Zusätzliche bürokratische Hürden, Zölle und andere Unwägbarkeiten – Grossbritannien drei Jahre nach dem Brexit.
Drei Jahre nach dem endgültigen Brexit bereiten die Folgen des britischen EU-Ausstiegs der Wirtschaft auf beiden Seiten des Ärmelkanals weiter Sorgen. "Zu den Hauptleidtragenden des Brexits gehören kleinere Unternehmen, die oft aufgegeben haben", sagte der deutsche Botschafter in London, Miguel Berger, der Deutschen Presse-Agentur. "Für die grossen Unternehmen ist es ein gewisser Kostenfaktor, aber sie haben sich daran gewöhnt, damit umzugehen."
Grossbritannien nicht mehr in den Top Ten der deutschen Handelspartner
Der bilaterale Handel ist seit dem Brexit Schätzungen zufolge um zehn bis 15 Prozent eingebrochen. Grossbritannien ist mittlerweile aus den Top Ten der wichtigsten deutschen Aussenhandelspartner gerutscht.
Grossbritannien war Ende Januar 2020 aus der EU ausgetreten. Seit dem 1. Januar 2021 ist das Land auch nicht mehr Mitglied der EU-Zollunion oder des Binnenmarkts. Dadurch kam es vor allem zu Beginn teils zu erheblichen Verzögerungen im Handel.
Der Chef der Deutsch-Britischen Industrie- und Handelskammer (AHK) in London, Ulrich Hoppe, sagte der dpa, die Wirtschaft habe sich mittlerweile weitestgehend auf die neuen Bedingungen eingestellt. Der Handel wachse wieder – das gebe Hoffnung für die Zukunft, dass Teile der Brexit-Delle mittelfristig ausgeglichen werden können. Besonders Branchen wie erneuerbare Energien hätten Potenzial, sagte Hoppe. "Deutsche technische Expertise kann helfen, das grosse Potenzial der erneuerbaren Energien im Vereinigten Königreich zu erschliessen."
Neue Regeln erschweren Lebensmittelexporte
Für EU-Lebensmittelexporteure könnten aber neue Probleme anstehen. Nach mehrfacher Verschiebung will Grossbritannien nun Importkontrollen für Tier- und Pflanzenprodukte einführen. "Sie stellen diesen Sektor natürlich vor Herausforderungen, aber für die gesamte Breite der deutsch-britischen Wirtschaft sind die Auswirkungen der neuen Vorschriften eher gering", sagte Hoppe. York-Alexander von Massenbach von der Britischen Handelskammer in Deutschland (BCCG) sagte, die zu erwartende Risikoprüfung der Waren werde zu einem organisatorischen Mehraufwand sowie zu Verzögerungen führen.
Grösser sind die Warnungen auf britischer Seite. Für viele britische Unternehmen sei es aufgrund von EU-Vorschriften wie der CO₂-Abgabe einfacher, mit weiter entfernten Ländern zu handeln als mit der EU, sagte die Chefin des britischen Handelskammerverbunds (BCC), Shevaun Haviland, jüngst der "Financial Times". Vor allem Branchen wie Agrar und Chemie, die bereits durch neue Brexit-Zölle getroffen waren, seien jetzt mit Meldepflichten zu Lieferketten, CO₂-Emissionen und der Verwendung von Kunststoffverpackungen konfrontiert. Haviland forderte, die britische Regierung müsse ihre Regeln an die der EU anpassen.
Der deutschen Wirtschaft sind besonders die Aufenthaltsregelungen seit dem Brexit ein Dorn im Auge, die eine kurzfristige Entsendung von Fachkräften erschweren und einen dauerhaften Umzug verteuern. Jüngst kündigte die konservative britische Regierung an, das erforderliche Jahreseinkommen für ausländische Arbeitskräfte deutlich anzuheben, um die Nettozuwanderung zu begrenzen. "Gerade für jüngere Leute, die einen Berufseinstieg hier suchen, werden diese Hürden kaum überwindbar sein", sagte Botschafter Berger. Aber auch Schulen oder Kultureinrichtungen könnten die höheren Gehälter nicht bezahlen.
Grossbritannien nur noch selten Ziel für Einwanderer
Grossbritannien habe dadurch erheblich an Attraktivität verloren, sagte BCCG-Experte von Massenbach. Der akademische Austausch habe grosse Einbussen erlitten. "Auch den in Grossbritannien ansässigen Unternehmen gehen zunehmend die Argumente aus, sich mit komplexen, stetig wandelnden Visa-Optionen auseinanderzusetzen, um für einen begrenzten Zeitraum Praktikum oder Referendarplatz anzubieten."
Noch nicht abzusehen sind die Folgen einer weiteren Änderung. Zum neuen Jahr endet in Bereichen wie Handel, Wettbewerb, Beschäftigung oder Verbraucherschutz der Vorrang für zunächst übernommenes EU-Recht in Grossbritannien. Von Massenbach erwartet wachsende Rechtsunsicherheit. "Betroffene Unternehmen müssen wachsam bleiben, um auf Änderungen schnell reagieren zu können. Ein damit verbundener bürokratischer und kostentechnischer Mehraufwand wird zumindest in einigen Bereichen wohl nicht ausbleiben", sagte der Partner der Wirtschaftskanzlei GSK Stockmann in London. (dpa/the)
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