Am Sonntag wählen die Griechen ein neues Parlament. Wichtigstes Thema im Wahlkampf: die Wirtschaft - auch zehn Jahre nach Beginn der Schuldenkrise. Wir machen den Check: Wie geht es Griechenland heute und wie könnte es nach der Wahl weitergehen?
Griechenland wählt am Sonntag ein neues Parlament. Eine Wahlschlappe für die bis dato regierende sozialistische Syriza unter Alexis Tsipras gilt bereits als ausgemacht.
Uneinig im Rennen sind sich die Kandidaten darüber, wie erfolgreich die Reformen der vergangenen Jahre waren – im krisengebeutelten Griechenland auch mehr als zehn Jahre nach Beginn der Depression ein wahlkampfbestimmendes Thema.
Während Tsipras im Kampf um den Machterhalt die angestossenen Reformen lobt, zählt der wirtschaftsliberale Chef der Nea Dimokratia (ND), Kyriakos Mitsotakis, auf, was sich in Sachen Wirtschaftspolitik dringend ändern muss. Wir machen den Check: wie geht es den Griechen?
Vitalwerte des griechischen Patienten
Zunächst ein Blick auf die Vital-Werte des griechischen Patienten: Laut Daten der Weltbank wächst die griechische Wirtschaft nach acht Jahren der Rezession seit 2017 wieder.
Inzwischen liegt das BIP je Einwohner wieder bei 17.219 Euro (2018), zwei Jahre zuvor waren es noch 16.378 Euro (2016). Kein Vergleich aber zu Vor-Krisen-Zeiten: 2010 lag es bei 20.324 Euro, vor der Beginn der Krise war die griechische Wirtschaft auch hinsichtlich ihres gesamten Bruttoinlandproduktes rund fünfmal so stark.
Ausserdem mussten die Schätzungen nach unten korrigiert werden. Während die hellenische Wirtschaft im vergangenen Jahr um 1,9 Prozent zulegte, gingen Schätzungen zuvor mit 2,5 Prozent von einer schnelleren Genesung aus. Heisst: Wachstum, ja – aber schwächer als erwartet. Das wirft Griechenland auch im internationalen Vergleich zurück.
Hier könnte man in einem anderen Bild sagen: Der griechische Schüler hat sich zwar verbessert und knapp die Versetzung geschafft - seinen Klassenkameraden hinkt er aber noch deutlich hinterher.
Griechenland: Höchste Staatsverschuldung in der EU
Im Doing-Business Ranking der Weltbank, welches Geschäftsfreundlichkeit und Unternehmensregulierung anhand von mehr als 200 Kriterien untersucht, landet Griechenland aktuell auf Platz 72 (Deutschland Platz 24). Ein kontinuierlicher Abstieg innerhalb der letzten Jahre - lag das Land 2015 noch auf Platz 61.
Der Global Competitiveness Index des World Economic Forum stellt ein ähnliches Zeugnis über Griechenlands Wettbewerbsfähigkeit aus: Platz 81 - hinter Rumänien, Ruanda und Bulgarien.
In Sachen Arbeitslosigkeit kann die gesunkene Zahl ebenfalls nicht über das marode Gebälk hinwegtäuschen. Zwar haben sich die Reformen als fruchtbar erwiesen, der griechische Premier konnte die Arbeitslosenquote inzwischen auf unter 20 Prozent drücken, während sie auf dem Höhepunkt der Krise im Juli 2013 bei 27,9 Prozent lag. Das bedeutet aber noch immer einer der höchsten Werte in der gesamten EU
Vor allem unter den jungen Leuten ist die Arbeitslosigkeit sehr hoch, sie verlassen daher vermehrt das Land. Zur hohen Arbeitslosigkeit kommt eine gefährliche Kombination: Die Staatsverschuldung liegt aktuell bei knapp 181 Prozent des BIP – ein trauriger Spitzenwert in der EU.
Langer Weg der Genesung bei Griechenland
Hinzukommt eine von Klientelismus geprägte Kultur. Der Weg der Genesung scheint also noch lang. Fragt sich: Wo liegen noch Probleme und wie löst man sie? Die politischen Kontrahenten Tsipras und Mitsotakis meinen jedenfalls, die Rezepte gefunden zu haben.
Tsipras, seit 2015 Ministerpräsident, will an den Reformen in ihrer jetzigen Form festhalten. Einige Erfolge hat er auch tatsächlich vorzuweisen – in Teilen ist die Sanierung gelungen: Im August 2018 konnte das Land aus dem Rettungspaket aussteigen, Tsipras führte mit 200 Euro pro Person und Monat erstmals eine soziale Mindestsicherung für die Ärmsten ein. Die ausländischen Direktinvestitionen und die Aussenhandelsquote sind wieder gestiegen, die Inflationsrate gesunken.
