Am Morgen noch erhielt er Milliarden von der EU, knapp 11 Stunden später kündigte er seinen Rücktritt an. Der griechische Premier Alexis Tsipras hat gestern Abend sein Amt niedergelegt. Was führt der Taktiker nun wieder im Schilde?

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Seine Amtszeit dauerte gerade einmal sieben Monate, gestern Abend um 19:35 Uhr deutscher Zeit erklärte sich Griechenlands Ministerpräsident Alexis Tsipras in einer live im TV übertragenen Ansprache zu seinem Rücktritt. Doch der ehemalige Ministerpräsident wirft nicht etwa das Handtuch, weil er nicht mehr regieren will.

Was führt Tsipras im Schilde?

Tsipras will Regierungschef bleiben – oder zumindest wieder werden. Sein Ziel sind Neuwahlen, mit denen er sich erneut in diese Position wählen lässt. Zwar nannte Tsipras gestern Abend noch keinen konkreten Termin, doch deutet in Athen alles auf den 20. September 2015 hin.

Was bringen ihm die Neuwahlen?

Nicht nur ausserhalb der Koalition hat Tsipras Kritiker. Auch innerhalb der eigenen Reihen kann er sich auf eine mehrheitliche Unterstützung seiner Pläne nicht mehr verlassen. So konnte das letzte Hilfsprogramm beispielsweise nur mit Stimmen der Oppositionsparteien abgesegnet werden. 44 Abweichler aus dem linken Flügel von Syriza zählte Tsipras – und die will er mit diesen Neuwahlen loswerden.

Wie reagieren die linken Kritiker?

Bereits am Morgen nach dem Rücktritt spalteten sich 25 Abgeordnete des linken Flügels von Syriza ab und gründeten eine eigene Fraktion mit dem Namen "Volksgruppe" (LAE). Panagiotis Lafazanis wird der Chef der neuen Parlamentsgruppe sein. Zudem bereiten sie die Gründung einer neuen Partei vor. Durch den schnellen Entscheid Tsipras' bleibt ihnen allerdings nur wenig Zeit, um sich für die Neuwahlen aufzustellen.

Kann es sein, dass sich Tsipras verspekuliert?

Der ehemalige Ministerpräsident ist in seinem Land sehr beliebt – gerade aufgrund seiner harten Haltung gegen die Sparauflagen. Diese Popularität könnte aber künftig leiden, wenn die Folgen des Sparkurses und der Steuererhöhungen spürbar werden. Immerhin hat Tsipras sein zentrales Wahlversprechen, kein weiteres Sparprogramm der Europäer zu akzeptieren, gebrochen. Mehrere Minister hatten sich deshalb gestern schon für rasche Neuwahlen ausgesprochen. Umfragen zufolge könnte Syriza bei einer Neuwahl momentan auf knapp 34 Prozent der Stimmen hoffen – und wäre damit wieder mit Abstand stärkste Kraft. Das war allerdings bevor sich über 20 Abgeordnete von Syriza abgespaltet und eine eigene Fraktion gebildet haben.

Auf welchen Koalitionspartner wird Tsipras setzen?

Unwahrscheinlich ist, dass Tsipras abermals eine Koalition mit der rechtspopulistischen Anel-Partei eingeht. Eher käme wohl momentan die Reformpartei To Potami in Frage.

Bekommt Athen jetzt trotzdem weiter Geld?

Ja! Erst gestern hatte Athen eine Überweisung von 13 Milliarden Euro bekommen. Mit denen hatte es eine fällige Schuldenrate bei der EZB in Höhe von 3,4 Milliarden Euro bezahlt. Und: Erst am Mittwochabend hatten die Euroländer die erste Tranche für das neue Hilfspaket freigegeben. Damit soll Griechenland im Gegenzug für zahlreiche Reformen bis zu 86 Milliarden Euro an Finanzmitteln erhalten.

Was bedeuten die Neuwahlen für die angestrebten Reformen?

Die EU-Länder hatten ohnehin stets bezweifelt, dass die bestehende Regierung die strengen Auflagen umsetzen würde. Und selbst Tsipras, der kein Mandat dazu hatte, bezweifelte dies. Die Wahlen hatte er schliesslich lediglich mit dem Versprechen gewonnen, das vorherige Rettungsprogramm zu beenden. Damit bieten Neuwahlen immerhin eine kleine Chance auf eine neue reformorientierte Regierung.

Wie reagierten Deutsche Politiker?

Sie fürchten, ebenso wie weitere EU-Politiker, dass Tsipras nach den Neuwahlen seinen politischen Kurs ändern könne. "Auch eine neue Regierung muss sich an die Vereinbarungen, an die zugesagten Reformen halten – andernfalls werden die Kredite nicht ausbezahlt", mahnte die Chefin der CSU-Abgeordneten im Bundestag, Gerda Hasselfeldt. Besonders pessimistisch äusserte sich FDP-Chef Christian Lindner: "Wer weiss, ob sich eine nächste Regierung in Athen an die Zusagen der alten erinnert. Wenn Europa dennoch Geld überweist, ist die Währungsunion in der Liga des politischen Glücksspiels angekommen."

Was passiert nun bis Ende September?

Laut Verfassung übernimmt nun zunächst eine Übergangsregierung die Amtsgeschäfte. Sie setzt sich aus Griechenlands höchsten Richtern zusammen.

Und was kosten die Neuwahlen überhaupt?

Ganze 60 Millionen Euro! Angesichts von Bargeldreserven in Höhe von weniger als 100 Millionen Euro ein stolzer Betrag für das krisengeschüttelte Land.

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