Die neue griechische Regierung hat in den letzten Wochen die Europäische Union auf Trab gehalten - mit knallharten Forderungen und hemdsärmeligem Auftreten. Steckt dahinter einfach nur ein grosser Bluff, der die Verhandlungsposition Athens stärken soll? Eher nicht, meint der Griechenland-Kenner Christos Katsioulis. Er vermutet eher politische Fehler hinter dem Auftreten von Ministerpräsident Alexis Tsipras und Finanzminister Gianis Varoufakis.

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Die "Crunch Time" bricht an für Griechenland und die Eurozone - so drückte es der britische Finanzminister George Osborne heute aus. Es geht also ans Eingemachte in den nächsten Tagen. Die Zeit für Entscheidungen ist gekommen. Gestern Nacht endeten Verhandlungen zwischen dem griechischen Finanzminister Gianis Varoufakis und Vertretern der Eurogruppe ohne Ergebnis. Athen weigert sich, von seinen Forderungen abzurücken: Schuldenschnitt, Ende der Privatisierungspolitik, mehr Sozialleistungen. Der nächtliche Abbruch der Gespräche passt zur bisherigen Taktik der neuen Regierung, die auf eine klare Konfrontation mit der EU setzt.

Nur: Wenn Varoufakis und Ministerpräsident Alexis Tsipras keine Einigung mit Brüssel erreichen, steht Griechenland vor dem finanziellen Kollaps. Schon jetzt ziehen die Griechen aus Angst ihr Geld von ihren Bankkonten ab, laut der Nachrichtenagentur Reuters zwischen 300 und 500 Millionen Euro pro Tag. Athen scheint ein schlechtes Blatt in der Hand zu halten - und doch hoch zu pokern. Schon kommen Spekulationen auf: Tsipras und seine Syriza-Regierung fahren den Konfrontationskurs nur, um einen ganz grossen Plan umzusetzen. Die harte Linie gegen Brüssel, die Reparationsforderungen gegen Deutschland, die Hemdsärmeligkeit in den Verhandlungen: Alles nur Inszenierung also?

Das alte Thema Zwangsanleihe

Um das zu beantworten, müsste man erst einmal wissen, wie der Plan der Syriza-Regierung genau aussieht. Das aber können nicht einmal ausgewiesene Experten der griechischen Politik. "Die Situation ist so undurchschaubar, ich könnte da nur Vermutungen anstellen, und das möchte ich nicht", sagt Christos Katsioulis. Er leitet das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Athen. Von der These eines grossen Bluffs hält er wenig. Schaut man sich die vieldiskutierten Vorstösse von Syriza an, scheinen sie alle begründet - nur lässt sich darüber streiten, ob sie auch sinnvoll sind.

Für grosses Aufsehen sorgte die Forderung an Deutschland, einen aufgezwungenen Kriegskredit aus dem Jahr 1942 abzugelten. Elf Milliarden Euro verlangt Athen als Wiedergutmachung. Kein neues Thema, sagt Katsioulis. "Jede griechische Regierung seit dem 2. Weltkrieg hat diese Linie vertreten - nur eben nicht so laut und öffentlichkeitswirksam." Alexis Tsipras hatte die Forderung in seiner Regierungserklärung aufgegriffen, für Katsioulis ein Hinweis darauf, dass es sich nicht um ein rein taktisches Manöver gegenüber der deutschen Regierung handelt. Stattdessen nehme Tsipras damit einen Standpunkt auf, den ein grosser Teil der Bevölkerung vertritt - und das mit einigem Recht. "Eine rein juristische Antwort darauf wird aus meiner Sicht nicht ausreichen", sagt Katsioulis.

Grosse Worte, schwache Argumente

Nicht nur inhaltlich, auch im Stil setzt Syriza auf eine Alternative: Schon allein das Aussehen von Tsipras und Finanzminister Varoufakis war vielen Zeitungen eigene Artikel wert. Ohne Krawatte gingen die Vertreter der neuen Regierung in die Verhandlungen mit den Anzugträgern aus Brüssel. Ein Zeichen? Für Christos Katsioulis eher eine Nichtigkeit. Er hält Tsipras und Varoufakis ohne Krawatte schlicht für authentisch. Auch wenn der Habitus vielleicht rebellisch wirken soll, einen skandalösen Bruch mit den diplomatischen Gepflogenheiten bedeute ein krawattenloser Finanzminister im 21. Jahrhundert ohnehin nicht. "Daran stört sich niemand mehr."

Wohl aber am Verhandlungsstil. Nicht nur in Griechenland kursieren Berichte darüber, dass die griechische Regierung ihre Argumente nicht so mit Daten und Fakten unterfüttert, wie man das von EU-Seite erwartet und gewöhnt ist. Auch das muss aber nicht unbedingt gewollt sein, gibt Katsioulis zu bedenken. "Das ist vielleicht auch der Kürze der Zeit geschuldet, in der sich die Regierung einarbeiten musste."

Athen bewegt sich nicht

Ihre Position zur Europäischen Union hat sich die Partei allerdings schon lange vor ihrer Regierungsübernahme erarbeitet - und sie nicht verändert. Das ist es, was vielen europäischen Spitzenpolitikern sauer aufstösst. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hatte erst vor einigen Tagen gesagt, er sei nicht der einzige, dem nicht klar sei, was die neue Links-Rechts-Regierung in Athen eigentlich wolle. "Die griechische Regierung hat sich offenbar gar nicht bewegt." Und das, obwohl die EU sich in den letzten Monaten durchaus beweglich gezeigt hatte. Der Wachstums- und Stabilitätspakt wurde gelockert, die Europäische Zentralbank wird wohl bald mit dem Ankauf von Staatsanleihen beginnen. "Es herrscht Unverständnis darüber, dass Syriza die erweiterten Möglichkeiten nicht nutzt", sagt Griechenland-Experte Katsioulis.

Stattdessen habe sich Syriza zu lange auf den Schuldenschnitt konzentriert. "Die Schulden sind einfach für die Öffentlichkeit der sichtbarste Ausdruck der griechischen Probleme", erklärt Katsioulis. "Der Schuldenschnitt ist schon lange eine fixe Idee der Athener Politik, und auch Syriza hat sich darauf eingeschossen." Es koste wertvolle Zeit, den Fokus umzustellen. "Die Zeit haben wir nicht mehr." Bis Freitag will die Eurozone eine Einigung mit Griechenland erzielen, es klingt wie ein Ultimatum. Gelingt das nicht, droht sogar der Grexit, der Austritt Griechenlands aus der Eurozone. Zumindest im Wahlkampf hatte Tsipras allerdings betont, dass er den Euro behalten wolle. "Der Grexit ist keine Option für die Regierung", sagt auch Katsioulis. "Aber nun ist er eine Gefahr, die lauert." Wenn Europa in den letzten Wochen also eine grosse Inszenierung beobachtete - dann wird es Zeit für Alexis Tsipras, den Plan dahinter zu enthüllen.

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