In unternehmerischer Hinsicht sind Schweizer traditionell vorsichtig. Gleichwohl gab es in den letzten Jahren einen bedeutenden Zuwachs an Start-up-Unternehmen. Diese jungen Firmen fördern auf internationaler Ebene das Bild einer innovativen Schweiz und schaffen zudem jedes Jahr zahlreiche Arbeitsplätze. swissinfo.ch sprach mit Jordi Montserrat, einem Spezialisten und Berater für Start-ups.
Der Unternehmergeist ist in der Schweiz nicht sehr ausgeprägt. Es gibt bereits viele erfolgreiche Unternehmen in jeglicher Grössenordnung, die für Investitionen und junge Diplomanden interessant sind.
Gleichwohl lässt sich seit einigen Jahren ein eindrücklicher Zuwachs an neugegründeten Start-up-Unternehmen beobachten. Diese Unternehmen setzten auf innovative Geschäftsideen mit einem hohen Wachstumspotential.
Zwischen 2012 und 2017 haben sich die Investitionen in Start-ups praktisch verdreifacht und sich der Schwelle von einer Milliarde Franken pro Jahr genähert.
Diese Entwicklung wird durch die guten Rahmenbedingungen in der Schweiz begünstigt, aber auch durch private und öffentliche Förderungsprogramme, insbesondere im Umfeld von Universitäten und Fachhochschulen.
Jordi Montserrat gehört zu diesen Förderern. Er ist Mitbegründer und Co-Direktor von Venture Lab, einem Unternehmen, das Start-ups bei der Firmengründung beratend unterstützt.
swissinfo.ch: Wenn man von Start-up-Unternehmen spricht, denkt man sofort an junge Hochschulabgänger, die sich in der Geschäftswelt verlaufen haben. Entspricht dieses Bild der Realität?
Jordi Montserrat: Dieses Profil ist durchaus typisch. Häufig handelt es sich um junge Menschen mit einem Hochschulabschluss und sehr guten technischen Kenntnissen. Doch ihnen fehlen die Kontakte und ein Netzwerk, um sich in der Business-Welt zurechtzufinden. Doch es gibt auch andere Personen, etwa Unternehmer mit viel Erfahrung, die sich an uns wenden, beispielsweise um neue Märkte wie den chinesischen zu erschliessen.
Welche Prioritäten müssen Personen setzen, die eine Start-up aufgleisen?
J.M.: Sie müssen vor allem schauen, dass ihre Start-up-Unternehmen möglichst rasch im Markt aktiv sind. Das heisst: Sie müssen von Anfang an darauf schauen, dass ihr unternehmerisches Modell unter Marktkriterien Bestand hat und nicht nur in technologischer Hinsicht. Um dies zu tun, müssen sie wissen, wie man eine Firma gründet und führt. Danach müssen sie lernen, ihr Produkt potentiellen Kunden zu präsentieren. Und vorher sollten sie auch ihre Investoren überzeugt haben. Zudem braucht es einen Business-Plan, um das Wachstumspotential aufzuzeigen.
Wie viel Geld braucht man, um eine Start-up-Firma zu lancieren?
J.M.: Das hängt ganz von der Branche ab. In einigen Branchen, beispielsweise der Biotechnologie oder Medizintechnik, braucht es für ein gediegenes Projekt schnell einmal 5 bis 10 Millionen Franken in einer ersten Phase. Danach können 20 bis 50, in einigen Fällen sogar 100 Millionen Franken nötig sein. Im Sektor der Informations-Technologie (IT), vor allem im Rahmen der Software-Entwicklung, kann ein Projekt bereits mit einer Million Franken angestossen werden. Mit einem solchen Betrag lassen sich schon grossartige Dinge machen. Jedes Projekt, das auf Wachstum und internationale Märkte setzt, braucht externe Mittel.
Mehr als 80 Prozent der Investitionen in Schweizer Start-up-Unternehmen stammen aus dem Ausland. Ist es so schwierig, Investoren in der Schweiz zu finden?
J.M.: Auch hier muss man zwischen einzelnen Branchen und den nötigen Investitionsvolumen unterscheiden. Für ein Startkapital von 2 bis 3 Millionen Franken gibt es in der Schweiz eine Reihe von Möglichkeiten und Optionen unter lokalen Investoren. Bei grösseren Beträgen von mehreren Dutzend Millionen Franken ist man häufig auf ausländische Investoren angewiesen.
