Deutschsprachige Länder diskutieren die Vier-Tage-Woche, Griechenland geht einen anderen Weg: Wegen des Fachkräftemangels können Festangestellte dort künftig für ordentlich mehr Geld einen Tag zusätzlich arbeiten.

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Startschuss 1. Juli: Arbeitgeber in Griechenland können ihren Angestellten den Vorschlag unterbreiten, sechs anstatt bisher fünf Tage die Woche zu arbeiten. Das Angebot könnte sich für die Beschäftigten lohnen: Für den sechsten Arbeitstag erhalten sie qua Gesetz einen Aufschlag von 40 Prozent mehr Gehalt, handelt es sich dabei um Sonn- und Feiertage, gibt es sogar 115 Prozent zusätzlich. Damit könnten die Griechen künftig mehr arbeiten als ohnehin schon: Innerhalb der EU verzeichnen sie die meisten Wochenarbeitsstunden.

Gewerkschaften kritisieren das Gesetz trotz der geplanten Zusatzzahlungen als Ausbeutung, doch Arbeitsminister Adonis Georgiadis lässt sich nicht beirren: "Da vor allem in der Industrie ein grosser Mangel an Arbeitskräften herrscht, werden Überstunden geleistet und die werden oft schwarz gezahlt", argumentierte er bei der Debatte zum Gesetz im Parlament. Mit der neuen Regelung hingegen erhielte jeder das Recht auf extra bezahlten Sondereinsatz und Schwarzarbeit werde der Riegel vorgeschoben.

Fachkräftemangel in Griechenland durch schwere Finanzkrise

Der Fachkräftemangel in Griechenland ist vor allem auf die schwere Finanzkrise des Landes von 2010 bis 2018 zurückzuführen. Damals stand das Land kurz vor der Pleite und Hunderttausende gut ausgebildete junge Leute wanderten ab, um ihr Glück im Ausland zu suchen. Von diesem Brain-Drain hat sich Griechenland bis heute nicht erholt, auch wenn es mit der Wirtschaft aufwärts geht.

Der Mangel an Arbeitskräften trotz einer Arbeitslosenquote von aktuell rund 11 Prozent betrifft nicht nur Industriebetriebe und den IT-Sektor, sondern vor allem auch die Landwirtschaft und den Tourismus. Dort aber strebt die konservative griechische Regierung unter Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis andere Lösungen an. So wird versucht, Saisonkräfte für die Ernte sowie als Service- und Reinigungskräfte Menschen aus Ägypten, Indien und anderen Schwellenländern zu akquirieren.

Das neue Gesetz zur Sechs-Tage-Woche hingegen zielt auf Unternehmen ab, die zwölf oder auch 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche den Betrieb aufrechterhalten müssen etwa Industriebetriebe, aber auch Telekommunikationsunternehmen und andere Dienstleister. Auch der öffentliche Sektor und Staatsunternehmen gehören zur Zielgruppe.

Griechen mit den meisten Wochenarbeitsstunden in Europa

Die Mär von den arbeitsfaulen Griechen, wie sie während der Finanzkrise von zahlreichen internationalen, vor allem auch deutschen Medien kolportiert wurde, wird dadurch einmal mehr widerlegt. Laut Statistikbehörde Eurostat führen die Griechen mit 39,8 Stunden die europäische Rangliste der Wochenarbeitsstunden an. Für Deutschland verzeichnet die Auflistung im Schnitt 34 Wochenstunden. Über Gebühr sollen jedoch auch die Griechen nicht arbeiten, wie das neue Gesetz aus Athen festlegt: 48 Stunden pro Woche sind demnach das Maximum.

CSU-Chef Markus Söder stellte das griechische Konzept zuletzt auch für Deutschland zur Diskussion. "In Griechenland gibt es jetzt zum Beispiel eine Sechs-Tage-Woche, bei uns wird über eine Vier-Tage-Woche diskutiert. So werden wir den Rückstand nicht aufholen", sagte er gegenüber der "Bild"-Zeitung. Er forderte von den Deutschen mehr Fleiss. "Wir müssen wieder mehr arbeiten, aber mehr Arbeit muss sich dann auch lohnen."

Anders beurteilt man das Modell einer Sechs-Tage-Woche für Deutschland beim Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. "Mit einer Verlängerung der Arbeitszeit würden sich Arbeitgeber einen Bärendienst erweisen", erklärt die WSI-Arbeitszeitexpertin Yvonne Lott auf Anfrage unserer Redaktion.

"Statt längerer Arbeitszeiten sind Flexibilität und mehr Arbeitszeitautonomie ein erfolgversprechender Weg", sagt die Expertin. Damit könnten Menschen aus der sogenannten "stillen Reserve wieder in den Arbeitsmarkt" gebracht werden. Damit wird der Teil der Bevölkerung bezeichnet, der aktuell nicht arbeitet, aber es gern möchte. Nach Angaben von Lott betrifft das in Deutschland derzeit rund 3,2 Millionen Menschen.

"Mehrheitlich sind dies Frauen – und ein wichtiger Grund für die Inaktivität ist, dass sie Betreuungspflichten nicht mit einem Job unter einen Hut bringen können", erläutert die Expertin. Neue, familiengerechte Arbeitszeitmodelle seien deshalb eher "der Schlüssel zum Erfolg". (dpa/tas/thp)

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