Während die Gespräche um die griechischen Schulden und Reformen mit der Europäischen Union weiter stocken, wendet sich Athen nach Osten: In Russland hofft Griechenland einen Partner in der Krise zu finden. Doch damit riskiert das Land, die EU zu spalten. Was steckt hinter dem griechisch-russischen Kuschelkurs?
Panos Kammenos hatte schon früh angedeutet, dass die neue griechische Regierung im Kampf gegen die Schulden nichts unversucht lassen will. Anfang Februar merkte der Verteidigungsminister von der rechtspopulistischen Anel-Partei an, dass Athen Geldgebern ausserhalb der Eurozone durchaus offen gegenüberstehe: "Das wären am besten die USA, aber es könnten auch Russland oder China oder andere Länder sein", sagte Kammenos.
Nun scheint das Vorhaben konkrete Züge anzunehmen: Eine Delegation um den griechischen Energieminister Panagiotis Lafazanis ist am Montag zu einem zweitägigen Besuch nach Russland aufgebrochen. "Spiegel Online" berichtet, sie wolle Moskau bitten, die Erdgaspreise für griechische Haushalte zu senken. Ausserdem solle Russland verschiedene griechische Produkte wie frisches Obst wieder ins Land lassen – im vergangenen Jahr hat Moskau ein Importverbot auf EU-Waren verhängt.
Am 8. April will Ministerpräsident Alexis Tsipras selbst nach Moskau reisen; die lange geplante Reise hatte er zuletzt um einen Monat vorgezogen. Schon damals runzelten einige in Europa die Stirn. Doch die jüngsten griechischen Bemühungen um russische Krisenhilfe sorgen bei Politikern in Brüssel nun für Empörung. Von einer "riskanten Strategie" und einem "Spiel mit dem Feuer" ist da die Rede.
Griechenland schielt auf schnelle Hilfe ohne Auflagen
Griechenland und Russland eint in diesen Tagen vor allem, dass sie gegenüber Europa mit dem Rücken zur Wand stehen. Einerseits Griechenland: Die zähen Gespräche mit den Geldgebern ziehen sich seit Wochen hin, die europäischen Partner pochen auf Reformen, zudem tun sich immer neue Schuldenlöcher auf.
Andererseits Russland: Seit der Ukraine-Krise ist das Land international isoliert wie noch nie seit dem Ende des Kalten Krieges, die EU hat Sanktionen erlassen, der Ölpreis fällt, die russische Wirtschaft schrumpft. Eine engere Kooperation zwischen Moskau und Athen könnte für beide in einer Win-Win-Situation enden, so die Hoffnung.
Denn das so dringend benötigte Geld von Europa oder dem Internationalen Währungsfonds (IWF) erhält die griechische Regierung nur, wenn sie sich auch an Auflagen hält und Reformen angeht. Ein Rabatt auf Erdgas – oder gar eine Geldspritze aus Moskau – käme wie gerufen. "Die griechische Regierung könnte Finanzhilfen aus Russland dazu nutzen, die Auflagen der Troika beziehungsweise der 'Institutionen' zu umgehen", sagt Timm Beichelt, Professor für Europa-Studien an der Europa-Universität Viadrina.
Doch Beichelt weiss auch, dass Russland dafür erhebliche finanzielle Mittel in die Hand nehmen müsste. Es bleibt fraglich, ob der Kreml diese Last in seiner eigenen Krise schultern könnte. Bereits vor ein paar Jahren habe Russland ähnlich freundliche Signale an die Krisenländer Island und Zypern geschickt, erklärte Andrew Lilico von der Londoner Beratungsfirma Europe Economics dem US-Fernsehsender CNN. "Doch am Ende wurde nichts daraus. Zwar ist Griechenland ein grosser Preis, aber Russland hat gerade selbst genügend Probleme, um die es sich kümmern muss", sagte Lilico weiter.
Russland hofft auf Griechenlands Stimme in der EU
"Ein grosser Preis" – kann der russische Präsident Wladimir Putin dieser Verlockung widerstehen? Denn was Ökonom Lilico meint, ist Russlands Option, die europäische Politik via Griechenland zu beeinflussen. Die Rechnung klingt einfach: Moskau hilft Griechenland in der Krise. Im Gegenzug verhindert Athen, dass die EU schärfere Sanktionen erlässt oder bemüht sich sogar darum, die bestehenden zu lockern.
Die Befürchtung, Griechenland könnte damit die EU spalten, treibt Politiker in Europas Hauptstadt um. "In einer Reihe von aussenpolitischen Fragen braucht es Einstimmigkeit, etwa in der Ukraine-Krise. Sanktionen müssen beschlossen werden – und das geht nur, wenn alle EU-Mitglieder zustimmen", sagt Europa-Forscher Beichelt. Für die europäische Aussenpolitik wäre es ein fatales Signal, wenn Griechenland nur noch aufgrund eines Gas-Rabatts entscheidet.
Dass solche Stimmen innerhalb der griechischen Regierung laut werden könnten, lässt sich nicht ausschliessen. Immerhin waren einige ältere Funktionäre des linken Flügels von Syriza einst Mitglied der Kommunistischen Partei und haben in der ehemaligen Sowjetunion studiert. Auch Aussenminister Nikos Kotzias soll als Politik-Professor enge Kontakte nach Moskau gepflegt haben. Ganz zu schweigen von Verteidigungsminister Kammenos, der die russischen Gelder als Erster ins Spiel brachte.
Annäherung zwischen Moskau und Athen belastet Verhandlungen mit der EU
Ganz so einfach wie auf dem Papier ist die griechisch-russische Rechnung in der Praxis aber nicht. Zwar sagte Andrey Maslov, Russlands Botschafter in Athen, im Interview mit der griechischen Zeitung "Kathimerini", dass jede Kreditanfrage "sehr sorgfältig überprüft" werde. Doch er stellte auch klar: Das Importverbot für Lebensmittel könne erst dann aufgehoben werden, wenn die EU ebenfalls ihre Sanktionen zurücknähme – und an diesen Massnahmen kann Griechenland alleine nicht rütteln. Ausserdem: Wie soll Athen auf andere Staaten in der EU einwirken, wenn es zuvor alle Mitglieder mit seiner Russland-Politik verprellt?
Das weiss auch Athen. Genauso dürfte der Regierung klar sein, dass es ganz ohne Europa nicht gehen wird. Zu hoch ist inzwischen der Schuldenberg, zu verworren die Verpflichtungen, als dass ausschliesslich Russland einspringen könnte. Die Regierung um Alexis Tsipras wird sich deshalb genau überlegen, worauf sie sich einlässt.
Was jedoch schon jetzt als sicher gelten kann: Der griechische Tanz mit Russland wird die Krisengespräche mit Europa nicht einfacher machen.
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