Die Krisengespräche zwischen Griechenland und der EU laufen eigentlich hinter verschlossenen Türen – doch nun hat Athen vertrauliche Dokumente öffentlich gemacht. Die Analyse zeigt: Die Griechen schätzen Ihre Situation realistisch ein, aber es gibt viel Streitpotenzial. Die wichtigsten Passagen im Faktencheck.
"Europa hat genug von den griechischen Dramen." Das sagte der neue griechische Finanzminister
Das Haushaltsdefizit
Was Athen sagt: Gianis Varoufakis hob in seiner Rede vor der Eurogruppe die bisherigen Fortschritte hervor. Das jährliche Defizit sei von 15 Prozent des Bruttoinlandsproduktes 2010 auf nun unter 3 Prozent gesunken. Der Primärüberschuss liege bei 1,5 Prozent.
Was das bedeutet: Der Primärüberschuss berechnet sich aus der Differenz zwischen Einnahmen und Ausgaben – allerdings wird der Schuldendienst nicht berücksichtigt. Ohne Zinsen macht Athen also ein Plus. Möglich wurde das nur durch harte Einsparungen, erklärt David Bencek, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Kieler Institut für Weltwirtschaft. "Das Defizit wurde enorm reduziert, und das ohne höhere Einnahmen."
Was Athen sagt: Die Zielvorgabe der Troika geht deutlich über die 1,5 Prozent an Primärüberschuss hinaus. Eigentlich sollen es in diesem Jahr 4,5 Prozent sein. Varoufakis bezeichnete diese Marke vor der Eurogruppe als "künstlich" und "hinderlich", seine Regierung wolle sich diesem Ziel nicht verpflichten.
Was das bedeutet: "Die Frage ist: War es jemals sinnvoll und realistisch, von 4,5 Prozent auszugehen?", sagt David Bencek. Er hat sich in den letzten Jahren mit den Zwischenberichten der Troika befasst. Stets wurden angepeilte Werte nicht erreicht. Die 4,5 Prozent seien "extrem hoch", gerade für ein Land, das frisch aus einer Rezession kommt. "Vielleicht sieht die griechische Regierung die Lage in dem Punkt realistischer."
Die Sofort-Hilfe
Was Athen sagt: Insgesamt kommen auf Griechenland im Jahr 2015 Zahlungen von 17 Milliarden Euro zu, vor allem an den Weltwährungsfonds IWF und die Europäische Zentralbank EZB. Athen will nun die Rahmenbedingungen neu aushandeln. Der Antrag auf die Verlängerung des Hilfsprogramms auf die nächsten sechs Monate ist bereits eingegangen. Griechenland spricht von einer Überbrückung - und besteht darauf, trotzdem die eigenen Vorstellungen durchzusetzen.
Was das bedeutet: Griechenland braucht schnelle Hilfe, sonst droht der Staatsbankrott. Das weiss auch Gianis Varoufakis. Er ist also vom Wohlwollen der Eurogruppe abhängig. Ihr Vorsitzender Jeroen Dijsselboem hat schon signalisiert, dass er den Antrag Athens als Entgegenkommen wertet. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hingegen reagierte ablehnend: Es handele sich nur um eine Bitte um eine Brückenfinanzierung - ohne jegliche Zusagen, dass sich Athen dem Reformprogramm verpflichtet fühlt.
Die Langzeit-Schulden
Was Athen sagt: In einem Papier der griechischen Regierung ist von einem "Missverständnis" die Rede – der Schuldenstand von 175 Prozent des Bruttoinlandsprodukts beschreibe nicht die tatsächliche Last, die die Schulden auf die griechische Wirtschaft ausüben. Deswegen sei der Schuldendienst auch nicht so dringlich.
Was das bedeutet: Athen argumentiert, dass die Struktur der Schulden wichtiger sei als ihre Höhe. Nicht zu unrecht, erklärt David Bencek vom Institut für Weltwirtschaft. "Fast die kompletten Schulden Griechenlands werden von öffentlichen Institutionen getragen." In den letzten Jahren konnten durch Schuldenschnitt und Schuldenrückkauf die Bedingungen für Griechenland schon verbessert werden. Dazu kommen niedrige Zinsen und sehr lange Laufzeiten. Das lässt Spielraum in der Haushaltspolitik - trotz eines riesigen Schuldenbergs.
Die Reformen
Was Athen sagt: Die neue Regierung will laut Varoufakis die "reformfreudigste in der modernen griechischen Geschichte" sein. Die Liste der Vorhaben ist lang: Kampf gegen Steuerflucht, illegalen Handel und Korruption, Verwaltungsreform, Justizreform. Dabei soll die EU assistieren. Ganz nebenbei sollen die Reformen Geld bringen: 5,5 Milliarden Euro jährlich.
Was das bedeutet: David Bencek ist da skeptisch: "Da müssten wir spekulieren. Tatsache ist, dass jede der letzten Regierungen Reformen versprochen hat, passiert ist wenig."
Die Privatisierungen
Was Athen sagt: Privatisierungen sind kein Tabu. Allerdings will die Regierung nun im Einzelfall entscheiden, ob ein Verkauf von Staatseigentum auch wirklich etwas bringt. Die Erlöse, die von der Troika erwartet werden, seien ohnehin "unrealistisch" und damit für den Finanzminister nicht relevant.
Was das bedeutet: Auf den ersten Blick fällt ohne die Verkäufe ein wichtiger Baustein der Haushaltssanierung weg. Allerdings konnten die Erlöse ohnehin nie die Erwartungen erfüllen: 50 Milliarden Euro sollte die Privatisierung in die Kassen spülen. Davon ist Athen sehr weit entfernt, wie die neue Regierung eingesteht. Bis 2014 hat der Staat demnach erst rund 4 Milliarden Euro eingenommen. "Die Position der Regierung spiegelt insofern eine Prise Realismus wider", sagt David Bencek. Allerdings müsse man darauf achten, dass bereits in die Haushaltsplanung eingeflossene Vorhersagen auch eingehalten werden. Tatsächlich war für 2015 mit 2,2 Milliarden Euro gerechnet worden. Die will Varoufakis auf Umwegen einnehmen – durch Gewinne, die die EZB mit griechischen Staatsanleihen gemacht hat.
Der vielleicht wichtigste Punkt, den Gianis Varoufakis vor der Eurogruppe ansprach, betrifft weder die Schulden noch die Reformen, sondern das, was er sein "credibility deficit" nennt, also das Glaubwürdigkeitsproblem Athens: Offen spricht er an, dass vielen im Raum nicht gefallen werde, dass nun Syriza in Athen regiere - und dass viele im Raum ihm und seiner Regierung nicht trauen würden. Zu Unrecht, meint Varoufakis: "Ich werde nicht versprechen, was ich nicht liefern kann."
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