Der Schuldenstreit zwischen Griechenland und den internationalen Geldgebern nimmt kein Ende. Die Fronten sind verhärtet, der Geduldsfaden wird immer dünner. Trotzdem spielen beide Seiten auf Zeit. Es ist ein gefährliches Pokerspiel, das verheerende Folgen haben könnte.

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An einen Durchbruch bis zum Ende dieses Monats glaubt in diesem Moment offenbar nur einer: Alexis Tsipras verkündete, er erwarte bis zum 30. April eine Einigung im Schuldenstreit mit den europäischen Geldgebern. An diesem Wochenende werden die Gespräche zwischen den griechischen Unterhändlern und der einstigen Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) zwar wieder aufgenommen. Und Griechenland verspricht konkrete und nachprüfbare Reformvorschläge. Doch schon vor dem nächsten Treffen der Finanzminister in Riga am 24. April sind die Erwartungen gedämpft: "Niemand erwartet, dass es eine Lösung geben wird", sagte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble bereits gestern. Dennoch wird weiter verhandelt.

Einer der Geldgeber, der IWF, hat bereits die Geduld verloren. Zwar dementierte Finanzminister Gianis Varoufakis, er habe IWF-Chefin Christine Lagarde um Aufschub für die Rückzahlung der im Mai und Juni ausstehenden Tranchen über 1,5 Milliarden Euro gebeten. Doch Lagarde erteilte Varoufakis sogar öffentlich eine Abfuhr: "Noch nie hat uns eine entwickelte Volkswirtschaft um Zahlungsaufschub gebeten." Dennoch machte der griechische Kassenwart bei seinem Besuch in Washington erneut deutlich, dass er nicht pauschal allen Reformen zustimmen könne, die sowohl der IWF als auch die europäischen Geldgeber fordern. "Wir werden Kompromisse eingehen, um zu einer schnellen Lösung zu kommen", versprach Varoufakis. "Aber wir werden uns nicht kompromittieren lassen. Dafür sind wir nicht gewählt worden", betonte er.

"Griechenland spielt ein gefährliches Spiel"

Dabei wird die finanzielle Situation des Landes mit jedem Tag gravierender. Trotzdem pokert Athen weiter: "Griechenland spielt ein gefährliches Spiel", sagt Pawel Tokarski von der Stiftung für Wissenschaft für Politik, - ein "Feiglingsspiel": Wer zuerst nachgibt, hat verloren. "Das Risiko ist gross, dass dieses Spiel ausser Kontrolle gerät", warnt der Experte, "und dass Griechenland nicht mehr gerettet werden kann". Denn die Fronten scheinen verhärtet. Einerseits haben sowohl der IWF als auch die europäischen Geldgeber, also die Länder der Eurozone sowie die EZB, deutlich gemacht, dass es kein weiteres Geld ohne Reformen geben werde: "Die EU wird keine bedingungslose finanzielle Hilfe gewähren", stellt Tokarski klar. Griechenland muss seine Wirtschaft, die seit der Krise um ein Viertel geschrumpft ist, wieder wettbewerbsfähig machen. Ohne Modernisierung sei "Griechenland ein Fass ohne Boden. Und man kann nicht Hunderte Milliarden in ein Fass ohne Boden stecken", umschrieb es Bundesfinanzminister Schäuble kürzlich.

Wie also geht es im Schuldenstreit mit Athen weiter? "Der wichtigste Faktor bei dieser Frage wird sein, wie lange Griechenland die ausstehenden Tranchen fristgerecht bedienen kann", erklärt Politikwissenschaftler Tokarski. Eine Frage, die niemand so genau beantworten kann, weil die griechische Regierung ihre Finanzen wie einen Schatz hütet. Aus Hellas werden die Medien zwar regelmässig mit "dramatischen Signalen" gefüttert und glauben gemacht, das Land stehe am "finanziellen Abgrund". Tatsächlich halten internationale Finanzexperten genau das für eine Farce. "Es gibt einige, die davon überzeugt sind, dass Griechenland noch immer über Möglichkeiten verfügt, sich finanziell über Wasser zu halten", erläutert Tokarski. Auch er ist sich sicher: "Die Situation ist nicht so dramatisch, wie sie von der griechischen Regierung dargestellt wird."

Dennoch sorge die Ungewissheit bei den Verhandlungen für eine Pattsituation. Denn während die europäischen Geldgeber darauf warten, dass Griechenlands finanzielle Not die Regierung zurück an den Verhandlungstisch zwingt, versucht man dort genau damit umgekehrten Druck auszuüben. Tatsächlich wären die Folgen einer hellenischen Zahlungskrise auch für die Eurozone verheerend. "Das Vertrauen in die Gemeinschaftswährung würde erheblichen Schaden nehmen, der europäische Integrationsprozess würde in Frage gestellt", führt Tokarski an.

Möglichkeiten für eine Lösung schwinden

Unterdessen schwinden die Möglichkeiten für eine Lösung in letzter Minute mit jedem weiteren Tag. "Das ist keine Sache, die mit einer politischen Verständigung in letzter Minute erledigt werden kann", warnte nun auch IWF-Chefin Lagarde. Sie fordert, dass die Unterhändler an diesem Wochenende an einem Kompromiss arbeiten.

Die wirtschaftliche Situation hat sich in den vergangenen Wochen dramatisch verschlechtert. Waren die Prognosen noch vor einem Jahr erstmals wieder positiv – mit Chancen, dass Griechenland an den Finanzmarkt zurückkehren könnte – so ist dieser erste Erfolg inzwischen durch den radikalen Reformstopp der Syriza-Partei zunichtegemacht worden, schreibt etwa der Politikwissenschaftler Ognian Hishow von der Stiftung für Wissenschaft und Politik. Er warnt: Griechenlands Situation sei "keine vorrübergehende Wirtschaftskrise, sondern ein Dauerzustand", der ohne massive Einschnitte und einer radikalen Modernisierung der Industrie kaum zu beheben sei.

Mit Steuererhöhungen, Privatisierungen und Rückzahlungen von Steuersündern sowie einer Rentenreform, die das Eintrittsalter auf 67 erhöhen soll, erhofft sich Athen Einkommen in Höhe von knapp neun Milliarden Euro. Notwendig wären aber vor allem Reformen für effizientere Staatsverwaltung und Unternehmensregeln. Die Öffentlichkeit könnte der populäre Tsipras wohl von kostensparenden Reformen überzeugen, meint der angesehene griechische Finanzkommentator Gianis Palaiologos. Bei seiner eigenen Partei, einem Bündnis aus linken Splitterparteien, die zum Teil für einen Austritt aus der Eurozone sind, dürfte das deutlich schwieriger werden.

Einen anderen Weg aber gebe es für Hellas nicht, betont Politikwissenschaftler Tokarski. "Griechenland hat keine anderen Optionen mehr. Niemand ist bereit, dieses Risiko aufzunehmen." Die Entscheidung liegt bei Alexis Tsipras. Das tut sie schon seit Monaten.

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