Die Griechen verbrennen "unser" Geld. Diesen Vorwurf hört man seit Beginn der Krise oft. Dabei profitiert Deutschland wie kaum ein anderes Land von der aktuellen Situation.
Während in Griechenland Banken geschlossen bleiben und das Parlament über neue Sparmassnahmen abstimmt, verkündet die deutsche Industrie frohe Botschaften. Der Konjunkturindex steige wieder, hiess es im Juli beim Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik. "Griechenland lässt die deutsche Wirtschaft kalt", kommentierte der Chefvolkswirt der DekaBank am Rande der Veröffentlichung der Daten. Viele deutsche Unternehmen betrachten das Geschehen wohl sogar eher mit insgeheimer Freude. Ihnen spielt die derzeitige wirtschaftliche Lage in Europa in die Karten.
Der schwache Euro
Durch die Unsicherheit über die Zukunft der Gemeinschaftswährung und die Krisen-Politik der Europäischen Zentralbank (EZB) hat der Euro seit Beginn der Krise deutlich an Wert verloren. Vor einem Jahr bekam man für einen Euro noch 1,35 Dollar, heute nur noch knapp 1,10 Dollar, Tendenz sinkend.
Was USA-Urlauber ärgert, freut die exportorientierte deutsche Wirtschaft. Rund zwei Drittel der Ausfuhren gehen in Länder ausserhalb der Eurozone. Diese Exporte sind nun günstiger und damit attraktiver für die Abnehmer. "Die preisliche Wettbewerbsfähigkeit deutscher Exporte hat zugenommen", sagt Henning Vöpel, Direktor des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts (HWWI). "Davon profitieren deutsche Unternehmen."
Besonders exportstarke Branchen wie der Maschinenbau und die Medizintechnik können auf steigenden Absatz hoffen. Laut Analysten profitieren ausserdem international bekannte Konzerne wie Bayer, BASF und Siemens sowie Unternehmen, die auf dem Weltmarkt mit amerikanischen und Schweizer Firmen konkurrieren. Das wären beispielsweise Airbus und die deutschen Autobauer.
Die Lage beim Chemiekonzerns BASF lässt die Vorteile erahnen: "Eine ganzjährige Aufwertung des Dollar um einen Cent gegenüber dem Euro steigert bei sonst gleichen Bedingungen das Ergebnis der BASF um etwa 50 Millionen Euro", sagte ein Sprecher dem Magazin "Wirtschaftswoche".
Anstehende Privatisierungen
In Griechenland steht auf Druck der Gläubiger ein grosser Ausverkauf an Staatseigentum an. Käufer werden unter anderem für Inseln, Häfen, Flughäfen, Ländereien, Stadien und Hotels gesucht. "Hier bietet sich für ausländische Investoren die Möglichkeit, relativ günstig Anlagen und öffentliche Unternehmen zu übernehmen", sagt der Wirtschaftsexperte Vöpel. Allerdings bleibe die Unsicherheit, wie es mit Griechenland weitergeht.
Die deutsche Fraport AG, die den Frankfurter Flughafen betreibt, hatte bereits im vergangenen Jahr den Bieterwettbewerb um 14 griechische Flughäfen gewonnen. Für 1,23 Milliarden Euro erstand sie eine Reihe gut laufender Airports in touristischen Regionen wie Kreta, Korfu und Rhodos.
Am jetzigen Ausverkauf sind laut Vöpel zwar auch Investoren wie Staatsfonds aus China und dem Nahen Osten interessiert. Doch die deutschen Unternehmen hätten gute Chancen, zum Zug zu kommen, weil Griechenland auch am Transfer von Management und Knowhow interessiert sei.
Der Aktienboom
Der deutsche Aktienindex entwickelt sich mit kurzen Unterbrechungen derzeit vor allem in eine Richtung: nach oben. Das stärkt die börsennotierten deutschen Unternehmen. Weil die EZB im Zuge der Krise die Zinsen niedrig hält, sind alternative Geldanlagen rar. "Investoren und Banken fragen sich, wohin mit dem Geld. Die Aktien deutscher Unternehmen gelten als sichere Häfen", sagt Vöpel.
Genaue Zahlen, wie stark die deutschen Unternehmen von der Krise profitieren, gibt es nicht. "Die Rettungsmassnahmen führen zu vielen komplexen Umverteilungseffekten, die nicht immer beabsichtigt oder klar identifizierbar sind", sagt Vöpel. Eins sei jedoch klar: "Der grösste Profiteur der Krise ist der deutsche Staat."
Die öffentlichen Haushalte können sich durch die niedrigen Zinsen derzeit sehr günstig refinanzieren. Das heisst: Alte Schulden werden abbezahlt, indem neue aufgenommen werden – allerdings zu deutlich günstigeren Konditionen. Das sei eine grosse Entlastung, so Vöpel.
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