondern auch Investitionen, Schaffung von Arbeitsplätzen usw. dazu gehören".

Diesem Kredo kann Bernard Dafflon in Bezug auf KMU (kleine und mittlere Unternehmen) zustimmen, die das Rückgrat der Schweizer Wirtschaft ausmachen. "Hier gibt es eine Art Symbiose zwischen der Steuermoral der Kader oder des Patrons als individuelle Steuerzahler sowie als Steuerzahler des Unternehmens", sagt der Professor.

Multinationale Unternehmen hingegen bezeichnet er als "per Definition amoralisch" bezüglich der Steuerpflicht. "Apple, Google, Novartis usw. haben Spezialisten, deren Hauptaufgaben darin bestehen, die Steueraufwendungen zu minimieren. Sobald der Standort bestimmt ist, sind sie es, welche die Steuern diktieren, die sie zu zahlen bereit sind, und nicht umgekehrt."

(Übertragung aus dem Französischen: Peter Siegenthaler)

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