Meiner Meinung nach ist diese Situation nicht unbedingt negativ zu bewerten. Einerseits sehen es Schweizer Investoren gerne, wenn sich auch Ausländer beteiligen. Wenn Mittel aus dem Ausland kommen, wird dies als Beweis gesehen, dass unsere Start-ups qualitativ tauglich sind. Im Falle stark wachsender Start-up-Unternehmen wenden sich die Promotoren gerne an ausländische Investoren, um Kontakte zu knüpfen und auf deren Netzwerke zurückzugreifen. So hoffen sie, auch in den Märkten anderer Länder zu Wachstum kommen zu können.
Ist der Schweizer Markt nicht schlicht zu klein für unsere Start-ups?
J.M.: Zweifellos ja. Ich würde behaupten, dass rund 10 Prozent unserer Start-ups auf dem lokalen Markt bestehen können und schwarze Zahlen schreiben. Doch die grosse Mehrheit muss sich schnell den Märkten anderer Länder öffnen. Bei Unternehmen, die ich persönlich unterstütze, verkauft die Mehrheit vielleicht zwei Produkte in der Schweiz und zehn Produkte in ausländischen Märkten. Die Tatsache, sich schnell auf internationaler Ebene positionieren zu müssen, kann auch als Vorteil für unsere Unternehmungen gesehen werden.
Welche weiteren Vor- und Nachteile weist die Schweiz für Start-ups auf?
J.M.: Generell stellt die Schweiz sicherlich ein fruchtbares Terrain für Start-ups dar. Der grösste Nachteil liegt im hohen Lohnniveau. Doch abgesehen davon sind die Rahmenbedingungen gut. Man denke etwa an die hervorragenden Hochschulen, die Arbeitsqualität, die gute Infrastruktur und ein enges Netzwerk, das den Austausch und die Interaktivität beteiligter Personen begünstigt. Auch in steuerlicher Hinsicht sind die Bedingungen gut, doch mittlerweile bieten sehr viele Länder für Start-ups steuerliche Vorteile an.
Im Vergleich mit anderen Ländern fehlt in der Schweiz aber eine gewisse Risikobereitschaft.
J.M.: Das stimmt. Schweizer nehmen in der Regel keine grossen Risiken in Kauf, vor allem wenn bedeutende Investitionen gefragt sind. Wenn ein Start-up-Unternehmen Konkurs geht, in das 50 Millionen Franken investiert wurden – und das ist bereits geschehen – setzt rasch eine Debatte um die verlorenen Gelder ein. Das Gleiche passiert nicht, wenn grosse Unternehmungen, etwa die Swisscom, 50 oder 100 Millionen Franken in den Sand setzen. Doch wer mit Start-up-Unternehmen Erfolg haben will, muss viel investieren. Wenn stark wachsende Start-ups einmal 200, 300 oder 400 Leute beschäftigen, ziehen sie schnell einmal andere Bereiche nach und schaffen so eine wirtschaftliche Dynamik.
Auch die Quote junger Hochschulabgänger, die bei Start-up-Projekten mitarbeiten, liegt in der Schweiz tiefer als in anderen Ländern. Warum?
J.M.: Viele unserer Hochschulabgänger haben beste Aussichten, in bereits existierenden Firmen einen guten Job zu finden. Daher gibt es weniger Veranlassung, das Abenteuer eines Start-up-Unternehmens einzugehen. Doch es muss auch gesagt werden, dass der Bund, die Universitäten und Private in den letzten Jahren zahlreiche Programme auf die Beine gestellt haben, darunter auch mein eigenes Projekt, um interessierten Kreisen Kenntnisse, Methoden und finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen, um eine eigene Firma zu gründen. Im Bereich der Innovationsförderung hat sich in den letzten 15 bis 20 Jahren in der Schweiz sehr viel getan. Darüber können wir mit Sicherheit zufrieden sein.
Ist es vorstellbar, dass aus einem Schweizer Start-up-Unternehmen eines Tages ein Gigant wie Google hervorgeht?
J.M.: Das wäre natürlich fantastisch, aber meiner Meinung nach eher unwahrscheinlich. Und es wäre für ein kleines Land wie die Schweiz wohl am Ende auch nicht wünschenswert. Stellen wir uns vor, dass ein Unternehmen sehr rasch 12'000 Arbeitsplätze schafft. Wo siedeln wir dieses an? Google hat beispielsweise in Zürich in kürzester Zeit 1700 Arbeitsplätze geschaffen. Und damit heftige Diskussionen ausgelöst, weil das US-Unternehmen eine Unmenge von Ingenieuren absorbiert hat. Für ein Land wie die Schweiz ist es eine Frage der kritischen Masse.
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