Im Interview mit der "Welt" lobt Chefökonom Holger Schmiedig von der Berenberg Bank in London: "Betrachtet man den Zeitraum von 2013 bis 2018, so hat kaum ein anderes Land einen solchen Anpassungsprozess durchlaufen wie Griechenland."
Um sich die Gunst der Wähler zu sichern, machte Tsipras zuletzt immer wieder umfangreiche Wahlgeschenke: Mit einer Strafrechtsänderung könnten in den nächsten Tagen hunderte Häftlinge freikommen, zuvor gab es Steuersenkungen, Rentenzulagen und billigeren Strom. Jüngst sorgte er mit der aufgewärmten Forderung, Deutschland solle für die Besatzungszeit von 1941 bis 1944 Reparationszahlungen in Milliardenhöhe leisten, für Aufsehen.
Griechen ächzen unter hoher Abgabenlast
Investoren hoffen dennoch auf einen Regierungswechsel und damit auf eine wirtschaftsfreundlichere Politik. Der konservative Mitsotakis von der ND, der grössten Oppositionspartei, liegt in Umfragen bei etwa 40 Prozent, die Syriza-Partei bei 28 Prozent.
Schon bei der Europawahl landete die ND mit 33,3 Prozent 9 Prozentpunkte vor den regierenden Linken. Sehr wahrscheinlich also, dass er die Chance erhält, seine Versprechen umzusetzen.
Im Interview mit der "Welt" klagt Mitsotakis: "Das Wachstum liegt trotz allem, was Tsipras getan und nicht getan hat, bei zwei Prozent. Stellen Sie sich vor, wie viel mehr es mit einer wachstumsfreundlichen Regierung sein könnte." Man bräuchte drei oder vier Prozent Wachstum, um wieder auf Vorkrisenniveau zu kommen.
Wachstum, Wachstum, Wachstum lautet das Credo von Mitsotakis. Mit investorenfreundlichen Reformen - weniger Steuern auf Firmengewinne, Dividenden und einer geringeren Mehrwertsteuer - will er neue Arbeitsplätze schaffen und das Wachstum weiter ankurbeln. Auch Investitionen und Privatisierungen in den Sektoren Tourismus, Energiewirtschaft und Gesundheitswesen sollen dazu beitragen.
Zur "Welt" sagte er, die "massive Überbesteuerung der Mittelklasse" müsse beendet werden. Tatsächlich drückt die hohe Steuerlast auf den Privatverbrauch: 40,8 Prozent ihres Einkommens müssen griechische Durchschnittsverdiener nach Zahlen der OECD für Steuern und Sozialabgaben aufbringen – im OECD-Durchschnitt sind es 35,9 Prozent.
Ehemaliger Finanzanalyst könnte Ministerpräsident werden
Zu Mitsotakis Plänen zählen ausserdem eine "Generalüberholung der Art und Weise, wie Steuern erhoben werden", um die Steuermoral zu stärken und der "Kampf gegen Korruption" in Form einer Antikorruptionsbehörde.
Im Interview mit der "FAZ" sagte der Politiker und einstige Finanzanalyst: "Es geht darum, die Wirtschaft zu liberalisieren, den Wettbewerb zu fördern, bürokratische Hindernisse zu reduzieren und die Effizienz des Staates zu steigern."
Der Unterschied zwischen ND und Syriza bestehe darin, dass seine Partei an eine liberale Reformagenda glaube, Syriza tue das nicht. "Wir wollen sogar zusätzliche Massnahmen durchsetzen, die wir für wichtig halten, die aber von den Geldgebern nicht gefordert werden."
Verwendete Quellen:
- Weltbank: Internationaler Währungsfonds
- Weltbank: Doing Business
- Wirtschaftskammer Österreich: Wirtschaftsprofil Griechenland
- Germany Trade & Invest: Wirtschaftsdaten kompakt - Griechenland
- Eurostat
- World Economic Forum: The Global Competitiveness Report 2018
- tagesschau.de: "Parlamentswahl in Griechenland - Die Zeichen stehen auf Wechsel"
- tagesschau.de: "Reformen in Griechenland - Es geht voran, aber nur schleppend"
- tagesschau.de: "Griechenland will Reparationen - Wie berechtigt sind die Forderungen?"
- Stuttgarter-Nachrichten.de: "Tsipras’ letztes Wahlgeschenk"
- Welt.de: "Griechenland hängt jetzt Deutschland ab"
- FAZ.net: "Kyriakos Mitsotakis: 'Reformen allein werden nicht reichen'"
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